Der hohe Anteil versiegelter Flächen im urbanen Raum ist gleich doppelt nachteilig: Zum einen verhindert er, dass Regenwasser im Boden versickert. Das Wasser fließt dadurch ungenutzt durch die Kanäle ab und kann diese bei besonders starken Regengüssen sogar überfluten. Als Folge davon stehen immer wieder ganze Straßenabschnitte unter Wasser.

Zweitens sind Asphalt und Beton gute Wärmespeicher und tragen insbesondere in den heißen Sommermonaten zu einer Erhöhung der Umgebungstemperatur bei. Ein Konzept, das seit gut 20 Jahren vorwiegend im akademischen Bereich diskutiert wird, jetzt aber immer öfter auch in die städtebauliche Realität Einzug erhält, soll beide Probleme auf einmal lösen – die Schwammstadt.

Dem Klimawandel das Wasser abgraben: Das Schwammstadtprinzip bringt das Regenwasser dorthin, wo man es braucht – und gibt Stadtbäumen Raum zum Wurzeln.
Foto: 3:0 Schwammstadtarchitektur

Die Schwammstadt kombiniert das Ansinnen, Regenwasser dorthin zu leiten, wo man es braucht, mit der Binsenweisheit, dass Bäume vorteilhaft für das urbane Mikroklima sind. Einerseits spenden sie Schatten, andererseits reduzieren sie durch Verdunstung die Temperatur. Dazu muss man Bereiche schaffen, die Wasser – ähnlich wie der namensgebende Schwamm – speichern und kontinuierlich an dort gepflanzte Bäume abgeben können.

330 neue Bäume

In der Seestadt Aspern, dem gewaltigen Stadterweiterungsareal im Osten Wiens, wird dieses Konzept jetzt in großem Stil erprobt. Rund 20.000 Quadratmeter Straßenfläche sind hier im Rahmen eines Pilotprojekts nach dem Schwammprinzip ausgeführt. Auf Einladung der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) wurde das Projekt kürzlich vor Ort präsentiert. Federführend für die Umsetzung verantwortlich ist neben der Wiener Stadtbaudirektion das Landschaftsarchitekturbüro 3:0.

Im Mai 2020 haben die Grundarbeiten begonnen, bis zum Frühjahr 2022 sollen die Bepflanzungen abgeschlossen sein. Insgesamt werden dann 330 neue Bäume ausgewählte Straßenzüge der Seestadt flankieren, genährt und getränkt von den unterirdischen Speicherkörpern.

Die Schlüsselkomponente dabei ist die etwa 70 bis 80 Zentimeter dicke wasserspeichernde Schwammschicht, die sich in rund eineinhalb bis zwei Meter Tiefe unter den als Pflanzenbeete ausgeführten Baumstandorten befindet. Sie besteht aus grobem Schotter mit einer Korngröße von ungefähr zwölf Zentimetern. Dadurch enthält die Schicht ausreichend Hohlräume, durch die hindurch sich die Baumwurzeln ausbreiten können. Gleichzeitig ist sie stabil genug, dass sie ohne Gefahr von Setzungen theoretisch sogar von Autos befahren werden könnte.

Verschiedene Baumarten

Die Hohlräume sind mit einem Substrat aus Sand, Kompost und Pflanzkohle ausgefüllt, das zwei Funktionen erfüllt: Es kann Wasser speichern und auch Nährstoffe abgeben. Das Substrat ist eine gemeinschaftliche Entwicklung der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn, der Wiener Stadtgärten, des Bundesamts für Wasserwirtschaft und von 3:0.

Über der Schwammschicht befindet sich die Baumscheibe. Gepflanzt werden in der Seestadt verschiedene Baumarten, die sich besonders dadurch auszeichnen, dass sie auch mit Hitzestress und Trockenperioden zurechtkommen (mit denen in Zeiten des Klimawandels vermehrt zu rechnen ist). Dazu zählen etwa der fruchtlose Maulbeerbaum, Feldahorn, Hopfenbuche und einige Ulmensorten.

Das Prinzip der Schwammstadt sieht vor, dass idealerweise das gesamte Regenwasser von den Bäumen verstoffwechselt beziehungsweise via Verdunstung an die Luft abgegeben wird. "Unser Ziel ist, dass 90 Prozent des Wassers im System bleiben", sagt Daniel Zimmermann von 3:0. Ein Kubikmeter Schwammschicht kann immerhin bis zu 300 Liter Wasser zwischenspeichern. Das reicht locker auch für extreme Starkregen – allerdings nicht zu viele hintereinander.

Mehr Platz für Wurzeln

Das Schwammstadtprinzip löst noch ein weiteres Problem, mit dem Städte oft zu kämpfen haben. Da der Untergrund meist von zahlreichen Verrohrungen für verschiedenste Infrastrukturen benutzt wird, bleibt nur wenig Platz für das Wurzelwachstum von Bäumen.

Gleichzeitig gilt aber die Faustregel, dass ein Baum so viel Volumen für die Wurzeln benötigt wie für seine Krone. "Sonst hört er irgendwann auf zu wachsen, und wir haben lauter Bonsaibäume", moniert Zimmermann. Auch die Lebensdauer bleibt dann oft auf mickrige zwei bis maximal drei Jahrzehnte begrenzt. In der Schwammschicht finden die Wurzeln hingegen ausreichend Platz zur Entfaltung.

Ob das tatsächlich zu gesünderen Bäumen führt, ist – neben anderen Fragestellungen – Gegenstand eines Monitoringprozesses, der das Projekt fünf Jahre lang begleiten wird. Dafür gibt es einen Vergleichsbaum, der nicht über einem Schwammkörper gepflanzt ist. In wenigen Jahren wird sich dann zeigen, ob nicht nur die Bewohner, sondern auch die Bäume von der Schwammstadt profitieren. (Raimund Lang, 23.9.2021)