Die gelockerten Quarantänebestimmungen für Schülerinnen und Schüler stoßen nicht überall auf Gegenliebe.

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Wien – Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ist das Ziel scharfer Attacken der sozialdemokratischen Lehrergewerkschafterinnen und -gewerkschafter an Berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS). Er habe sich durch die von ihm verordnete Verkürzung der Freitestzeit für Schülerinnen und Schüler in Quarantäne von zehn auf fünf Tage "endgültig als Erfüllungsgehilfe des türkisen Koalitionspartners" erwiesen und greife "die populistische Politik" der ÖVP auf: "Nicht anders ist es wohl zu verstehen, dass er als Mediziner an allen bisher vorliegenden epidemiologischen Fakten und Erkenntnissen vorbei eine derartige Entscheidung traf", heißt es in einer Aussendung der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) an BMHS vom Samstag.

Nur noch fünf statt zehn Tage zu Hause in Quarantäne

Wie berichtet wurden die Quarantänebestimmungen für Schulen per 15. September, also nur zehn Tage nach Schulbeginn im Osten, gelockert. Schülerinnen und Schüler können sich nun schon nach fünf Tagen wieder "freitesten", also in den Unterricht in der Klasse "zurücktesten". Außerdem, und auch daran stoßen sich die FSG-Lehrergewerkschafter, "sollen bei den älteren Schülerinnen und Schülern nur mehr direkte Sitznachbarinnen und Sitznachbarn sowie enge Kontakte in Quarantäne geschickt werden – und dies zu einem Zeitpunkt, in welchem in Österreich bereits zu Schulbeginn in mehr als 600 Schulklassen Infektionen mit Covid-19 aufgetreten sind", heißt es in dem von FSG-BMHS-Vorsitzenden Pascal Peukert und seiner Stellvertreterin Eveline Ott unterzeichneten Schreiben.

Den Vorwurf, dass Mückstein, der vor seiner Zeit als Minister selbst als Arzt praktizierte, wider wissenschaftliche Erkenntnisse agiere, untermauern die sozialdemokratischen Lehrervertreterinnen und -vertreter mit .erweis auf "Expertisen der Virologen und Epidemiologen", wonach fünf Tage "in Anbetracht der unterschiedlichen Inkubationszeiten der Covid-19-Varianten zu kurz für eine einigermaßen sichere Beurteilung des Infektionsgeschehens bei möglicherweise Betroffenen" seien.

Tests sind nur "Momentaufnahme"

Außerdem würden die Tests nur "eine Momentaufnahme" abbilden. Zudem sei die Deltavariante deutlich ansteckender und erfordere daher "mehr Vorsicht anstelle weniger". Auch die Regelung, dass nur noch Sitznachbarn von erkrankten Schulkindern als K1-Kontaktperson eingestuft werden, sei "nicht sinnvoll", die Einengung des K1-Personenkreises "kontraproduktiv".

Und, so schreiben die roten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter: Die Altersgruppe der 15-24-Jährigen weise eine sehr hohe Inzidenz an Infektionen auf, gleichzeitig sei die Zahl der Geimpften aber weiterhin gering (unter 300.000 österreichweit), schwere Verläufe und oder Long Covid seien in dieser Altersgruppe zwar mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, "aber dennoch auch zu erwarten".

Regierung agiere wider besseren Wissens

Vor dem Hintergrund dieser Aspekte nehme die Bundesregierung, so kritisiert die FSG-BMHS, "zum wiederholten Mal wider besseren Wissens ein erhöhtes Gefährdungspotenzial an Schulen in Kauf. Dies ist inakzeptabel und fahrlässig."

Wohingegen die Regierung "sinnvolle flankierende Maßnahmen, wie z. B. kleinere Gruppen, Anmietung zusätzlicher Räumlichkeiten, zusätzliches unterstützendes Personal u. a. m., weiterhin schuldig bleibt". Daher fordert die sozialdemokratische Lehrerfraktion an mittleren und höheren berufsbildenden Schulen Gesundheitsminister Mückstein auf, das Informationsschreiben mit den Quarantänelockerungsbestimmungen "zurückzunehmen und für bestmögliche Sicherheit an den Schulen zu sorgen".

Kimberger hat "kein recht gutes Gefühl dabei"

Pflichtschullehrergewerkschaftsvorsitzender Paul Kimberger (Fraktion Christlicher Gewerkschafter, FCG) hatte unmittelbar nach Verkündung der neuen Quarantäneregeln gemeint, die plötzliche Regeländerung sorge an den Schulen für "zusätzliche Verunsicherung und Irritation". Zur Einengung der K1-Regel auf unmittelbare Sitznachbarn meinte er mit Blick auf Aerosole, die derartige Grenzen nicht einhalten würden: "Das scheint eine politische Entscheidung zu sein, ein recht gutes Gefühl habe ich dabei nicht."

Wissenschafterinnen und Wissenschafter uneinig

Unter Wissenschafterinnen und Wissenschaftern wurde die neue Regelung hingegen geteilt aufgenommen: Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres reagierte in der "Presse" mit Unverständnis, immerhin könnten sich in geschlossenen Räumen nicht nur Sitznachbarn anstecken. Mikrobiologe Michael Wagner (Uni Wien) meinte in den "Salzburger Nachrichten", man könne gar nicht so viel lüften, dass ein Infizierter nur den unmittelbaren Sitznachbarn anstecke. Mit der neuen Regelung würden sich vermutlich viel mehr Kinder infizieren. Epidemiologin Eva Schernhammer von der Medizinuni Wien verwies im "Kurier" ebenfalls darauf, dass sich das Virus aufgrund seiner Infektiösität überall ausbreiten könne.

Volker Strenger von der Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) hingegen befürwortet die Regelung, immerhin würden auch sonst nicht alle Personen, die sich mit einem Infizierten im selben Raum aufhalten, in Quarantäne geschickt. Der Infektiologe an der Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Med-Uni Graz sagte: "Es ist ganz wichtig, dass man nicht wegen einem positiven Fall ganze Klassen gleich in Quarantäne schickt. (Lisa Nimmervoll, 18.9.2021)