Als Anhängsel des Geothermiekraftwerks Hellisheiði im Südwesten von Island filtert die Anlage Orca ab sofort Kohlendioxid aus der Atmosphäre.
Foto: Climeworks / Arni Saeberg

Für einen Euro etwa ein Kilo CO2 permanent aus der Atmosphäre entfernen – diesen Deal bietet seit kurzem das Schweizer Start-up Climeworks in diversen Abomodellen an. Das Besondere daran: Hier werden keine Bäume gepflanzt oder Einsparungen gegengerechnet. In der gerade erst eröffneten Anlage Orca in Island wird das CO2 direkt aus der Umgebungsluft gefiltert.

Wie fast alle CO2-Abscheidemethoden nutzt das Verfahren den Säurencharakter der Moleküle, um sie von basischen Aminen "einfangen" zu lassen. Climeworks schickt das gewonnene CO2 dann in isländische Bohrlöcher, wo es dank spezieller geologischer Gegebenheiten mineralisiert, also zu Gestein, wird. 4000 Tonnen pro Jahr soll Orca so schaffen. Geht man von Pro-Kopf-Emissionen von sechs Tonnen pro Jahr aus, könnte man also den Klimafußabdruck von 670 Österreichern damit egalisieren – oder ein 2750stel des derzeitigen Ausstoßes des Stahlkonzerns Voestalpine.

Eine von vielen Lösungen

Sind diese Direct-Air-Capture- (DAC-)Verfahren von Climeworks und Mitbewerbern nun die Lösung für den Klimawandel? Schon das Rechenbeispiel zeigt: Es wird schwer, wesentliche Anteile der anthropogenen Treibhausgase damit abzuscheiden. Auch bei Climeworks selbst verweist man darauf, dass die Lösung nur eine von vielen sein kann. In der Vergangenheit nannte man das Ziel, ein Prozent der bisherigen Jahresemissionen zu erreichen. 750.000 Schiffscontainer voll Filtertechnik seien dazu nötig.

Auch Tobias Pröll vom Institut für Verfahrens- und Energietechnik der Wiener Boku verneint die Frage, ob DAC-Technologien große Bedeutung für die Abmilderung der Klimakatastrophe hätten. Sein zentrales Argument: "Die CO2-Abscheidung aus Umgebungsluft ist mindestens um das Dreifache energieaufwendiger und benötigt rund zehn Mal höhere Investitionen als jene aus Abgasströmen", betont der Wissenschafter, der einen Vergleich der Verfahren im Fachjournal "Industrial & Engineering Chemical Research" publizierte.

Die neue Orca-Anlage filtert CO2 direkt aus der Luft. Um so nachhaltig Treibhausgase zu reduzieren bräuchte es Berge an Filtertechnik.
Foto: Climeworks

Einfache Ziele bevorzugt

Um eine schnelle Emissionssenkung voranzutreiben, müsse man sich zuerst auf einfacher umsetzbare Technologien konzentrieren, die ein höheres Potenzial zur CO2-Reduktion haben – zum Beispiel bei der Wasserstoffproduktion. Denn was als Energieträger der Zukunft gilt, wird in Österreich und weltweit hauptsächlich noch aus Erdgas gewonnen. "Bei der Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff entsteht jetzt schon reines CO2", erklärt der Wissenschafter. "Doch nur ein sehr kleiner Teil davon wird genutzt. Der Rest geht in die Atmosphäre."

Dank der Untätigkeit bei der Reduktion des Ausstoßes ist der Einsatz von Negative-Emission-Techniken, die also CO2 aus dem Kreislauf nehmen, kaum noch abwendbar. In einem IPCC-Bericht von 2018, in dem sich der Weltklimarat sich dem Erreichen des 1,5-Grad-Ziels widmete, kommen drei von vier errechneten Szenarien nicht mehr ohne Carbon-Capture-and-Storage-(CCS-)Technologien aus, bei denen CO2 meist aus Industrieprozessen abgeschieden und langfristig in der Erde gespeichert wird.

Nur im optimistischsten Szenario, das eine – absolut nicht absehbare – schnelle, radikale Dekarbonisierung vorsieht, würden dagegen Maßnahmen wie Aufforstung oder Anpassungen der Landnutzung ausreichen.

Demonstrationsanlagen

Abscheidetechnologien für CO2 aus Abgasströmen sind mittlerweile in industriellen Demonstrationsanlagen vorhanden. Eines der größten ist etwa das Boundary Dam Carbon Capture Project in Kanada, bei dem bis zu 90 Prozent des CO2 in einem Kohlekraftwerkblock, der Energie für etwa 100.000 Haushalte erzeugt, abgeschieden wird. Das gewonnene CO2 wird ironischerweise in den USA zur weiteren Ölförderung verwendet.

Ein breiterer Einsatz der Technologie in Europa werde vor allem mit der Entwicklung von CO2-Bepreisung und Emissionshandel zusammenhängen, betont Pröll. "Ich schätze, dass die Industrie ab einem CO2-Preis von 100 Euro pro emittierte Tonne von selbst beginnen wird, CCS-Technologien zu adaptieren." Immerhin: Nach starken Anstiegen durchbrach der CO2-Preis heuer die 50-Euro-Marke. Beim Abopreis von Climeworks liegt man bei 1000 Euro pro Tonne.

Das abgeschiedene CO2 von Climeworks wird in Bohrlöcher verfrachtet, wo es dank spezieller geologischer Gegebenheiten zu Gestein mineralisiert.
Foto: Carbfix - Photo by Sandra O Snaebjornsdottir

Ein weiterer Hemmschuh ist die Akzeptanz der Technologie in der Bevölkerung. Vor allem die unterirdische langfristige Speicherung wird als risikobehaftet und unsicher gesehen. Auch Pröll glaubt nicht, dass irgendwann auf dem europäischen Festland unterirdische Speicher entstehen werden, verweist aber etwa auf Norwegen, wo eine Offshore-Lagerstätte erschlossen und bereits Lager- und Transportinfrastruktur aufgebaut wird.

CO2-Abfallwirtschaft

"Es sollte sich eine Abfallwirtschaft entwickeln, die CO2 wie Sondermüll nach bestimmten Vorgaben transportiert und entsorgt", sagt der Forscher. Gerade in Österreich scheint das Interesse an den Abscheidungstechnologien – egal ob aus Luft oder Abgasen – aber wenig ausgeprägt.

Pröll hat etwa vor wenigen Jahren am Projekt Vienna GreenCO2 – finanziert vom Klimafonds mit Mitteln des Klimaschutzministeriums – an einer Abscheidetechnik mitgearbeitet. Sie ähnelt vom Ansatz her jener von Climeworks, ist aber auf industrielle Abgasströme abgestimmt. Eine Pilotanlage ging an einem Biomassekraftwerk in Wien-Simmering in Betrieb. Doch nun wird die Technologie von einem Wirtschaftspartner im Projekt in den Niederlanden weiterentwickelt, sagt Pröll.

Übergangslösung

Letztendlich werden die CO2-Abscheidetechniken wohl ihren Platz in der Klimazukunft finden – zumindest als Übergangslösung bis zur Verfügbarkeit von nichtfossilen Anwendungen. Denkbar, aber noch ferne Zukunftsmusik, sind zudem Ansätze, bei denen ein Verbrennungsprozess selbst so manipuliert wird, dass reines, sofort abscheidbares CO2 entsteht, Stichwort: Chemical Looping. Und auch die Direktabscheidung aus der Luft à la Climeworks wird eine Rolle spielen, um nicht vermeidbare Emissionen wieder aus der Atmosphäre zu holen.

Climeworks, dessen Dienste bereits knapp 9000 Mal abonniert wurden, sucht bereits weitere Standorte. Auch Microsoft, das durch eine Reihe solcher Negative Emission Technologies bis 2030 klimaneutral werden will, setzt unter anderem auf das Start-up. Bei steigenden Preisen für saubere Energie wird das Verfahren aber dort eingesetzt werden müssen, wo diese Energie im Überfluss vorhanden ist – wie an jenem Geothermiekraftwerk in Island, wo Orca zu finden ist. (Alois Pumhösel, 24.9.2021)