Im Gastkommentar erklärt Reinhard Steurer, Klimapolitikexperte an der Boku Wien, weshalb Aktivisten in der Klimakrise von mehr Wissenschafterinnen unterstützt werden, als viele glauben.

Eine Demonstration für mehr Klimaschutz in München. Für den 24. September ruft Fridays for Future zum weltweiten Klimastreik auf.
Foto: Imago Images / Alexander Pohl

Ich werde manchmal gefragt, warum ich als Professor Klimaaktivisten unterstütze, zur Teilnahme am weltweiten Klimastreik aufrufe und selbst daran teilnehme. Ich möchte das mit ein paar persönlichen und fachlichen Einblicken zu meiner Forschung über Klimapolitik erklären.

Die meisten Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die sich mit einem Problem beschäftigen, machen das nicht nur aus Erkenntnisinteresse, sondern auch weil sie zur Lösung des Problems beitragen wollen. Ingenieure wollen saubere Autos und bessere Batterien bauen, Medizinerinnen wollen Krebs und andere Krankheiten heilen, Virologinnen wollen nicht nur das Sars-Coronavirus verstehen, sondern auch eine Pandemie verhindern beziehungsweise bekämpfen. Bei jedem Forschungsantrag muss längst gut erklärt werden, inwiefern ein Forschungsvorhaben gesellschaftspolitisch relevant ist, also dabei hilft, ein Problem zu lösen. Ohne diese Relevanz hat man so gut wie keine Chance auf Förderung. So ist das auch bei jenen, die zur Klimakrise forschen. Ob Klima- oder Sozialwissenschafter, wir alle wissen, dass die Klimakrise katastrophal enden wird, wenn wir politische Rahmenbedingungen nicht so verändern, dass Klimaverschmutzung rasch aufhört. Die Frage ist, wie das gelingen kann.

Aktivismus wirkt

Bis 2019 schien das Problem unlösbar: Emissionen stiegen stetig an, obwohl sie längst hätten sinken sollen, weltweit und in Österreich. Ich lernte damit umzugehen und machte meine Arbeit, die bis dahin nur wenige Spezialistinnen und Spezialisten interessierte. Dann zeichnete sich doch noch eine Lösung des Problems ab, und mein Forschungsfeld Klimaschutz rückte in den Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses. Basierend auf 25 Jahren Forschung zum Thema möchte ich dazu zwei zentrale Erkenntnisse beitragen.

Erstens: Bisher haben wir das Problem nicht wirksam gelöst, sondern nur so getan, als ob. Das trifft vor allem auf Großparteien zu. Damit können sie bis heute Wahlen gewinnen, während sich technische Entwicklungen von alleine viel zu langsam durchsetzen und die Klimakrise weiter eskaliert.

Zweitens: Klimapolitik wird erst dann ambitioniert genug sein, wenn das von einer Mehrheit der Bevölkerung aktiv eingefordert wird, und zwar nicht nur in Umfragen, sondern auch bei Wahlen – und zwischen den Wahltagen auch auf der Straße. Scheinklimaschutz kann also nur "von unten" im Sinne einer Domino-Kettenreaktion durch ambitionierte Klimapolitik ersetzt werden, wenn das von einer Mehrheit der Wählerinnen und Wähler mit Nachdruck gefordert wird. In meinen Lehrveranstaltungen sage ich seit 15 Jahren, dass ich diesen Druck aus der Bevölkerung erst kommen sehe, wenn es bereits richtig kracht, die Folgen der Klimakrise also so gut wie jeden massiv treffen. Mit Fridays for Future kam dieser Druck 2019 etwas früher. Seither konnten wir in einem Artikel im Journal "Climate Policy" zeigen, dass diese Art der Politisierung mehr Einfluss auf deutlich bessere Klimaschutzgesetze in Schottland und Dänemark hatte als andere Faktoren wie die Zusammensetzung dieser Regierungen. Kurzum: Aktivismus wirkt.

Teil der Lösung

So gut wie alle zur Klimakrise arbeitenden Wissenschafterinnen und Wissenschafter sind sehr froh darüber und begrüßen die Klimabewegung. Manche tun das in privaten Gesprächen, andere öffentlich. Ich habe mich für eine offene Unterstützung entschieden, weil viele glauben, dass die Ansichten und Forderungen von Klimaaktivisten überzogen sind. Sowohl aus natur- als auch aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist das jedoch nicht der Fall, im Gegenteil. Nicht zufällig lautet deren zentrales Motto "Hört auf die Wissenschaft".

Doch was genau sagen jene Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die sich tagtäglich mit der Klimakrise beschäftigen? Klimawissenschafter sagen, dass die meisten Warnungen und Befürchtungen der Klimabewegung völlig berechtigt sind. Sozialwissenschafterinnen sagen, dass die meisten politischen Forderungen der Klimabewegung legitim und deren Mittel wirksam sind. Das im "Elfenbeinturm" zu schreiben ist gut, aber es nützt der Gesellschaft wenig. Ich unterstütze die Klimabewegung deshalb öffentlich, weil sie empirisch belegbar ein zentraler Teil der Lösung ist – und weil ich damit betonen möchte: Streikende Jugendliche haben die Klimakrise besser verstanden als viele Politikerinnen und Politiker, die sie lösen sollten.

Dies nicht öffentlich zu sagen wäre so falsch, wie wenn Virologinnen nie jene unterstützt hätten, die bei gefährlich hohen Inzidenzen wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gefordert haben, ob Maskenpflicht oder Lockdown. In ernsten Krisenzeiten ist eine neutrale Wissenschaft im Elfenbeinturm gefährlich – für die Gesellschaft. Um mit diesem Vergleich nicht missverstanden zu werden: Ich kenne niemanden, ob Wissenschafterin oder Aktivist, der jemals einen "Klima-Lockdown" gefordert hätte. Das sind verantwortungslose Sager von populistischen Politikerinnen und Politikern, die Stimmungsmache vor Problemlösungen stellen.

Keinen Schein-Klimaschutz mehr

Diese Art von wissenschaftlichem Engagement kann nie allen gefallen. Aus diesem Grund erkläre ich es immer wieder. Wer es trotzdem nicht verstehen will, tut sich nicht mit der Rolle der Wissenschaft in der Klimakrise, sondern vor allem mit dem Problem an sich beziehungsweise mit dringend nötigen Lösungen schwer. Umso wichtiger ist eine breite Klimabewegung, die Akzeptanz für wirksame Maßnahmen wie einen spürbaren Preis auf CO2 mit sozialem Ausgleich und auch Verbote schafft. Umso wichtiger ist es, dass sich möglichst viele "Scientists for Future" hinter Klimaaktivisten stellen, um zu betonen: Hört auf sie, wählt keine Parteien mehr, die seit Jahrzehnten unzureichenden Schein-Klimaschutz betreiben – und geht zum nächsten (weltweiten) Klimastreik.

Zu glauben, das sei nicht nötig, weil das Problem übertrieben werde oder weil Klimaschutz ohnehin auf einem guten Weg sei, wäre ein großer Trugschluss. Die Klimakrise eskaliert allerdings so langsam, dass das erst in einigen Jahren klar werden wird. Dann werden unsere Kinder und Enkelkinder zu Recht fragen, was wir uns damals eigentlich gedacht haben, als wir das Schlimmste noch hätten verhindern können, es aber nicht getan haben. (Reinhard Steurer, 23.9.2021)