Die Sorge um Freiheit bzw. deren Verlust steht oft im Zentrum von Corona-Protesten. Bei einer solchen Versammlung kam es vor einigen Monaten in Innsbruck zu Festnahmen. Corona-Maßnahmen-Kritiker stellten daraufhin einen Beamten online an den Pranger.

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In den nächsten Wochen und Monaten könnten sich unzählige Corona-Maßnahmen-Kritiker vor Gericht wiederfinden. Denn hunderte Personen wurden bereits von einem Polizisten angezeigt, einige weitere Hundert dürften noch folgen. Der Grund: Sie hatten in sozialen Netzwerken ein Posting geteilt, in dem dem Beamten vorgeworfen wird, einen Mann im Zuge einer Amtshandlung "zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört" zu haben. Angefügt wurde zudem ein Bild des Polizisten. Doch diese Schilderung stimmt gar nicht, sagt Rechtsanwalt Robert Kerschbaumer.

Was war passiert? Im Frühjahr dieses Jahres befand sich die Protestbewegung gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf ihrem Höhepunkt. Nicht nur in der Bundeshauptstadt fanden Demonstrationen mit zum Teil tausenden Teilnehmern statt, auch in Landes- und Bezirkshauptstädten wurden regelmäßig Versammlungen abgehalten.

Posting geteilt

So auch an einem Samstagnachmittag im Februar in Innsbruck, als hunderte Demonstranten durch die dortige Innenstadt zogen. Ein Vorfall bei dieser Demo zieht nun indirekt juristische Folgen nach sich und könnte die Gerichte hierzulande noch monatelang beschäftigen: Der eingangs erwähnte Polizeibeamte, der bei der Demo im Einsatz war, geht gegen hunderte Corona-Maßnahmen-Kritiker juristisch vor.

Es geht um Personen, die ein Posting mit folgendem Inhalt teilten: "Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in Innsbruck. Ein 82-jähriger, unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig." Angefügt wurde auch ein Bild des betreffenden Beamten.

Untersagung der Demonstration

Bei der Versammlung selbst begleitete die Polizei zwei Demozüge. Ursprünglich war die Veranstaltung, die unter dem Motto "Friede, Freiheit, Souveränität, Regierungsmaßnahmen" angemeldet wurde, zuerst untersagt. Laut der Tiroler Tageszeitung kam es zu Anti-Kurz-Sprechchören, außerdem wurde gebetet. Zum Schluss ist es jedenfalls zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Auslöser war die Festnahme eines Mannes, der sich laut der Polizei weigerte, eine Maske zu tragen. Wie Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung festhält, erlitt der Mann Verletzungen. In einer weiteren Anfragebeantwortung schreibt Nehammer: "Im Wege eines Dialogs wurde durch mehrmalige Aufforderung versucht, den Mann zu rechtskonformem Verhalten und zur Einhaltung der Covid-Maßnahmen zu bewegen. Die Verweigerung der Bekanntgabe der Identität und die Fortsetzung der strafbaren Handlung führten zur Festnahme, welcher sich die Person mittels aktiven Widerstands gegen die Staatsgewalt zu widersetzen versuchte. Die Fixierung war zur Durchsetzung der rechtmäßigen Festnahme erforderlich."

Andere Demonstranten, darunter auch der angesprochene 82-Jährige, wollten dem Mann laut Medienberichten helfen – es entwickelte sich ein Tumult, und in dem Zusammenhang wurde auch der 82-Jährige festgenommen. In sozialen Netzwerken wurde der Exekutive von Aktivisten daraufhin Unverhältnismäßigkeit vorgeworfen.

Nicht direkt involviert

Der Polizist, von dem in der Folge ein Foto samt den eingangs erwähnten Vorwürfen in sozialen Netzwerken die Runde machte, sei aber bei der Amtshandlung gar nicht direkt involviert gewesen, sagt sein Rechtsanwalt Robert Kerschbaumer. Vielmehr habe er die Amtshandlung lediglich abgesichert, indem er mit anderen Beamten einen Kreis um den Ort der Festnahme bildete. Von der Amtshandlung selbst sei er mehrere Meter entfernt gewesen und sei zudem mit dem Rücken dazu gestanden, mit der Verhaftung selbst habe er also gar nichts zu tun gehabt. Auf einem Video ist auch erkennbar, dass der Polizist bei der Festnahme nicht involviert war, sondern die Szenerie gegenüber anderen Demonstranten absicherte.

Etwa 300 Personen, die das Posting geteilt haben, wurden bereits angezeigt. "Es werden aber sicher tausend bis 1500 werden", sagt Anwalt Kerschbaumer. Es geht um den Vorwurf der üblen Nachrede. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in diesen Fällen deshalb, weil es sich beim Betroffenen um einen Polizisten handelt. Zudem sollen auch medien- und zivilrechtliche Ansprüche eingeklagt werden. Allein in den kommenden Wochen sollen fünfzig Prozesse in Klagenfurt und Innsbruck stattfinden.

Einige Verhandlungen gingen zudem schon über die Bühne. Zum Beispiel gegen vier Angeklagte im Juli in St. Pölten. Es kam zu einer Diversion, wie der Kurier berichtete. Doch es gab auch schon Verurteilungen. Ein Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz liegt dem STANDARD vor, der Betroffene wurde wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe in der Höhe von etwa 700 Euro verurteilt. Zudem muss er eine medienrechtliche Entschädigung von 500 Euro zahlen; unter anderem erkennt das Gericht in dem Posting auch den Vorwurf, der Beamte habe Amtsmissbrauch begangen. Zudem muss er das Posting löschen.

Ein begrüßenswertes Urteil, sagt Rechtsanwältin und Hass-im-Netz-Expertin Maria Windhager, die auch den STANDARD in medienrechtlichen Fragen vertritt: "Es ist gut, dass Gerichte bei der Bekämpfung von Phänomenen rechtswidriger Veröffentlichungen immer genauer hinschauen."

Einige Anklagen

Insgesamt sei es bisher zu einer "mittleren zweistelligen Anzahl" an Anklagen und einer "niedrigen zweistelligen Anzahl" an Verurteilungen gekommen, sagt Kerschbaumer. Freisprüche seien dann erfolgt, wenn Personen nachweisen konnten, das jemand anderes Zugang zu ihrem Facebook-Profil gehabt habe.

Immer wieder wird die Exekutive bei Corona-Demos von den Teilnehmern direkt adressiert; etwa mit der Aufforderung, sich anzuschließen. Auch bei dieser Demo soll es zuerst zu "Danke, Polizei!"-Rufen gekommen sein. Doch zum Schluss schlug die Stimmung offensichtlich um. (Vanessa Gaigg, 20.9.2921)