Manchmal streng väterlich, aber meist sehr wertschätzend und unterhaltsam für das Publikum verlief das Gespräch zwischen Kevin Kühnert (l.) und Gregor Gysi.

Foto: Tränenpalast/Marcus Herold

Berlin – Gregor Gysi ist 73, gelernter Anwalt und blickt auf eine lange Karriere bei SED, PDS und Die Linke, wo er bis 2015 Fraktionsvorsitzender im Bundestag war, zurück. Kevin Kühnert ist 31, wurde 2017 Bundesvorsitzender der Jusos und 2019 stellvertretenden Bundesvorsitzender der SPD. Was die beiden eint: Sie sind beide eloquente Berliner, prononcierte Linke und kandidieren für den Bundestag, der eine angeblich zum letzten, der andere zum ersten Mal.

Gysi hat im Berliner Kabarett-Theater Distel eine Gesprächsreihe namens "Missverstehen Sie mich richtig", zu der am Sonntag Kühnert eingeladen war und zu Beginn väterlich gegrillt wurde. Dass Kühnert seine Studien der Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie später der Politologie abgebrochen hat, gefiel Gysi, der selbst alleinerziehender Vater war, nicht. Wäre er sein Vater, hätte er da nicht zugesehen, "man muss Dinge zu Ende bringen", rügte er den Jüngeren.

Keine Groko mit Kühnert

Ansonsten waren sich der Ostberliner und der "westberliner Junge", wie sich Kühnert selbst nennt, aber oft einig. Kühnert, Hoffnung des linken Flügels in der SPD, hatte schon zuvor angedroht, den Bundesvorstand zu verlassen, sollte seine Partei eine Neuauflage der großen Koalition realisieren, und bekräftigte auf der Bühne: "Die überwältigende Mehrheit der SPD will die CDU in die Opposition schicken."

Das gefiel Gysi sichtlich, wäre doch eine rot-rot-grüne Koalition rein rechnerisch eine Option. Den von seiner Partei propagierten Nato-Austritt erwähnte Gysi am Sonntag lieber nicht, fragte Kühnert nur, ob dieser sich auch innerhalb der Nato Deutschland verstärkt in einer Berater-Rolle vorstellen könne. Er kann, allerdings solle man nicht mit jedem Regime verhandeln, so Kühnert.

Das "Totschlagargument DDR" gegen linke Politik nahm man gemeinsam scherzend auseinander. Für Kühnert sei selbiges ein Vorwand der "Denkfaulen, die sich nichts Neues überlegen wollen". Immerhin lebe man in einer Demokratie und nicht in einer Diktatur, das sei ein grundlegender Unterschied, betonten beide Männer.

Zeitzeugenberatungen

Gysi machte Kühnert darauf aufmerksam, dass die Grüne Renate Künast sagte, Kühnert wolle "die DDR-Wirtschaft einführen", und setzte nach: "Ich würde dir davon abraten, die DDR-Wirtschaft einzuführen." Gelächter und Applaus im ausverkauften Saal. Kühnert: "Ich werde Frau Künast sagen, ich habe mich mit einem Zeitzeugen beraten."

Zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes, den SPD-Kandidat Olaf Scholz von 42 auf 45 Prozent erhöhen will, erinnerte Kühnert an den früheren CDU-Kanzler Helmut Kohl, bei dem er 53 Prozent betrug. Gysi dazu: "Ich kannte Helmut Kohl. Er war kein Linksextremist."

Am Ende las der zuvor frei plaudernde Gysi hörbar gerührt Wünsche von einem Zettel ab: Kühnert solle nach zwei Perioden im Bundestag zwei Perioden Pause machen, einem ganz anderen Beruf nachgehen und dann "souverän" wiederkehren. Vielleicht als Bundeskanzler. Und: "Du hast das Recht, mich immer zu fragen, wenn du einen Rat brauchst oder es dir nicht gutgeht." (Colette M. Schmidt aus Berlin, 21.9.2021)