"Dyfunktionale Medienpolitik" kritisiert ORF-General Wrabetz bei den Medientagen.

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Wien – Es gibt ihn noch, den ORF, als "prägendes" Medienhaus des Landes: Das schreibt sich der scheidende ORF-General Alexander Wrabetz bei den Österreichischen Medientagen als Verdienst seiner 15 Jahre an der Spitze und mehr als 20 Jahre im Management des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu. Gescheitert aber sei er an der "Dysfunktionalität der Medienpolitik".

Wrabetz zog bei den Österreichischen Medientagen am Mittwoch im Gespräch mit Medienberater Hans Mahr (früher "Krone", RTL, nun etwa "Bild") Bilanz über seine eineinhalb Jahrzehnte als ORF-General ab 2007 und noch bis Ende 2021.

Zerstörung des ORF hinausgezögert

Es sei ihm als ORF-General gelungen, die "Zerstörung des ORF" unter der Regierung von ÖVP und FPÖ "hinauszuzögern, bis sich die Regierung selbst zerstörte" mit dem 2019 veröffentlichten Ibiza-Video.

Als Beispiel für medienpolitische "Dysfunktionalität" nannte Wrabetz den für diesen Mittwoch geplanten Ministerratsvortrag, mit dem Kanzler Sebastian Kurz eine Digitalnovelle mit Erleichterungen auf den Weg bringen sollte. Ein weiteres Mal wurde dieses Thema wie berichtet vertagt. Wrabetz über den aktuellen Regierungspartner der ÖVP: "Die Grünen bringen auch nichts weiter."

Unerfüllte digitale Wunschliste

Die Novelle soll dem ORF erlauben, Formate alleine oder zuerst für das Web zu produzieren und seine Sendungen länger zum Abruf bereitzustellen als derzeit sieben Tage, zudem eigenständige Apps sowie Inhalte auf Social-Media-Plattformen wie Youtube. Die Forderungen richtet Wrabetz seit vielen Jahren an die jeweiligen Regierungen, bisher ohne gesetzgeberisches Ergebnis.

Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) habe mit dem ORF-Gesetz von 2001 Verständnis gezeigt für notwendige Entwicklungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sagte Wrabetz: Das Gesetz von 2001 habe dem ORF online viel Spielraum eingeräumt und damit Entwicklung und Bestand von ORF.at zur größten österreichischen Nachrichtenplattform zugelassen.

Gegen langsamen Untergang in der Social-Media-Welt

Auf dieses Verständnis hofft Wrabetz auch bei der aktuellen Regierung von ÖVP und Grünen, beim für Medien zuständigen Kanzler Kurz – für eine Digitalnovelle, die einem langsamen Untergang des ORF in der Social-Media-Welt entgegenwirke.

Sein Nachfolger Roland Weißmann habe für dieses Verständnis womöglich "die besseren Voraussetzungen" – gemeint wohl: als Kandidat der ÖVP-nahen Mehrheit im ORF-Stiftungsrat für die ORF-Führung.

Lockerung im Kartellrecht

"Dysfunktional" ist für Wrabetz aber auch die "europäische Digitalpolitik": Allianzen europäischer Medienhäuser scheiterten mehrfach schon am Kartellrecht, während die digitalen Giganten Google und Facebook den Werbemarkt global aufrollten – und damit eine der bisher wichtigsten Finanzierungsquellen der traditionellen Medien abschöpften.

Markus Breitenecker (ProSiebenSat1Puls4) begrüßte beim TV-Panel der Medientage, dass eine Novelle des österreichischen Kartellrechts Kooperationen von Medienhäusern – als Antwort auf globale digitale Konkurrenz – erleichtern soll. Eine gemeinsame Streamingplattform von ProSiebenSat1 und RTL-Gruppe in Deutschland scheiterte vor Jahren am Nein des Bundeskartellamts.

Allianzen und Kooperationen waren am Mittwoch wie gewohnt Thema des TV-Panels mit dem künftigen ORF-General Weißmann, einem sehr moderaten ProSiebenSat1Puls4-Boss Breitenecker, Servus-TV-Chef Ferdinand Wegscheider und RTL-News-Geschäftsführer Stephan Schmitter.

Keine ORF-Plattform mit Anhängseln

Breitenecker bevorzugt zwar weiterhin eine gemeinsame Streamingplattform für die österreichischen Medienhäuser, ob öffentlich-rechtlich oder privat, doch diese Position habe sich nicht durchgesetzt. Nun gehe es darum, wie die Sender "gut miteinander kooperieren". Es gehe nicht um Konkurrenz um nationale Inhalte, vielmehr um Zusammenarbeit in diesem Feld. Er lässt als Vorstellung durchklingen, dass etwa vom ORF produzierte Formate nicht unbedingt beim ORF laufen müssten, es gehe darum, wo sie ihr Publikum am besten erreichen. Das größte Publikum liefern bisher meist ORF-Programme.

Eine gemeinsame österreichische Streamingplattform fände auch Servus-TV-Intendant Wegscheider "sinnvoll". Das müsse aber eine Zusammenarbeit "auf Augenhöhe" sein, "eine ORF-Plattform mit Anhängseln wird es nicht werden".

Der nächste ORF-General Weißmann bleibt beim Vorhaben eines eigenen ORF-Players. Er verweist auf die Zusammenarbeit von ARD und ZDF – die zwar eigene Mediatheken betreiben, aber seit wenigen Monaten im Kontext und bei Suchen auf Inhalte auch der anderen Anstalt verweisen und verlinken. "Das könnte ein Modell sein", sagte Weißmann bei den Medientagen, neben dem schon vorbereiteten gemeinsamen Login österreichischer Medienhäuser.

Servus TV will zweistellige Marktanteile

Im linearen Fernsehen hat Wegscheider für Servus TV, gerade groß mit Sportrechten von Formel 1 bis Fußball ausgestattet, ein anspruchsvolles Quotenziel: "Ich wäre hier der Falsche, wenn ich mir nicht wünschen würde, zweistellig zu werden", sagte er bei den Medientagen. Derzeit kommt Servus TV als größter Privatsender auf Marktanteile um vier Prozent in der Gesamtbevölkerung. (fid, 22.9.2021)