Dass der Nachwuchs täglich ein paar Stunden vor dem Bildschirm verbringt, ist nach Ansicht von John Hewitt nicht gleich ein Anlass zur Sorge.

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Kinder und Bildschirme, das ist in der landläufigen Annahme keine gute Kombination. Langdauernde Nutzung von Smartphones und Computern steht in Verdacht, allerlei negative psychologische Entwicklungen zu begünstigen. Doch womöglich ist die Gefährdung gar nicht so groß, wie sie scheint. Das legt eine Untersuchung von Forschern der University of Colorado nahe.

Sie haben Daten aus der laufenden "Adolescent Brain and Cognitive Development"-Studie analysiert. Ihr Sample beinhaltet Informationen über 11.800 Kinder aus den USA im Alter von neun und zehn Jahren mit breitgestreutem sozialem Hintergrund. Ausgewertet wurden unter anderem Befragungen, Elternberichte über Verhalten und Schulnoten sowie professionelle Erhebungen zur mentalen Gesundheit der jungen Probanden. Die Daten stammen aus einem Zeitraum vor der Pandemie und enthalten folglich keine Bildschirmzeiten in Bezug auf Distance-Learning.

Buben spielen mehr, Mädchen bevorzugen Social Media

Gemäß der Auswertung verbringen Buben täglich im Schnitt 45 Minuten mehr vor dem Bildschirm als Mädchen. Sie kommen auf bis zu fünf Stunden an Wochenendtagen und vier Stunden unter der Woche. Die Art der Nutzung unterscheidet sich auch deutlich. Buben verbringen etwa doppelt so viel Zeit mit Videospielen, Mädchen sind länger auf sozialen Medien unterwegs.

Kinder, die längere Zeit vor dem Bildschirm verbringen, hatten in der Regel schlechtere Noten, mehr Probleme mit dem Schlafen und zeigten häufiger externalisierende Verhaltensprobleme wie ADHS oder oppositionelles Trotzverhalten. Sie leiden aber nicht häufiger an Depressionen oder Angststörungen.

Nur schwacher Zusammenhang

Verglichen mit anderen Faktoren sei der Einfluss der Bildschirmnutzung aber winzig. Man schätzt, dass Screentime nur mit weniger als zwei Prozent der festgestellten Verhaltensauffälligkeiten in Zusammenhang steht. Alleine der sozioökonomische Status sei 2,5-mal stärker mit Verhaltensauffälligkeiten verknüpft. Dass man einen schwachen Link zwischen Bildschirmzeit und bestimmten psychischen Auffälligkeiten erkennen konnte, heißt zudem nicht, dass die Screentime ursächlich für selbige ist.

Es könne auch umgekehrt der Fall sein, dass erst die Verhaltensabweichungen die erhöhte Nutzung digitaler Plattformen begünstige. Etwa wenn Eltern Kinder, die sich problematisch benehmen, mit Videospielen ruhigstellen oder Kinder, die nicht einschlafen können, noch einmal zum Handy greifen, um sich abzulenken.

Zudem ist durchaus denkbar, dass die Art und Weise, wie Zeit vor dem Bildschirm verbracht wird, deutlich wichtiger ist als die Zeitspanne. Frühere Forschungsergebnisse liefern Indizien dafür, dass das gemeinsame Spielen von Videogames helfen kann, soziale Beziehungen zu pflegen – insbesondere bei Buben, die mehr Zeit mit Spielen verbringen. Gleichzeitig könne es sich negativ auswirken, wenn ein Kind alleine lange TV-Serien schaut. Nicht zuletzt spielt auch die individuelle Persönlichkeit eines Kindes wohl eine beachtliche Rolle.

Keine Angst vor dem Bildschirm

Die Forscher wollen die Entwicklung der Probanden weiter verfolgen, um herauszufinden, ob ihre Beobachtungen auch für ältere Kinder gültig sind. Nach Ansicht von John Hewitt, Leiter des Instituts für Verhaltensgenetik, leitender Autor der Studie und selbst vierfacher Vater, muss in dem Bereich noch mehr Forschung betrieben werden. Es sehe aber so aus, dass Bildschirmzeit nicht inhärent gefährlich für Kinder sei. Zwar gibt es bereits kinderärztliche Empfehlungen bezüglich Bildschirmzeit, diesen fehlt aber noch eine solide empirische Basis.

Dementsprechend sieht Hewitt es relativ gelassen, wenn Schulkinder längere Zeit vor einem Bildschirm zubringen. "Ich würde Eltern raten, nicht übermäßig besorgt darüber zu sein, wenn ihre Kinder ein paar Stunden pro Tag mit ihren Geräten verbringen."

Die Forscher haben die Erkenntnisse ihrer Untersuchung in "PLOS One" veröffentlicht. (gpi, 20.9.2021)