Der Aufschwung der heimischen Wirtschaft kommt nun auch deutlich am Arbeitsmarkt an. Die Zahl der Arbeitslosen, die vor allem seit der Öffnung von Hotellerie und Gastronomie nach dem Lockdown Monat für Monat zurückgegangen ist, liegt nun erstmals unter dem Vorkrisenniveau. Mit 268.028 beim Arbeitsmarktservice gemeldeten Menschen gibt es laut Arbeitsministerium 1.129 Arbeitslose weniger als in der Vergleichswoche im Jahr 2019.

In Wien sei der absolute Rückgang sehr groß, der relative Rückgang sei in Oberösterreich am größten, sagt Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) im ORF-Radio. Rechnet man jene 67.030 Personen ein, die in Schulungen sitzen, ist die Gesamtzahl der Arbeitslosen allerdings um knapp 6.000 höher als vor zwei Jahren. Auch die Zahl der Schulungsteilnehmer ist mit 67.030 um gut 7.100 höher als im September 2019.

Immer noch müssen viele Menschen zum AMS pilgern, auch wenn die Arbeitslosigkeit stetig zurückgeht.
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Dass die Krise noch nicht verdaut und das strukturelle Problem am heimischen Arbeitsmarkt immer drängender wird, zeigt eine andere Zahl: Rund 120.000 offene Stellen sind allein beim Arbeitsmarktservice gemeldet. "Mit deutlich mehr als 200.000 offenen Stellen auf der AMS-Plattform 'Alle Jobs' gibt es schon fast so viele offene Stellen wie Arbeitslose", erklärt WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf.

Druck aus der Wirtschaft

Die Wirtschaft drängt schon länger auf Reformen, denn viele Betriebe in den Bundesländern tun sich zunehmend schwer, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Kocher gibt nun quasi offiziell den Startschuss zur angekündigten Arbeitsmarktreform: "Die Überwindung der Krise am Arbeitsmarkt zeigt einmal mehr, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um einen Reformdialog zur Arbeitslosenversicherung neu zu starten", lässt der Arbeitsminister wissen.

"Die Einführung eines degressiven Arbeitslosengeldes oder die Änderung der Zuverdienstgrenze", erneuert Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger seine wichtigsten Punkte in der Frage. Angesichts des Fachkräftemangels müsse man auch die "Beschäftigungsanreize" erhöhen, wiederholt auch Kopf die Forderungen der Wirtschaftskammer. Auch er sieht die Zuverdienstmöglichkeit während der Arbeitslosigkeit in vielen Fällen als ein Hindernis für die Aufnahme eines Jobs.

Viele offene Jobs und viele Arbeitslose: Inwieweit die Konzeption der Arbeitslosenunterstützung dazu beiträgt, wird schon lange diskutiert. Die Notstandshilfe abzuschaffen und in die Sozialhilfe zu integrieren wurde vor nicht allzu langer Zeit debattiert. Die Idee wurde wieder fallen gelassen.
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Der ÖGB fokussiert auf eines der großen strukturellen Probleme, die Langzeitarbeitslosigkeit. Angesichts der hohen Zahl jener, die schon länger als ein Jahr beim AMS gemeldet sind, pocht man auf die Verlängerung der Aufstockung der Notstandshilfe, bis die Krise vorbei ist. Die Regelung würde Ende September auslaufen. Viele Langzeitarbeitslose, besonders Ältere, würden von Unternehmen oft gar nicht eingestellt, meint Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB.

Tatsächlich ist der Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit an der gesamten Arbeitslosigkeit (2020) hierzulande mit 24,5 Prozent laut Eurostat unter dem Schnitt der EU-27. Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern ist er aber hoch. Schweden hat etwa einen Anteil von 14,4 Prozent, Finnland liegt bei 15,4, Dänemark bei 16,5 Prozent. Vor der Krise lag Österreich bei rund einem Viertel – und damit im OECD-Mittelfeld. Das heimische System dürfte dabei eine Rolle spielen. Neu ist die Diskussion darüber nicht: Nicht allzu ist es her, dass die Idee, die Notstandshilfe abzuschaffen und in die Sozialhilfe zu integrieren, rasch wieder zu Grabe getragen worden ist.

Skandinavische Länder werden gerne als Vorbild genannt, wenn es um den Arbeitsmarkt geht. In Dänemark ist derzeit die Arbeitslosenrate niedriger als in Österreich, in Finnland und Schweden hingegen höher. Unterschiede gibt es auch beim Arbeitslosengeld.
Grafik: STANDARD

Das Arbeitslosengeld ist zwar mit einer Nettoersatzrate von 55 Prozent vergleichsweise niedrig, dafür kann es ein Langzeitarbeitsloser in Form der Notstandshilfe zeitlich unbeschränkt beziehen. Arbeitsmarktforscher Lukas Lehner von der Universität Oxford hat Vergleichszahlen parat. In Dänemark startet die Unterstützung mit 82 Prozent, in Schweden mit 69 Prozent, in Finnland mit 58 Prozent.

Nach zwei Jahren steht den Dänen 82 Prozent des letzten Nettoeinkommens zur Verfügung, den Schweden seit dem 6. Monat ihrer Arbeitslosigkeit 59 Prozent, den Finnen nur 31 noch Prozent. Langfristig fällt die Unterstützung in Dänemark dann auf 50 Prozent, also etwa auf die gleiche Höhe wie die österreichische Notstandshilfe.

Sozialleistungen

Der Forscher verweist gegenüber der Austria Presseagentur darauf, dass das Bild ohne Einrechnung anderer Sozialleistungen, die in der Arbeitslosigkeit oft nicht gekürzt werden, aber unvollständig ist. So gerechnet steht Österreich vergleichbar mit Schweden da. Die Rechnung, die Lehner laut APA anstellt, lautet so: Nimmt man eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern, dann kommt diese nach OECD-Zahlen auf eine Nettoersatzrate von 76 Prozent und damit auf kaum weniger als in Dänemark (88 Prozent), Finnland (82 Prozent) oder Schweden (77 Prozent).

Lehner nennt einen weiteren Punkt: In Dänemark suchen rund 20 Prozent, in Schweden 30 Prozent aller Arbeitslosen weniger als einen Monat lang einen Job. In Österreich fänden nicht einmal zehn Prozent so schnell auf den Arbeitsmarkt zurück. In Skandinavien verliere man leichter den Job, komme aber auch schneller wieder in die Arbeit zurück. (Regina Bruckner, 22.9.2021)