Es war ein Abgang wie ein Paukenschlag: Aus Protest trat Walter Pöltner, den der Staat als obersten Wächter über das Pensionssystem eingesetzt hatte, zurück. Der bisherige Chef der Alterssicherungskommission hält es für unverantwortlich, dass die Regierung die Pensionen für eine breite Masse schon wieder stärker erhöht als vom Gesetz vorgegeben.

Die Extra-Erhöhung der Pensionen für alle unter 1300 Euro pro Monat ist kein treffsicheres Instrument zur Armutsbekämpfung.
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Den verantwortlichen Politikern geht das am Allerwertesten vorbei. Auf Nachfrage verloren die Seniorenvertreter ein paar nette Worte über Pöltner, Sozialminister Wolfgang Mückstein hielt Allgemeinplätze entgegen. Ernsthaft eingegangen ist der Grüne auf die Kritik nicht.

Sollten sich Regierungen denn per se an Empfehlungen von Experten wie Pöltner halten? Nein. Volksvertreter werden gewählt, um Interessen abzuwägen und dann zu entscheiden. Dass Fachleute eine hundertprozentig objektive Expertise liefern können, an der sich die Politik festhalten kann, ist eine Illusion. Auch Wissenschafter sind keine ideologischen Nullgruppler, die Einstellungen reichen von links bis stramm neoliberal. Das zeigt sich gerade immer wieder in der Pensionsdebatte: Der eine Gelehrte hält das System für grundsolide, der andere sieht es auf dem Weg in den Kollaps.

Teure Folgen von Entscheidungen

Politiker tun also gut daran, Experten nicht zu Gurus zu überhöhen – aber hören sollten sie diese schon. Gerade beim Thema Pensionen, wo scheinbar kleine Entscheidungen horrende Kosten und falsche Anreize nach sich ziehen können, braucht es eine offene Debatte mit der Fachwelt.

Das gilt umso mehr, als Pöltner stichhaltige Argumente bei der Hand hat. Selbst in den Regierungsparteien räumen manche ein, dass die Extra-Erhöhung für alle unter 1300 Euro pro Monat kein treffsicheres Instrument zur Armutsbekämpfung ist. Schließlich kommt da etwa auch die Frau eines reichen Ehemanns in den Genuss, die einst ein bisschen Teilzeit gearbeitet hat. Die Prognosen bescheinigen dem System derzeit zwar eine halbwegs verkraftbare Kostenentwicklung. Doch gibt die Politik laufend mehr Geld aus, als in diesen Szenarien veranschlagt wurde, wirft sie diese selbst über den Haufen.

Wenn Regierungen über die Fachwelt drüberfahren, werden sich kluge Köpfe – wie es Pöltner getan hat – frustriert abwenden. Das mag das Durchregieren vordergründig erleichtern, wird aber die Qualität nachhaltig schädigen. Verliert die Politik die Experten, ist sie selbst bald verloren. (Gerald John, 22.9.2021)