Ein Mann steht im Mittelpunkt: Joe Biden wird erstmals als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen das Wort ergreifen. Gleich am Dienstag soll Biden in der jährlichen Generaldebatte auftreten. Bei seiner Premiere in New York dürfte dem US-Präsidenten die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft sicher sein. "Der große Star wird Biden sein", heißt es etwa bei Passblue, einem UN-Magazin.

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Joe Biden führt die USA in schwierigen Zeiten an.
Foto: Al Drago/Getty Images/AFP

Der Lenker des wichtigsten UN-Mitgliedslandes absolviert sein Rededebüt in einer Zeit großer Krisen und Umbrüche: von der Corona-Pandemie über den sich immer weiter verschärfenden Klimawandel bis hin zu schwelenden Konflikten wie dem rund um das Atomprogramm des Iran und Kriegen wie in Syrien.

Biden, so schätzen Diplomaten die Lage ein, wird den globalen Führungsanspruch der USA unterstreichen. Doch dürfte der US-Präsident auch die Hand zu grenzüberschreitender Kooperation reichen – ganz im Gegensatz zu der ruppigen America-First-Strategie seines Vorgängers Donald Trump. Die aktuelle US-Botschafterin bei den UN, Linda Thomas-Greenfield, betonte im Vorfeld der Generaldebatte noch einmal "unser Bekenntnis zum Multilateralismus".

Hybrides Treffen

Zu der Generaldebatte reisen dutzende Staats- und Regierungschefs persönlich an – trotz der Empfehlung der US-Regierung an die Toppolitiker, wegen Covid-19 auf einen Trip an den East River zu verzichten. In einer diplomatischen Note der US-Vertretung an alle UN-Mitgliedsländer heißt es: "Im Lichte der aktuellen Gesundheitsschwierigkeiten sollten die Delegationschefs erwägen, ihre Statements in der Generaldebatte der Vollversammlung per Video zu halten."

Überschattet wird das Stelldichein vom Afghanistan-Desaster der USA und ihrer Verbündeten. Die Gegenspieler der USA werden in der großen UN-Aussprache wohl genüsslich den Finger in diese frische Wunde legen. Die Frage ist, mit welchem Grad der Häme Vertreter Kubas, Venezuelas, Chinas oder Russlands das Debakel kommentieren.

Auch das zerrüttete Verhältnis der USA und Chinas dürfte für Zündstoff sorgen. Zu einem direkten Treffen Bidens mit Chinas Präsident Xi Jinping im Haus der Vereinten Nationen kommt es nicht – Xi reist nicht an. Die Beziehungen zwischen den beiden mächtigsten Staaten der Welt bezeichnet UN-Generalsekretär António Guterres als "total dysfunktional".

Washington und Peking im Clinch

Das wirke sich "natürlich auf die Lösungsmöglichkeiten für viele Probleme aus, die wir haben". Und zwar negativ. Anstatt in Krisen wie der Covid-19-Pandemie zu kooperieren, verharren Washington und Peking im Clinch – und verschleppen somit weitere Strategien zu ihrer Bewältigung. Immerhin will Biden am Mittwoch einen virtuellen Impfgipfel abhalten. Das Ziel: Reiche Staaten sollen sich zur Weitergabe von Impfdosen an arme Staaten verpflichten.

Doch auch das Zusammenspiel der westlichen Staaten wird immer wieder Stresstests unterzogen. So verärgert der neue Indopazifik-Pakt zwischen den USA, Großbritannien und Australien die politische Führung Frankreichs. Diese Vertrauenskrise mindert das Vermögen der westlichen Länder, innerhalb der Vereinten Nationen an einem Strang zu ziehen. Hätte ein persönliches Treffen zwischen US-Präsident Biden und Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron am Rande der UN-Generaldebatte den Riss etwas kitten können? Vielleicht. Ein Zusammenkommen wird es aber nicht geben, auch Macron tritt die Reise über den Atlantik nicht an.

Wer vertritt Kabul?

Genauso lässt sich die Frage noch nicht beantworten, wer Afghanistan in der Generaldebatte vertritt. Wird es ein Diplomat der gestürzten Regierung sein? Oder werden die Taliban die UN davon in Kenntnis setzen, dass sie ihr Land jetzt auch diplomatisch vertreten wollen? Erst am Montag nächster Woche, zum Ende der Generaldebatte, könnte Klarheit herrschen. Afghanistan nimmt auf der UN-Rednerliste den letzten Platz ein. (Jan Dirk Herbermann, 21.9.2021)