Österreichs Wirtschaft leidet an einem Höchststand an offenen Stellen.

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Wien – Der Rekord an offenen Stellen quer durch alle Branchen zwingt die Politik zu einer Reform des Arbeitsmarkts. Seit Wochen werden Vorschläge aus dem Arbeitsministerium und dem AMS rund um weniger Zuverdienst und schrittweise sinkendes Arbeitslosengeld diskutiert. Nun bringt sich auch die SPÖ mit Ideen zur Lösung des wachsenden Fachkräftemangels ein.

Eingerechnet jene Menschen, die in Schulung oder Kurzarbeit sind, haben derzeit 400.000 Österreicher keinen Job, rechnet SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner vor. 130.000 seien bereits länger als ein Jahr arbeitslos, darunter viele Frauen und über 50-Jährige. Zugleich fehle es an qualifiziertem Personal. Allein die Pflege benötige in den kommenden zehn Jahren zwischen 70.000 und 100.000 zusätzliche Arbeitskräfte.

Bildung als Schutzimpfung

Eklatant sei der Personalmangel auch in Zukunftsbranchen, die für die Energiewende unabdingbar seien. Für den Ausbau der Stromnetze etwa seien 70.000 zusätzliche Fachkräfte gefragt, von Bauarbeitern bis hin zu Ingenieuren. "Elektriker und Installateure werden nicht vom Himmel fallen", sagt Rendi-Wagner. Es brauche gezielt strukturelle Veränderungen. Bildung sei dafür "die beste Schutzimpfung".

Die Parteichefin pocht darauf, an drei Schrauben zu drehen. Zum einen gehöre die Lehre nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch finanziell aufgewertet. Gelingen könne das mit mindestens 850 Euro Entschädigung im ersten Lehrjahr.

Dass die Meisterprüfung Handwerkern einige tausend Euro abverlangt, hält sie für falsch. Wie die Matura dürfe diese nichts mehr kosten.

Kostenlose Ausbildung

Gratis müsse auch die Ausbildung für Pflegeberufe sein. Rendi-Wagner fordert einmal mehr ein Ausbildungsgehalt von 1.700 Euro monatlich, das der Bund ähnlich wie bei Polizeischülern auszahlt. "Alle finanziellen Hürden in der Pflege gehören aus dem Weg geräumt."

Zum anderen ist die Regierung aus ihrer Sicht gut beraten, Arbeitnehmer zu motivieren, sich für Jobs zu qualifizieren, an denen größerer Bedarf besteht als an ihren bisherigen Berufen. Bisher gebe es einen Fleckerlteppich an Förderungen. Ziel müsse es sein, diese zu vereinheitlichen und damit zumindest 70 Prozent des Netto-Letzteinkommens abzudecken. Das Geld dürfe nicht wie derzeit lediglich ein Jahr fließen, sondern drei. "Viele Arbeitnehmer sind 30, 40 Jahre alt, haben Familie. Sich neu zu qualifizieren muss leistbar sein."

Stärker als bisher gefördert gehöre, wer aus der Arbeitslosigkeit heraus einen Umstieg in andere Branchen wage. Rendi-Wagner drängt auf einen Umstiegsbonus in Höhe von monatlich 500 Euro zusätzlich zum Arbeitslosengeld.

Mehr Lehrstellen und Kinderbetreuung

Am Zug sei auch die Wirtschaft, die im Zuge der Corona-Krise Milliarden Euro an Unterstützung erhalten habe: Unternehmer müssten mehr Lehrstellen bieten. "Es braucht einen Fachkräftepakt zwischen der Wirtschaft und der öffentlichen Hand."

Birgit Gerstorfer, SPÖ-Vorsitzende in Oberösterreich, erinnert an den Ausbau der Kinderbetreuung. Dies würde die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen. In Oberösterreich arbeiteten derzeit 54 Prozent der Frauen Teilzeit. In keinem anderen Bundesland gehe die Schere beim Gehalt und bei der Pension zwischen Männern und Frauen weiter auf.

Die mögliche Höhe der Kosten der geforderten Maßnahmen beziffert Rendi-Wagner nicht. "Wir müssen uns vielmehr fragen, was passiert, wenn sich der Mangel an Fachkräften weiter vergrößert." Der Schaden für die Wirtschaft wäre erheblich, Österreichs Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Scheitere die Klimawende, drohten Strafzahlungen. "Es ist besser, dieses Geld in Beschäftigungspolitik zu investieren."

Raschere Jobvermittlung

Die ÖVP will den Hebel vielmehr bei rascherer Jobvermittlung ansetzen, um zu verhindern, dass sich Arbeitslosigkeit nach sechs Monaten verfestigt. Ihr Ziel ist es, stärker zwischen Menschen zu differenzieren, die der Arbeitsmarkt nicht will und jenen, die es sich in der Arbeitslosigkeit finanziell ganz gut eingerichtet haben. Über Zweiteres klagen unter anderem Friseure: Nicht wenige gelernte Haarkünstler seien arbeitslos gemeldet, arbeiten jedoch geringfügig und zusätzlich ein bis zwei Tage die Woche schwarz. (Verena Kainrath, 22.9.2021)