Greta Thunberg war in Berlin vorne mit dabei.

Foto: Imago/Florian Gaertner

Mit "Greta kommt zum Streik in Berlin. Du auch?" wurde die große Demo in Berlin zwei Tage vor der Wahl angekündigt. Aus sechs verschiedenen Richtungen und sechs verschiedenen Stadtteilen brachen am Freitagvormittag zigtausende vor allem jüngere Menschen auf, um sich auf dem Rasen vor dem Bundestag zu sammeln. Ganze Schulklassen, aber auch Eltern oder Großeltern mit Kindern, die meisten zu Fuß oder mit dem Rad. In 428 Städten waren in Deutschland am selben Tag Klimademos. Allein in Berlin gingen Polizeiangaben zufolge 50.000 Menschen auf die Straße, die Veranstalter sprachen von 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

"1,5 Grad in den Deutschen Bundestag", skandierten tausende Jugendliche auf dem vollen Rasen vor dem Reichstag. Zwischen professionellen Transparenten, etwa von linken Parteijugendorganisationen oder der Berliner Klimaliste, die hofft, ins Abgeordnetenhaus der Stadt, wo am Sonntag auch gewählt wird, einzuziehen, waren auch tausende selbstgebastelte oder selbstgemalte Pappschilder von Jugendlichen und ganz kleinen Kindern zu sehen. "Opa, was ist Schnee?", steht da etwa auf dem Schild einer Achtjährigen.

Diamesarr, Jasmin und Kerem gehen gemeinsam in die Schule und am Freitag erstmals auch gemeinsam auf eine Demo.
Foto: Colette Schmidt

DER STANDARD fragte eine Gruppe aus einer neunten Klasse in Berlin, warum sie mit dabei sind. "Weil Wahlen vor der Tür stehen, und wir dürfen diese Wahl nicht verpassen, um unser Klima zu retten", sagt der 15-jährige Diamesarr. Er hoffe auf einen Sieg der Grünen, sei selbst aber nicht bei der grünen Parteijugend. "Dafür habe ich keine Zeit", erklärt er.

Irgendwo ganz hinten auf dem Rasen schwebt ein überlebensgroßer Ballon-Armin-Laschet, der am Sonntag antritt, um Deutschlands nächster Kanzler zu werden, über dem Grün. Aber auch der SPD-Kandidat Olaf Scholz kommt bei den jungen Leuten hier nicht gut weg, weil er sich nicht für den Kohleausstieg starkmacht.

Diamesarrs Schulkollegin Jasmin sagt: "Wir haben auch im Geografie-Unterricht darüber geredet. Es muss was passieren." Kerem, ein weiterer Junge aus der Klasse, meint etwas skeptischer, er sei auch einfach da, "weil schulfrei ist. Und ich wollte mal sehen, wie es auf so einer Demo ist."

Auf Abstand mit Maske

Die Stimmung ist jedenfalls gut, vor den Stufen zum Reichstag spielen verschiedene Bands, bringen die Leute zum Tanzen, sagen aber auch immer wieder durch, dass man die Arme nach links und rechts ausstrecken solle, sich drehen solle und darauf achten, Abstand zu halten. Fast alle auf der Demo tragen Masken.

Emilia Roig, Autorin von "Why We Matter", spricht über konstruierte Hierarchien, die es zu überwinden gilt, ebenso wie eine Bäuerin aus dem Umland Berlins, die vor dem Klimawandel warnt.

Warum sie auf der Demo sind? Ganz einfach: "Wir wollen unsere Zukunft retten!"
Foto: Colette Schmidt

Ihr hören auch ein paar Mädchen aus der siebten Klasse (in Österreich 3. Klasse) einer Waldorfschule zu. Eines der Mädchen sagt recht verzweifelt: "Wir wollen einfach unsere Zukunft retten." "Und die der Tiere", assistiert ihr eine Freundin. Einer ihrer Schulkollegen hat einen Tipp für alle, die Kohle abbauen wollen: "Sie sollen doch 'Minecraft' spielen", steht auf seinem selbstgebastelten Pappschild.

Als die Demo aufbricht mit Musik vom Band, geht es über die Dorotheenstraße, wo sich ein Demozug mit Trommlern in der ersten Reihe vom Brandenburger Tor hinzugesellt, es geht weiter über die Prachtstraße Unter den Linden und über die Friedrichstraße. Mit dabei ist die Initiatorin von Fridays for Future, Greta Thunberg.

Unterwegs ist auch die Aktionistinnen-Gruppe Radikale Töchter, quasi ein weiblicher Spin-off des Zentrums für Politische Schönheit: Sie tragen ihr Markenzeichen, Overalls in allen Farben des Regenbogens, und dazu passende FFP2-Masken.

Die Radikalen Töchter hier bei ihrer Sammelstelle vor der Schweizer Botschaft.
Foto: Colette Schmidt

"Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut", skandieren Jugendliche. Derweil geht das Programm vor dem Reichstag weiter. Später soll man sich dort wieder treffen.

Die Enkelkinder waren in Duisburg auf der Straße, der Opa in Berlin.
Foto: Colette Schmidt

Ein älterer Herr fährt allein mit seinem Rollstuhl und einem Schild, auf dem steht: "Wir sind stolz auf euch, Oma und Opa!" Ob seine Enkel auch hier dabei sind? "Nein, die Leben in einer anderen Stadt, in Duisburg, aber dort sind sie auch gerade auf der Straße", erzählt der Mann lächelnd.

Auf der Reinhardtstraße machen sich Demonstrierende vor dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus, der Zentrale der FDP, mit lautem Klatschen und Pfeifen bemerkbar.

Die Eisenbahngewerkschafter in der Reinhardtstraße zeigten Flagge.
Foto: Colette Schmidt

Einige Häuser weiter unterstützt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft von ihren Balkonen aus die Demo mit Transparenten und anfeuernden Rufen. Am Nachmittag geht der Rasen vor dem Reichstag über. Der Zustrom muss von Ordnerinnen und Ordner jetzt reguliert werden, denn: Greta Thunberg spricht nun.

"Wir werden nicht aufgeben, wir wollen einen Wandel, wir verlangen einen Wandel, es gibt kein Zurück", ruft Greta Thunberg den Klimastreikenden auf Englisch zu, und: "Wir können das noch hinkriegen. Ja, geht wählen, aber Wählen allein reicht nicht. Wir müssen weiterhin auch auf die Straße gehen."

Der Höhepunkt war für die meisten jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer Thunbergs Rede vor dem Reichstag.
Foto: imago images/Emmanuele Contini

Nach Thunberg geht es noch lange weiter, ein leicht heiserer Clueso singt und ruft den tanzenden jungen Leuten zu: "Ich bin erkältet und treffe heute die hohen Töne nicht, aber scheißegal, ihr seid einfach das Geilste!"

Hinter der Bühne, hinter Tretgittern, auf denen ein improvisierter handgeschriebener "Backstage"-Zettel hängt, drängt sich derweil ein hektischer Pulk von Fernsehkameras um einen ruhenden Mittelpunk. Da steht Thunberg, schwarze Jacke, lila Hose, und spricht ganz ruhig in ein Mikrofon. Und alle hören zu. (Colette M. Schmidt aus Berlin, 24.9.2021)