„Ich wollte die Würde, Vielfalt und Widerstandsfähigkeit zeigen, die ich bei New Yorkern in der schwierigen Zeit der Pandemie erlebt habe.“ Nach 25 Tagen Krankheit und ewig scheinender Corona-Quarantäne zu Beginn der Pandemie begann der Fotograf AJ Stetson, New Yorker und ihre Masken auf der Straße zu fotografieren und so die kreative Vielfalt der Stadt zu dokumentieren. Daraus entstand „Masked NYC: Witness to Our Time“, eine Sammlung von mehr als 1.000 Porträts. In verschiedensten Stadtgegenden waren die Fotos auf großen Postern zu sehen, angebracht auf Zäunen rund um Schulen oder Gärten. „Da viele Museen geschlossen waren, stellte ich im Freien aus“. Alle Gewinne spendet der Fotograf an den Covid Relief Fund der Know Your Rights Campaign.

Masked NYC.
Foto: AJ Stetson
Ausstellung der Fotos auf dem Zaun einer Schule.
Foto: AJ Stetson
Ausstellungsort Quäkerhaus.
AJ Stetson

Um den erforderlichen Abstand einzuhalten, verwendete Stetson ein Teleobjektiv und fotografierte aus vier Metern Distanz. Zunächst beschränkte er sich aufs Fotografieren seiner Mitbewohner in einem gemeinschaftlichen Quäkerhaus oder von Freunden und Bekannten. Dann begann er, mit dem Rad in andere Stadtteile zu fahren und auf der Straße zu fotografieren. „Es war eine tolle Zeit, um Rad zu fahren. Es gab keinen Verkehr.“ Das Einhalten von Richtlinien und Regeln war ihm wichtig. „Ich bat immer um Erlaubnis. Im Fall von Kindern fragte ich die Eltern. Ich wollte sicherstellen, dass ich die Menschen, die ich fotografierte, respektierte und ihre Ausstrahlung einfange.“ Er sammelte die Kontaktinformationen der fotografierten Personen, um ihnen die fertigen Fotos zusenden zu können.

„Wir alle erleben die Unannehmlichkeit, unsere Gesichter bedecken zu müssen. Wir tragen die Masken, um uns gegenseitig zu schützen. Dieser Akt der Empathie hat eine besondere Bindung zwischen uns hergestellt", sagt Stetson. Diese wollte er mit den Porträts einfangen. 

Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson

Dann wurde George Floyd ermordet. „Ich nahm an den Protesten teil, als hinge mein Leben davon ab.“ Stetson erinnert sich, dass bei den Demonstrationen ein unvergessliches Gemeinschaftsgefühl herrschte. „Man bekam bei den Märschen ein Gefühl dafür, was in New York möglich ist. Sie stärkten meinen Optimismus in Bezug auf unsere Fähigkeit, zusammenzukommen.“ 

Hate will not make us great.
Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson
Foto: AJ Stetson

Ein von Stetson bei den Protesten aufgenommenes Foto wurde beim Rockefeller Center als Fahne ausgestellt, Teil des „The Flag Project“.

AJ Stetson

Erinnerungen an die Terroranschläge des 11. September

Stetson ist langjähriger New Yorker und hat die Terroranschläge des 11. September in der Stadt miterlebt. Emotional erinnert er sich an die Stunden danach: „Die ganze Stadt schien auf der Straße zu marschieren. Menschen, die mit Staubschichten bedeckt waren, gingen über den Union Square. Es war, als wäre die größte Parade gerade zu Ende gegangen und hatte sich plötzlich in eine Beerdigung verwandelt. Menschen marschierten und schwiegen. Wie ein Moment der Stille in einem Stadion. Zehntausende Menschen waren so ruhig.“ Die folgenden Wochen waren herzzerreißend. „Am Union Square gab es so viele Denkmäler. Handschriftliche Notizen waren überall. 'Hast du meine Schwester gesehen?' 'Ich suche meinen Bruder.' Tausende Kerzen mit Informationsrufen nach geliebten Menschen, Bilder und Blumen waren überall.“

In den Wochen und Monaten nach 9/11 empfand er ein Gefühl der Brüderlichkeit, der Gemeinschaft, Kommunikation und Zärtlichkeit füreinander. „Als New Yorker sind wir hart, widerstandsfähig und überleben. Es gab damals dieses Empfinden der kollektiven Resilienz. Gemeinsam werden wir das durchstehen.“ 

Bei den Black-Lives-Matter-Protesten nach der Ermordung von George Floyd empfand und erlebte er ein ähnliches Gefühl der Solidarität und des Zusammenhaltes. Nun stellt sich für ihn die dringende Frage: „Sowohl 9/11 als auch die Ermordung George Floyds waren Akte der Gewalt. Braucht es Gewalt, um uns zu anständigeren Menschen zu machen? Geht das auch ohne den Funken der Gewalt?“ (Stella Schuhmacher, 7.10.2021)

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