Schuldirektor Claus Großkopf zieht in seinem Gastkommentar eine erste Zwischenbilanz wie es an den Schulen läuft – und er schreibt, was es aus seiner Sicht dringend braucht.

Am Ende der zweiten Schulwoche waren es schon sieben von 14 Klassen meiner Ganztagsvolksschule im Süden Wiens, die in Quarantäne geschickt werden mussten. Als Schulleiter konnte ich die Überlastung der Gesundheitsbehörden beim Ausstellen der Absonderungsbescheide hautnah miterleben. Weil die Zahl der Schulklassen, die aufgrund von Covid-infizierten Schülerinnen und Schülern nach Hause geschickt werden mussten, so hoch ist, blieb Schulleitungen nichts anderes übrig, als auch die Teilsperren der Klassen eigenverantwortlich zu organisieren.

Ein schwieriger Schulstart: Gleich in den ersten Tagen musste viele Kinder in Quarantäne.
Foto: Imago Images/Andreas Gora

Meine Schule ist damit nicht allein. Das Bekenntnis, die Schulen in diesem Schuljahr gänzlich offen zu halten, gerät zusehends ins Wanken. Kurz nach Schulbeginn befanden sich etwa 400 Klassen im Osten Österreichs bereits in Quarantäne. Das lässt daran zweifeln, dass der Schulbetrieb heuer ruhiger verlaufen wird als im vergangenen Jahr. Das Schuljahr 2021/22 wird also für alle Schulpartner wieder ein sehr aufreibendes werden.

Defizite akzeptabel gering

Die Hauptleidtragenden sind wieder Schülerinnen und Schüler, deren pädagogisches Long Covid sich noch verschlechtern wird. Auch hier trifft es nicht alle gleich: Je bildungsferner die Eltern sind, desto gravierender werden die pädagogischen Langzeitfolgen der Pandemie sein. Pädagogisches Long Covid sind jene Defizite, die langfristig bei jenen Menschen wirksam sein werden, die seit 2019 aus dem regulären Schulbetrieb herausgerissen wurden. Das betrifft nicht nur die Vermittlung von Sachwissen, es geht vor allem auch um das soziale Miteinander.

Im Rückblick zeigt sich aber, dass die Befürchtungen, welche massive Lernauswirkung das erste Pandemiejahr auf die Schülerinnen und Schüler hat, nicht eintraten. Leistungsüberprüfungen des vorigen Schuljahres haben ergeben, dass trotz der mehrmaligen Lockdowns der Lehrstoff einigermaßen gut vermittelt werden konnte. Die Defizite beim Sachwissen der Kinder waren akzeptabel gering. Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen haben hier gemeinsam sehr viel geleistet. Aber auch hier gilt wieder, je jünger die Kinder und je bildungsferner die Eltern, desto größer der Verlust an Lernfortschritten beim Kind.

Das wird dieses Schuljahr – wenn weiter ständig Klassen in Quarantäne geschickt werden – aber anders. Ein Lockdown kündigt sich zeitlich wenigstens ein bisschen an. Unterrichtsmaterialien und Arbeitsprogramme können rechtzeitig vorbereitet werden. Eine Quarantäne geschieht jedoch plötzlich, ohne Vorankündigung. Sie ist einfach da! Je kürzer die erzwungene Zeit zu Hause ist, desto länger ist die für den Unterricht verlorene Zeit, weil verhältnismäßig viel Zeit benötigt wird, um einen ortsungebundenen Unterricht gut vorzubereiten und zu organisieren.

Soziales Lernen

Was den Kindern jedoch in beiden Fällen fehlt, ist das soziale Miteinander. Kinder lernen immer über Beziehungen. Miteinander zu lernen und zu arbeiten ist für unsere Kinder ungleich wertvoller als alleiniges Lernen zu Hause, denn es fehlt die Zeit, die man mit Freunden verbringen kann. Das soziale Lernen, gemeinsam zu lachen, zu spielen und zu arbeiten, sich an Besseren zu messen und Schwächeren zu helfen, das kann das einzelne Kind nur als Teil einer Gemeinschaft erfahren. Die Defizite, die aus einem Mangel solcher Erfahrungen geschehen, werden möglicherweise erst in Jahren oder Jahrzehnten sichtbar werden.

Was die Schule jetzt braucht, ist eine rasche Rückkehr zu einem ruhigen, regelmäßigen Schulalltag. Das Wort "Test" sollte in der Schule wieder alleinigen Anspruch auf einen Zusammenhang mit Leistung haben und sich nicht mehr ausschließlich auf das Coronavirus beziehen müssen. Eine möglichst rasche Normalisierung des Schulbetriebes würde derzeit noch sehr viel an Ängsten und Unsicherheiten abfangen, die bei manchen Kindern durch die Pandemie und die Corona-Maßnahmen entstanden sind.

Fahrt aufnehmen

Die Schule ist ein wichtiger Ort, an dem Pädagoginnen und Pädagogen sich kindgerecht mit diesen Ängsten auseinandersetzen und die Kinder stabilisieren können. Das Geld, das derzeit in Covid-Testungen an den Schulen fließt, sollte später eingesetzt werden, um zusätzliches pädagogisches Personal anzustellen und um den Unterricht in Kleingruppen an den Schulen zu intensivieren.

Damit Schule mit all ihren sozialen und leistungsmäßigen Facetten wieder volle Fahrt aufnehmen kann, darf die Angst vor Covid in der Schule keine Rolle mehr spielen. Angst ist generell ein sehr schlechter Lebensbegleiter. Weder eine Test- noch eine Impfstrategie werden uns vor pädagogischem Long Covid schützen, aber vielleicht ein ruhigerer Umgang mit Covid schon, denn so würde ein normaler Schulalltag mit all seinen Qualitäten wieder möglich sein. (Claus Großkopf, 26.9.2021)