Wie geht es euch in der Kontroll- und Sicherheitsgesellschaft? Wem vertraut ihr noch?

Foto: Regine Hendrich

Wer wissen will, wie er junge Generationen für sein Unternehmen ansprechen, erreichen kann, sollte zuerst die Jungen fragen. Allerdings ist es ja auch immer nützlich, Befunde, Umfragen und Analysen aller Art zu lesen um sich ein möglichst rundes Bild von der Zielgruppe zu verschaffen, die die Firma in die Zukunft führen soll.

Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier (Institut für Jugendkulturforschung, tfactory) liefert das seit vielen Jahren und in mittlerweile auch vielen Büchern. Man kann ihm viel Rage vorwerfen, vielleicht Ideologisierung, aber sicher nicht: Unklarheit. Sicher auch nicht schlechte Absicht, ganz im Gegenteil – Heinzlmaier schreit sein Anliegen wortmächtig heraus.

Das gilt auch für sein aktuelles Buch Generation Corona. Es gebe "eine massive Vertrauenskrise", sagt Heinzlmaier im Buchgespräch mit Exxpress, für den er als Kolumnist tätig ist. Ebendort weiter: "In Österreich war die Debatte um Corona immer sehr alarmistisch und übertrieben. Das hat dazu geführt, dass nur noch knapp 33 Prozent der Jugendlichen der Regierung vertrauen." Die deutsche Regierung habe hingegen weitaus sachlicher kommuniziert. Ergebnis: Immerhin noch 50 Prozent der Jugendlichen in Deutschland vertrauen der Regierung.

Vertrauensverlust, und?

Mittlerweile hätten 70 Prozent der unter 30-Jährigen nicht mehr das Gefühl, dass sie die Politik noch vertritt. Repräsentationskrise also. Was die Jugendlichen darüber hinaus besonders belastet: Sie sind abgeschnitten von den Gleichaltrigen, und die sind besonders wichtig beim Weg ins Erwachsenenalter. Aufs Erste etwas kränkend für Mütter und Väter sagt er: "Nun sind sie nur mehr ihren Eltern ausgeliefert, die Elternkontrolle ist stärker, und darunter leiden sie."

Allerdings sind die heutigen Jugendlichen keine Rebellen, berichtet Bernhard Heinzlmaier: "Sie reagieren pragmatisch." In den 1970er-Jahren hätte es noch einen Aufstand gegeben. Nun täten die Jugendlichen so, als wären sie eh mit allem einverstanden, und suchen Freiräume, wo sie unbeobachtet die Bestimmungen umgehen können. "Wir ziehen da eine Generation groß, die nach dem Konzept ,Aufstieg durch Anpassung‘ funktioniert. Diese sehr angepasste Jugend reagiert nicht, auch wenn sie mit den Corona-Maßnahmen nicht einverstanden ist."

Der Tenor der meisten Jugendlichen im Verlauf der Lockdowns und Beschränkungen sei gewesen: "Ich versuche halt das Beste daraus zu machen." Aber Halt – was ist denn mit den Klimademos, mit Greta Thunberg und ihrem Weckruf, weltweit Jungen auf der Straße? In Greta und ihrer Klimabewegung sieht er keine neue Revolte. Das sei eine Rebellion der Angepassten – höhere Töchter und Söhne demonstrieren gemeinsam mit ihren linken Professoren, mit denen sie vorher gemeinsam die Schilder des Klimaprotests angefertigt haben. "Diese ganze Klimabewegung ist die Revolte der Oberschichtkinder", sagt Heinzlmaier im Exxpress-Gespräch. Von der Mitte abwärts könne niemand etwas damit anfangen, so die Behauptung.

Hinterlistige Leserinnen und Leser könnten jetzt also meinen, dass ein solcher Befund eigentlich eine sehr gute Nachricht für Unternehmen ist, die gut führbare, angepasste, aufstiegs- und leistungswillige Junge in ihre Organisation integrieren wollen. Denn der Lebenssinn der Eliten, wettert Jugendforscher Heinzlmaier, sei heute Berufserfolg, hedonistischer Konsum und Darstellung des Status. Das ist ja quasi eine Bibel für Personalmanager auf ihren Beutezügen nach Fachleuten und Unternehmenszukunft, oder?

Eliten, Eliten und sonst?

Welch treffliches Thema für die nächste Vorstandssitzung mit der Zusatzfrage: Kommt aus solcher Anpassung die Innovation, die wir dringend brauchen? Schaffen wir so intern jene Diversität an Perspektiven, Lebenswirklichkeiten und Meinungen, die uns resilient macht? Werden wir so unserer gesellschaftlichen Verantwortung in ihrer sozialen Dimension gerecht?

Als Vorbereitungslektüre dient Heinzlmaier jedenfalls: Wie halten es die Jungen in der Kontroll- und Sicherheitsgesellschaft aus? Was bewirkt die allgegenwärtige Cancel-Culture an den eng definierten Rändern des Normaldiskurs? Wer bestimmt die öffentliche Debatte über die Folgen von Corona für Junge? So viel sei verraten: "Nicht die untere Hälfte der Gesellschaft."

Denn, so eine der düster skizzierten Zukünfte, wenn der gegenwärtig schon leicht depressive hedonistische Konsum in der Blase der Eliten kippt, wenn die nichtprivilegierten Jungen angesichts schwindender Chancen auf einen Platz in der Gesellschaft und auf Teilhabe an dieser revoltieren? Heinzlmaier bietet eine hervorragende Grundlage für einen wichtigen Diskurs in jeder Organisation: Wer wollen wir für wen sein – und mit welchen Mitteln? (Karin Bauer, 25.9.2021)