Einfach war die Metallerlohnrunde nie. Aber heuer erscheint der kräftige Wirtschaftsaufschwung besonders verlockend für ein ausgewachsenes Tauziehen mit Metallgewerkschaftschef Rainer Wimmer (vorne).

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Wien – Mit der Forderungsübergabe durch die Produktions- und Privatangestelltengewerkschaft wurde am Donnerstag die Herbstlohnrunde eröffnet. Und quasi ein erster Pflock eingeschlagen. Denn mit 4,5 Prozent haben die Gewerkschaften in der Metalltechnischen Industrie eine kräftige Forderung auf den Tisch gelegt. Mit tausend Euro Lehrlingsentschädigung im ersten Lehrjahr (von derzeit 745 Euro) demonstrieren die Arbeitnehmer-Chefverhandler Rainer Wimmer (Produktionsgewerkschaft) und Karl Dürtscher (Privatangestelltengewerkschaft GPA), dass es auf allen Ebenen rumpeln dürfte.

Die Höhe kommt angesichts der steigenden Inflation und des Wirtschaftswachstums rein rechnerisch nicht ganz überraschend – wie viel davon durchsetzbar ist, werden die Verhandlungen zeigen. Am 29. September ist die erste echte Verhandlungsrunde anberaumt. Arbeitgeber-Obmann Christian Knill zeigte sich in einer ersten Reaktion verärgert. "Die Forderungen sind vollkommen überzogen, das ist verantwortungslos", meinte er nach der Forderungsübergabe. Er sprach von einer "Zumutung", die Arbeitsplätze gefährde und dem Wirtschaftsstandort schade.

Informell hatte die Lohnrunde für die 134.800 Arbeiter und Industrieangestellten der Maschinen- und Metallwarenindustrie (inklusive Gießereien) längst begonnen. Die Vertreter des größten Metall-Fachverbands, der Metallverarbeitungs- und Maschinenbaubetriebe, hatten ihre Ansprüche in den vergangenen Tagen und Wochen ebenso abgesteckt wie die Gewerkschafter. Spürbar müsse der Abschluss sein, und zwar bei den Reallöhnen, postulierten die Arbeitnehmer. Die dürren Zeiten der Pandemie und des Wirtschaftseinbruchs seien vorbei, nun müsse es angesichts der steigenden Inflationsrate Reallohnzuwächse geben. Bei den Gewinnausschüttungen seien die Unternehmer aber auch nicht zimperlich gewesen.

Plafond bald erreicht

Man habe die Pandemie kaum überwunden, noch dämpften Lieferschwierigkeiten den Aufschwung, wurden die Unternehmervertreter rund um Knill, den Chef des analogen steirischen Metallverarbeitungsbetriebs, nicht müde zu betonen. Das verschlechtere Österreichs Lohnstückkostenpositionen – einen der wichtigsten Indikatoren für die Wettbewerbsposition der österreichischen Industrie. Man sei nach dem starken Minus im Vorjahr gerade erst dabei, aus diesem Tal wieder herauszukommen. Daher brauche es Augenmaß, der Plafond des Aufschwungs werde bald erreicht sein.

Das Ziel von Reallohnerhöhungen dürfte eine Herausforderung darstellen. Denn die Auftragsstände verleihen den Arbeitnehmern zwar Rückenwind – Daten der OECD und des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo zeigten aber bereits im Frühjahr, dass die Löhne in Österreich im Vorjahr real um 0,7 bzw. 0,8 Prozent zurückgegangen sind. Das ist keine außergewöhnliche Entwicklung, denn seit 2010 gab es in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung fünf Jahre mit Reallohnverlusten in Österreich. Auch 2021 werde sich kein Reallohnplus ausgehen, prognostizierte das Wifo im April. Erholung sei auch 2022 nicht in Sicht.

Reallohnrückgang

Heuer rechnet das Wifo laut im April veröffentlichten Daten gesamtwirtschaftlich mit einem Reallohnrückgang von 0,9 Prozent – obwohl die im Pandemiejahr 2020 erzielten Kollektivvertragsabschlüsse um zwei Zehntel über den Verbraucherpreisen lagen. Für 2022 wurde ein weiterer Rückgang von 0,3 Prozent vorausberechnet. Verantwortlich für diese Entwicklung wird die Corona-Krise gemacht: Tausende unselbstständig Erwerbstätige waren in Kurzarbeit, was Einkommen um mindestens zehn Prozent drückte, und es wurden mit Ausnahme des Gesundheitsbereichs weniger oder gar keine Überstunden geleistet. Das senkte die Bruttolöhne und wirkte heuer – Stichwort Lockdown bis nach Ostern – nach. In der Sachgüterproduktion liegt die Entwicklung naturgemäß über der gesamtwirtschaftlichen, aber auch hier gab es im vergangenen Jahrzehnt einzelne Jahre mit Reallohnverlusten.

Anders sieht es in der Lohnentwicklung je geleistete Arbeitsstunde aus: Hier gab es mit Ausnahme der Finanzkrisenjahre 2010 und 2011 kaum Rückgänge. Die Stundeneinkommen sind dank teils flächendeckender Kurzarbeit um außergewöhnliche sieben Prozent gestiegen. Für jene, die nur einen Bruchteil ihrer vor der Pandemie geleisteten Wochenstunden arbeiteten, fällt der Anstieg deutlich höher aus, denn sie bekamen nach Höhe ihres Monatsgehalts 80 bis 90 Prozent ihres bisherigen Einkommens bezahlt. Im Vorkrisenjahr 2019 waren die Stundeneinkommen um 0,8 Prozent gestiegen, auch in der Größenordnung.

Verlockung des Aufschwungs

Wie übermütig der Aufschwung – heuer wird ein BIP-Wachstum von vier Prozent vorausgesagt, nächstes Jahr sogar eines um fünf Prozent – die Verhandler macht, bleibt abzuwarten. Rein rechnerisch ist der Spielraum eindeutig, denn die durchschnittliche Inflationsrate der letzten zwölf Monate (bis August 2021) liegt bei 1,9 Prozent, und der Produktivitätszuwachs, von dem die Arbeitnehmer einen Teil für sich beanspruchen, mache 3,3 Prozent aus. Auch deshalb rechnen Einkommensexperten mit einem kräftigeren Zuwachs der Bruttolöhne.

Die Inflation sei gestiegen, und insofern sei auch zu erwarten, dass die Abschlüsse höher sein werden, sagt Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien. Mit Verweis auf die Wirtschaftsdaten bezeichnete er zweieinviertel Prozent als "sicherlich tragbar". Wahrscheinlich werde die Erhöhung sogar höher ausfallen, sagte der Wirtschaftsforscher. (Luise Ungerboeck, 23.9.2021)