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Viel Unterstützung bekommt Kronprinz Mohammed bin Salman von der Jugend in Saudi-Arabien und von den Frauen, denen er einige gesellschaftliche Fesseln löste. Das erklärt Teile der Unterstützung, die er trotz brutaler Autokratie erhält.

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Annäherung als Produkt der Biden-Wahl: Kronprinz Mohammed bin Salman (Mitte) urlaubt mit Katars Emir Tamim al-Thani (links) und dem Sicherheitsberater der Vereinigten Arabischen Emirate Tahnoun sl-Nayhan (rechts).

Foto: APA / AFP / Bandar al-Jaloud

Wien – Es gibt viele, teils grundlegende Veränderungen. Aber wie sie genau ablaufen und wo sie enden: Das weiß man nicht. Klar ist, dass es unter dem Einfluss des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) seit dessen Einsetzung 2017 massiven Wandel im größten Land der Arabischen Halbinsel gibt. Dennoch blieben die genauen Prozesse im Land undurchsichtig – für viele Beobachter im Westen, aber in Teilen auch für jene, die sich eingehend mit dem Staat und der Region beschäftigen. Das wurde auch am Donnerstag einmal mehr klar, als sich unter dem Titel "Blackbox Saudi Arabien" Kennerinnen und Kenner des Landes am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) zu einer Diskussionsrunde versammelten, zu der auch das Verteidigungsministerium geladen hatte.

Was die Debatten einerseits erleichtere, andererseits aber undurchsichtiger mache, erklärte Nahost- und Terrorismusexperte Guido Steinberg von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gleich zu Beginn der Diskussion: Die Herrschaft ist und bleibt stark in den Händen der Herrscherfamilie – und damit personalisiert. Allerdings mittlerweile anders als bisher. Bis jüngst sei das Land durch die ungewöhnliche Nachfolgeregelung geprägt gewesen: Auf den aktuellen Machthaber sollte immer dessen ältester fähiger und noch lebender Bruder folgen. In der Praxis hatte dies seit den 1980ern bedeutet, "dass immer eine Gruppe von zehn bis zwanzig Leuten regiert hat". Das ist nun nicht mehr der Fall: Im Amt ist der wohl Letzte aus dieser Gruppe an Brüdern, König Salman, bereits vom Alter gezeichnet. Die Zügel hat in den meisten Fällen sein Sohn MbS in der Hand – jedenfalls "im Tagesgeschäft", wie Steinberg es formulierte.

Jugend an der Macht

Und der baut um, vor allem mit der moralischen Unterstützung einer Schicht, die in Saudi-Arabien bisher nicht am Machtgefüge beteiligt war: die Jugend. Er selbst und viele seiner Alterskollegen würden sich als Teil einer globalen Jugendkultur sehen, erzogen auch durch das Internet und sehr technikaffin. MbS habe sich mit seinem Reformen – viele davon, etwa Popkonzerte, vor einiger Zeit noch undenkbar – eine neue Unterstützerschicht geschaffen. Das betreffe vor allem auch junge Frauen, deren bisherige gesetzliche Einschränkungen er teils zurücknehmen ließ. Das sei überraschend, so Steinberg: "Hätten Sie vor zehn Jahren gesagt, der saudische König werde einmal die Jugend als Hausmacht haben, hätten man Sie ausgelacht."

Der Idee eines Generationswechsels stimmte auch Gudrun Harrer, leitende Redakteurin und Nahostexpertin des STANDARD, zu. Ein Ende der Einstimmigkeit hatte sich schon 2015 rund um die Nachfolgeregelungen beim Tod des Königs Abdullah erkennen lassen und spätestens seit 2017, als MbS zum Kronprinzen wurde, abgezeichnet. Man dürfe bei aller berechtigter Kritik an dessen autokratischer Machtausübung und grausamen Methoden dabei eines nicht übersehen, so Harrer: MbS stütze sich auf beachtliche Unterstützung jener Jungen, die Liberalisierungen wollen. Und dort geben es auch eine Angst, dass ihm etwas passieren könnte und dann die gesellschaftlichen Öffnungsschritte wieder rückgängig gemacht würden. Zugleich müsse man auch sehen: Viele Frauen, die in früheren Zeiten für Öffnungen gekämpft hätten, würden nun unter MbS im Gefängnis landen. Der Kronprinz gehe gegen mögliche Dissidenten aller Couleur rigoros vor – liberale und erzkonservative.

Unzufriedene Konservative

Wie sieht es aber aus mit Oppositionellen im Lande? Alexander Weissenburger, Experte und Islamwissenschafter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), sieht diese nicht als unmittelbar gefährlich für die saudische Herrschaft. Immer wieder habe es "Säuberungen" gegeben, zuletzt 2012 eine mit großer Härte geführte Kampagne gegen die Schiiten im Norden des Landes, die der Kollaboration mit dem schiitischen Erzfeind Iran verdächtigt werden. Organisierter Opposition schiebe die Staatsmacht also den Riegel vor. Was man aber nicht vergessen dürfe, sei die bleibende Macht der Konservativreligiösen. Noch immer sei etwa ein Oberster Mufti in Saudi-Arabien an der Macht, der 2012 die Zerstörung aller Kirchen angeordnet und 2016 das Schachspiel verboten habe. Diese Kreise seien mit den gesellschaftlichen Öffnungsschritten MbS' nicht einverstanden. Sollte ihm Gefahr drohen, dann wohl aus dieser Richtung.

Wie sieht die Zukunft des Landes aus? Saudi-Arabiens Regierung habe sich unter MbS die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zum Vorbild genommen, was die Planungen für eine Wirtschaft nach dem Öl betrifft. Allerdings: Was in den Emiraten mit ihren rund zehn Millionen Einwohnern noch einigermaßen funktioniere (Glitzerstädte und Hub-Flughäfen als Anziehungsfaktor für Kapital und Privatwirtschaft), das könne im 34-Millionen-Einwohner-Staat Saudi-Arabien sehr schwierig werden, so Steinberg: "Mit fehlt es an Fantasie, wie in Saudi-Arabien ein ölunabhängiger Sektor entsteht, solange die Politik dort so gemacht wird." Die von MbS vorangetriebenen Pläne für eine nachhaltige Stadt Neom am Roten Meer, die als Anziehungspunkt für Wissenschaft und Tourismus dienen sollte, seien bisher nicht vorangekommen und womöglich ein Milliardengrab. Wie genau das mit dem Tourismus funktionieren solle, sei zudem nicht klar. "Man kann dort schon hinfahren, aber der große Spaß bleibt aus", so Steinberg. Letztlich biete sich dann doch eher Dubai an. Zudem gebe es zwar "tolle Prospekte, wo das alles beschrieben ist". Aber wenn man mit dem Leuten rede, werde schnell klar, dass es doch wieder vor allem um religiösen Tourismus gehe.

Eine offene Wunde bleibt auch der Krieg im Jemen, so Weissenburger, den man durchaus als Vietnam Saudi-Arabiens bezeichnen könne. Freilich müsse man dabei auch die geostrategische Dimension im Hinterkopf behalten. Saudi-Arabien versuche seine Ölexporte von der Straße von Hormus im Osten des Landes unabhängiger zu machen, da der Iran diese im Ernst-, also Kriegsfall, jederzeit sperren könne. Daher sei man an Pipelines in den Westen und Häfen am Roten Meer und womöglich Zugängen zum Golf von Aden interessiert. Das – beziehungsweise dessen Verhinderung – erkläre zugleich das große iranische Interesse am Jemen.

Freund Trump ist weg

Ohnehin aber habe es im letzten Jahr eine erneute Umschichtung der saudischen Außenpolitik gegeben – vor allem nachdem klargeworden ist, dass die US-Regierung des eng verbündeten Präsidenten Donald Trump die Wahlen im Herbst 2020 verlieren würde, erinnerte Harrer. Das betreffe etwa die zwar wackelige, aber vorerst noch bestehende Einigung auf einen politischen Prozess in Libyen, aber auch etwa die Annäherungen im Golfkooperationsrat an Katar. Wobei: Dass das Emirat nun wegen seiner Kontakte zu den Taliban wieder eine große internationale Rolle spiele, das gefalle in Raid (und auch in den Emiraten) kaum jemandem.

Und wie steht es um die Finanzierung terroristischer Gruppen, mit der Saudi-Arabien in der Vergangenheit immer wieder in Verbindung gebracht wurde? Es sei natürlich eine Schattenwelt, so Steinberg, in der man vieles erst feststellen könne, wenn etwas passiert sei. Er glaube aber nicht, dass es eine Kooperation aus rein religiös-ideologischen Gründen noch gebe. Dort, wo es sie gibt oder gab, habe es sich in den letzten Jahren um geopolitische, vor allem gegen den Iran gerichtete Gründe gehandelt. So sei es auch bei der möglichen – laut Steinberg aber eher unwahrscheinlichen – Zusammenarbeit mit dem "Islamischen Staat" (IS) in Afghanistan. Diese sei, so es sie doch geben sollte, eine Reaktion auf die Kooperation von Teilen der Taliban mit dem Iran mit dem gemeinsamen Ziel, die Amerikaner aus dem Land zu drängen. Nun, da die USA weg seien, würden aber auch bei den Taliban die Verbindungsleute zum Iran an den Rand gedrängt werden, so Steinberg. Dies halte er durchaus auch für ein Angebot der Radikalislamisten an Staaten wie Saudi-Arabien. "Insgesamt gehe ich davon aus, dass die Saudis hier aus ihren Fehlern gelernt haben – wie auch die Amerikaner." (Manuel Escher, 23.9.2021)