Die ÖVP sieht schon die rote Flagge auf dem Grazer Uhrturm wehen und warnt vor einer rot-rot-grünen Koalition.

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Erste Hochrechnung: KPÖ liegt in Graz auf Platz eins, ÖVP verliert stark

Noch stehen die Fundamente von Graz – aber nicht mehr lange. Die ÖVP plagen da ganz düstere Visionen. Es drohe nach der Gemeinderatswahl am Sonntag Rot-Rot-Grün, warnt die türkise Klubobfrau Daniela Gmeinbauer dieser Tage in einer Rundum-Mail.

"Graz ist kein marxistisches Versuchslabor für links-linke Träumereien, die dieser Stadt nachhaltig ihre Lebensqualität und ihre Attraktivität rauben." Hinter der Fassade der Grazer KPÖ stünden "mahnende Beispiele, wohin der marxistisch-kommunistische Weg führt: nämlich Staatsbankrott, Massenarbeitslosigkeit und eine mit Almosen abgespeiste Bevölkerung ohne Perspektive", klärt Gmeinbauer auf.

Dass der seit 18 Jahren amtierende ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl wenige Tage vor der Wahl derartige Horrorszenarien kolportieren lässt, ist zumindest ein Hinweis, dass er die Kommunisten in Graz mittlerweile sehr ernst nimmt – auch wenn die rote Katze wohl eher zur Mobilisierung der eigenen Reihen aus dem Sack geholt wurde.

Denn es ist seit langem klar, dass es schon eines politischen Erdbebens bedarf, Nagl mit seinem knapp 18-prozentigen Vorsprung auf den Zweiten, die KPÖ, vom Thron zu stürzen. Siegfried Nagl steht als nächster Bürgermeister mit größter Wahrscheinlichkeit ohnehin fest.

Nagl schläft unruhig

Ganz ruhig schlief Nagl in den vergangenen Wochen aber wohl dennoch nicht. Die KPÖ, die zuletzt 20 Prozent erreichte, hält in jüngsten Umfragen nicht nur ihr Überraschungsergebnis von 2017, mittlerweile scheinen auch 25 Prozent nicht mehr illusorisch. Nagl hingegen tendiert von seinen 38 Prozent in Richtung 35 und weniger. Manche meinen, ÖVP und KPÖ könnten sich, das hätten die Exit-Polls des vorgezogenen Wahltags ergeben, recht nahe kommen. Zumindest wird dieses Szenario als "Aufwecker" in der ÖVP kolportiert.

KPÖ-Chefin Elke Kahr will den kursierenden Umfragedaten wenig Glauben schenken. Wiewohl sie Nagls Szenario einer roten Machtübernahme in Graz dennoch Nahrung gibt. Ja, wenn es sich ausginge, sei auch eine rot-rot-grüne Koalition nicht ausgeschlossen. "Wenn die anderen das wollen", schränkt Kahr ein. Dann sei auch eine KPÖ-Bürgermeisterin denkbar.

KPÖ-Chefin Elke Kahr will den kursierenden Umfragedaten wenig Glauben schenken, eine rot-grüne Koalition sei dennoch nicht ausgeschlossen.
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Abgesehen davon, dass auch in Graz wie im Bund eine türkis-grüne Regierung – eventuell mit der SPÖ im Bunde – realistischer scheint, stellt sich aber die grundsätzliche Frage: Wie konnte es eigentlich so weit kommen, dass in einer österreichischen Landeshauptstadt Kommunisten eine geradezu mächtige Rolle spielen können? Ein Unikum, das außerhalb von Graz stets ungläubiges Kopfschütteln auslöst.

Auf Augenhöhe

Es begann mit einem unscheinbaren Mann, Ernest Kaltenegger, der Glücksfall der Grazer KPÖ. Aufgewachsen in der Obersteiermark, in einer SPÖ-affinen Familie, dockte er früh bei der SPÖ-Jugend an und kam dann – irgendwie frustriert von der Sozialdemokratie – zur KPÖ.

Mittlerweile nach Graz gezogen, tingelte Kaltenegger als Kommunalpolitiker fleißig von Gemeindewohnung zu Gemeindewohnung, sammelte dabei Stimmen um Stimmen ein. Als Stadtrat ließ er in Substandardwohnungen Bad und WC einbauen, begegnete den Mietern auf Augenhöhe. Kommunist hin oder her.

Diese niederschwellige Parteiarbeit auf Augenhöhe mit der Bevölkerung, in die auch bereits die jetzige Parteichefin Elke Kahr eingebunden war, gewann in Graz immer mehr Zuspruch – selbst in den tief bürgerlichen Bezirken, wo es bald schick wurde, den netten und hilfsbereiten Herrn Kaltenegger zu wählen. Die KPÖ war hoffähig geworden.

Erfolg mit Wohnen

Rückblickend", sagt der an der Universität in Oslo lehrende Politikwissenschafter Manès Weisskircher, "ist es ab den 1980er-Jahren zu einem Umdenken innerhalb der Partei gekommen, die nicht nur mit lokaler Irrelevanz, sondern auch mit dem Nieder- und Untergang des Realsozialismus konfrontiert war. Die Grazer KPÖ zog ihre eigenen Konsequenzen, konzentrierte sich auf lokalpolitische Themen und legte den Fokus auf die Wohnungspolitik". Ernest Kaltenegger habe dabei auch die Kontakte zur KP im französischen Lille genutzt, die unter anderem eine Mieter-Notrufstelle betrieb, sagt Weisskircher, der sich wissenschaftlich mit dem Phänomen der Grazer KPÖ beschäftigt.

Diesen Notruf übernahm die Grazer KPÖ, half Mietern in juristischen Auseinandersetzungen und machte die Missstände im städtischen Wohnungswesen publik. "Wir wollten endlich als ganz normale Partei, die innerhalb des Verfassungsbogens steht, verstanden werden", erklärte der ehemalige KPÖ-Landesparteichef Franz Parteder, Ehemann der heutigen KP-Stadträtin Kahr, einmal in einem Gespräch mit dem STANDARD.

Die Wahlerfolge der Grazer Genossen, die sie bis auf 20 Prozent brachten, hatten den Wiener Zentralkommunisten aber nicht wirklich geschmeckt. Die hielten die Grazer für ziemlich unideologisch. Die Politik der beiden unorthodoxen Genossen Kaltenegger und Parteder waren ihnen allzu fern der Lenin’schen Doktrin.

"Mit gutem Grund", sagt Parteder, "man darf die Ideologie nicht wie ein Banner vor sich hertragen. Wir haben uns bemüht, die Ideologie alltagstauglich zu machen und zu schauen, was den Menschen real hilft. Uns geht es ums Handeln und nicht um irgendwelche scholastischen Diskussionen. Der Marxismus ist in der Krise, und der Osten war ein abschreckendes Beispiel. Die Theorie muss endlich den Praxistest bestehen", sagt Parteder zum Selbstverständnis seiner Partei.

Was machen die Grünen?

Das sei ihnen auch gelungen, meint Politologe Weisskircher. In Österreich habe sich auf Bundesebene keine Partei links von SPÖ und Grünen etabliert. "Das macht den lokalen Erfolg der KPÖ in Graz so interessant: Er zeigt, dass linke Parteien trotz schwieriger Umstände erfolgreich sein können."

Die KPÖ habe sich in all den Jahren erfolgreich "auf das langfristige Bearbeiten und Besetzen kommunalpolitisch relevanter Themen, vor allem im Bereich Wohnen", konzentriert und dabei "langfristig Glaubwürdigkeit als kommunalpolitische Kraft aufgebaut".

Was aktuell mögliche Regierungsoptionen ohne die ÖVP betreffe, stellt sich für Weisskircher die Frage, "ob die Grünen im Fall der Fälle ein solches Szenario mittragen würden oder Rücksicht auf den Koalitionspartner im Bund, die ÖVP, nehmen würden".

Ob die KPÖ überhaupt die Gelegenheit bekommt, eine Regierungsbildung zu versuchen, ist angesichts der Ausgangslage nach der Wahl 2017 eher illusorisch. Die ÖVP startet am Sonntag bei 37,8 Prozent, die KPÖ bei 20,3, die Freiheitlichen liegen bei 15,8 Prozent, die Grünen bei 10,5 und die SPÖ bei zehn Prozent.

Bei derzeitigem Stand käme eine rot-rot-grüne Koalition, vor der Nagl intensiv warnt, also auf rund 40 Prozent. Das ist weitab einer Mehrheit, auch wenn einige Umfragen mögliche Verschiebungen andeuten. Realistischer wird sein, dass sich Bürgermeister Siegfried Nagl abermals seine Koalitionspartner bei Grün, Blau oder Rot aussuchen kann.

Oder es kommt wirklich ganz anders. Die Fundamente haben in Graz schön öfter gewackelt.(Walter Müller, 25.9.2021)