Der Abgasskandal beschäftigt VW und die Gerichte.

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Berlin – Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Athanasios Rantos, stuft im Diesel-Verfahren gegen Volkswagen und Porsche die Thermofenster als gesetzeswidrig ein. Die von den Autobauern verwendeten Abgassysteme, bei denen die Abgasreinigung außerhalb eines vorgegebenen Temperaturbereichs und ab einer bestimmten Höhenlage gestoppt wird, verstießen gegen die europäischen Gesetze, erklärte der Generalanwalt Athanasios Rantos am Donnerstag in seinem Schlussplädoyer.

Thermofenster sind eine Technik der Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen, die von zahlreichen Autobauern eingesetzt wird. Ein Teil der Abgase wird dabei wieder in den Motor zurückgeleitet und erneut verbrannt. Dieser Mechanismus funktioniert am besten innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters: Bei besonders warmen und vor allem bei kühleren Außentemperaturen werden weniger oder keine Abgase zurückgeführt. Dieselfahrzeuge stoßen dann mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus.

Klagen aus Österreich

In den konkreten Fällen geht es um Klagen aus Österreich gegen Volkswagen. Österreichische Gerichte – der Oberste Gerichtshof, die Landesgerichte Klagenfurt und Eisenstadt – legten dem EuGH dazu Fragen vor. Den Klagen zufolge funktionierte die Abgasreinigung bei den betroffenen Fahrzeugen nur bei einer Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad und bei einer Höhe von unter 1.000 Metern vollständig.

Damit sei das Thermofenster für die tatsächlichen Fahrbedingungen nicht repräsentativ, erklärte der Generalanwalt. Amtliche Statistiken zeigten, dass die Durchschnittstemperaturen der Jahre 2017 bis 2019 in Österreich, Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten deutlich unter 15 Grad Celsius gelegen hätten. Aufgrund der Topografie Österreichs und Deutschlands würden die Autos außerdem oft in Höhen von mehr als 1.000 Metern fahren.

Nach Ansicht des Generalanwalts fällt das Thermofenster auch nicht unter die Ausnahme, die für Einrichtungen vorgesehen ist, die den Motor vor Schäden schützen sollen. Ein Thermofenster schone vor allem Anbauteile, deren Funktionieren nicht den Schutz des Motors berühre, gab er an. Es handle sich bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht um eine nur geringfügige Vertragswidrigkeit, argumentierte er. Verbraucher könnten darum die Auflösung des Vertrags verlangen. Die EuGH-Richter müssen sich bei ihrem Urteil, das in einigen Monaten erwartet wird , nicht an das Gutachten des Generalanwalts halten. Sie orientieren sich aber oft daran.

Dieselskandal

Die Richter hatten im Dezember fünf Jahre nach dem Dieselskandal bei Volkswagen ein wegweisendes Urteil zur Verwendung von Abgas-Software bei Dieselautos gesprochen. Sie entschieden, das generelle Verbot einer Software zur Abgasmanipulation werde ausgehöhlt, wenn es durch Ausnahmeregelungen möglich wäre, den Motor dadurch vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen.

Die Hersteller nutzten Lücken im EU-Recht aus, indem sie die Abgasreinigung von Dieselmotoren bei kühlen Temperaturen drosseln oder ganz abschalten. Fast alle Autobauer nutzen Thermofenster und argumentieren dafür mit dem Motorschutz.

Thomas Hirmke, Leiter des Bereichs Recht im Verein für Konsumenteninformation (VKI), zeigte sich erfreut: "VW hat damit offensichtlich wieder rechtswidrig getrickst. Folgt der EuGH diesen Schlussanträgen, bedeutet das auch Rückenwind für die 10.000 Sammelkläger in den Sammelklagen des VKI." Auch der Obmann des Verbraucherschutzvereins, Peter Kolba, begrüßte das Gutachten. "Wir bieten Käufern kosten- und risikolose Klagen gegen die Hersteller an." (APA, Reuters, red, 23.9.2021)