Der chinesische Bauträger Evergrande hat 778 Projekte in 223 Städten, die bezahlt, aber nicht fertiggestellt sind.

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Schanghai – Vorsichtige Erleichterung – das ist die Stimmung an internationalen Finanzmärkten. Es sieht danach aus, dass die Turbulenzen um den zweitgrößten chinesischen Immobilienkonzern abnehmen. Am Mittwoch gab Evergrande bekannt, eine Teileinigung über eine fällige Zinszahlung gefunden zu haben. Die war am Donnerstag fällig. Außerdem kündigte die chinesische Zentralbank an, den Markt mit 17 Milliarden US-Dollar zu versorgen. Die Aktie von Evergrande stieg zeitweise sogar um bis zu 30 Prozent an der Hongkonger Börse.

Vorbei ist das Bangen um den Riesenkonzern mit einer Schuldenlast von 300 Milliarden Dollar aber noch nicht. Der zweitgrößte Anteilseigner, China Estates Holding, gab bekannt, sich von seinen Anteilen trennen zu wollen. Noch immer ist unklar, wie groß die Schockwirkungen auf die chinesische Wirtschaft sein werden und wann die chinesische Regierung einspringt, um die zahlreichen Gläubiger von Evergrande zu entschädigen. Der Konzern hat aktuell noch 778 Projekte in 223 chinesischen Städten, die bezahlt, aber nicht fertiggestellt sind.

Überhitzter Markt

Die Ziele der Regierung widersprechen sich: Einerseits will man mit Evergrande Zeichen setzen. Die Immobilienbranche gilt als überschuldet, der Markt als überhitzt. Eine Pleite soll Signale aussenden, solider zu wirtschaften. Zudem sind stetig steigende Hauspreise in China zu einer Stabilitätsgefahr für die Kommunistische Partei geworden. Weil sich immer weniger Chinesen Wohnraum in teuren Metropolen leisten können, ist der Wohlstandspakt mit dem Volk in Gefahr. "Ihr werdet wohlhabend, dafür verzichtet ihr auf politische Teilhabe."

Viele Analysten gehen davon aus, dass das Regime eine geordnete Insolvenz von Evergrande anstrebt: Zunächst soll der Konzern alles verkaufen, was nicht Kerngeschäft ist – darunter auch der Fußballklub Guangzhou FC. Entschädigt werden damit die 200.000 Mitarbeiter, Kunden und zahlreiche Gläubiger.

Kontrollierbare Risiken

Auch international dürften die Turbulenzen kontrollierbar sein: Ausländische Gläubiger werden zwar nicht oberste Priorität bei einer Insolvenz sein. Die Schulden im Ausland von Evergrande sind aber verhältnismäßig gering. Ein Vergleich mit der Lehman-Pleite hinkt daher. Die Zahlungsunfähigkeit der amerikanischen Bank löste 2008 die große weltweite Finanzkrise aus.

Ein Risiko aber bleibt bestehen: Chinas Unternehmen sind so hoch verschuldet wie sonst in kaum einem anderen Land. Jahrelang flossen Kredite vor allem zu den Staatsunternehmen. Private Unternehmen mussten nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten suchen – und fanden diese oft auf dem grauen Markt, bei Schattenbanken und privaten Geldverleihern. Völlig unklar ist derzeit, welche Effekte die Zahlungsunfähigkeit von Evergrande auf zahlreiche Zulieferbetriebe und kleinere Unternehmen haben wird.

Erodiertes Vertrauen

Evergrande war in Zahlungsschwierigkeiten geraten, als die Regierung im vergangenen Jahr eine Schuldenobergrenze für Immobilienkonzerne verhängte. Gerüchte über Zahlungsausfälle des Konzerns im Sommer hatten dann das Vertrauen in das 1996 gegründete Unternehmen weiter erodieren lassen. Die Immobilienbranche ist für die chinesische Wirtschaft der wichtigste Wachstumstreiber. Schätzungen gehen davon aus, dass der Sektor bis zu 25 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht. (Philipp Mattheis, 23.9.2021)