Am Schluss bricht Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Einvernahme ab: Mehr als fünf Stunden hat ihn zuvor ein junger Einzelrichter zum Verdacht auf Falschaussage befragt, danach richtete noch Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic Fragen an den Kanzler. Bloß: "Das funktioniert nicht so gut zwischen uns", meint Kurz. Es sei seine Entscheidung, erklärt der Richter in Richtung des Kanzlers: "Sie können jederzeit sagen, dass Sie nicht mehr wollen"; dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft überhaupt Fragen stellen könnte, sei ja "ein Entgegenkommen" von Kurz gewesen.

Es ist der 3. September 2021, 19.20 Uhr, als diese spektakuläre Einvernahme vor Gericht endet. Es geht um die Frage, ob Kurz vor dem U-Ausschuss falsch über die Staatsholding Öbag, deren Aufsichtsratsbestellung und die Krönung von Thomas Schmid zum Alleinvorstand ausgesagt hat – und gleichzeitig geht es um viel mehr, vielleicht sogar um die Kanzlerschaft. Denn wie Kurz hier antwortet, entscheidet, ob es zur Anklage und somit zu einem Prozess samt Risiko der Verurteilung kommt. Die Protokolle der Einvernahme liegen dem Rechercheverbund aus SPIEGEL und STANDARD vor.

Ausschnitte aus den Einvernahmeprotokollen.

Der Richter, der erst vor etwas mehr als einem halben Jahr zum Straflandesgericht kam und sogar jünger als Kurz ist, hat jedenfalls einen Plan: Er will zuerst besprechen, wie die Staatsholding Öbib unter Türkis-Blau zur Öbag wurde; dann Richtung Öbag-Gesetz gehen, die Aufsichtsratssuche besprechen und schließlich die Bestellung von Thomas Schmid zum Alleinvorstand. Dann erst sollen die vorgeworfenen Aussagen im U-Ausschuss besprochen werden.

Kurz beginnt mit einer einleitenden Stellungnahme. Sein Mitarbeiter habe ihm in der Vorbereitung für den U-Ausschuss eingeschärft: "Das einzig Wichtige ist, Du musst immer die Wahrheit sagen und wenn du dich nicht erinnern kannst, dann sag halt, Du kannst dich nicht erinnern." Kurz habe gewusst, dass die WKStA weitreichend Chatnachrichten seiner Weggefährten sichergestellt habe. "Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, aber ich bin kein Vollidiot", sagt Kurz zum Richter, "Wenn ich weiß, dass Sie all diese SMS haben, dann wäre es ja nahezu absurd, absichtlich etwas davon Abweichendes zu sagen (...)." Auch wenn Kurz manche der Chats "total fremd" vorkommen, aber: "Ich unterstelle nicht, dass man diese SMS bei der WKStA erfunden hat."

Lang und breit erklärt Kurz dann, dass er eben keine faktische Entscheidungsgewalt über die Personalentscheidungen im Öbag-Aufsichtsrat gehabt habe. Man sehe ja an seinen Wünschen, dass er sich nicht durchgesetzt habe; er habe etwa den Industriellen Sigi Wolf oder den einstigen CDU-Minister Theodor von Guttenberg als Aufsichtsratsvorsitzende ins Spiel gebracht.

Und: "Wenn in der Kantine wer was zum Essen holt und er will sich nicht anstellen, dann sagt er wahrscheinlich auch: ,Ich hole das für den Bundeskanzler.’"
Foto: Martin Juen via www.imago-images.de

Prinzipiell habe ihn die Öbag aber nur "marginal" beschäftigt, sagt Kurz auf Nachfrage des Richters. Der beginnt dann, mit dem Kanzler eine Reihe jener Chatnachrichten durchzugehen, die in den vergangenen Monaten Österreich in Atem hielten. Was meinte Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, schon vor der Wahl 2017 damit, dass er "von Sebastian offiziell den Auftrag bekommen" habe, Digitalisierung und Beteiligungen "aufzubereiten"? Es sei für Kurz nicht neu, "dass Menschen sagen, ich mache das für den Bundeskanzler", erklärt der Kanzler. Und: "Wenn in der Kantine wer was zum Essen holt und er will sich nicht anstellen, dann sagt er wahrscheinlich auch: ,Ich hole das für den Bundeskanzler.’"

Zunehmende Hitzigkeit

Die nächsten Minuten der Befragung laufen recht harmonisch ab: Der Richter fragt ruhig und präzise nach, Kurz erklärt die Zusammenhänge und betont: "Passt alles zusammen", oder: "Total im Erwartbaren". Heikel wird es, als es um den vierten Teil des Ermittlungsverfahrens geht: Nämlich um die Frage, ob Kurz in Bezug auf Nebenvereinbarungen zwischen ÖVP und FPÖ nicht die Wahrheit gesagt habe. Dabei geht es um einen Deal zwischen dem blauen Verhandler Arno Schiefer und seinem türkisen Pendant Schmid. In einem FPÖ-internen Gruppenchat schrieb der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache: "Kurz will davon nichts wissen und das geht nicht." Für den Kanzler könnte das bedeuten: "Wenn wer etwas vereinbart, was ich nicht weiß, dann will ich davon nichts wissen, oder?" Der Richter schlägt eine andere Lesart vor und meint, dann hätte Strache ja "Kurz weiß davon nichts" schreiben können. "Jeder kann alles interpretieren, wie er möchte", antwortet Kurz.

Kurz vor dem Untersuchungsausschuss.
Foto: Martin Juen via www.imago-images.de

Ab diesem Zeitpunkt wird die Einvernahme hitziger. So stört Kurz, dass bei vorgelegten Chatnachrichten manche Dinge gelb markiert sind; andere nicht: "Das ist der wichtige Punkt (...) aber das ist genau nicht gelb, fände ich eigentlich das Interessanteste, sollte man vielleicht rot machen, wenn ich das anregen darf." Der Richter erklärt: "Das ist gelb markiert, weil wir heute die Vorwürfe der WKStA durchgehen", dann entschuldigt sich Kurz, fügt aber an: "Es ist nur, dass ich einfach monatelang jetzt schon mit diesem Thema zu tun habe und es ärgert mich einfach ungeheuerlich und ich kann aus meiner Haut nicht raus, dass ich das Gefühl habe, es werden Wortfetzen aus SMS, die man gegen mich interpretieren kann, verwendet und es werden Dinge, die eigentlich rot leuchten müssen, und die zeigen, wie es wirklich war, einfach ignoriert". Da schaltet sich der anwesende Oberstaatsanwalt der WKStA ein und fragt, ob das "eigentlich in meine Ecke" gemünzt gewesen sei? "In Ihre Richtung ja, weil ich immer gelernt habe im Studium – das ich nicht fertig gemacht habe – dass man der Objektivität verpflichtet ist und dass man Belastendes und Entlastendes suchen muss und ich verstehe einfach nicht, wieso man die entlastenden Dinge nicht irgendwie auch gelb markiert. Entschuldigung."

Kurz ist gereizt

Allerdings: "Aber wir haben keine Markierungen vorgenommen, das möchte ich klarstellen", erklärt der Vertreter der WKStA. Tatsächlich war es der Richter: "Die Markierungen kamen von mir, um den Vorwurf aus meiner Sicht herauszuarbeiten." Kurz: "Ich hab mich schon wieder eingekriegt."

Wenige Minuten später reagiert der Kanzler allerdings wieder gereizt. Da fragt ihn der Richter, ob er und Hartwig Löger gemeinsam nach einer neuen Kandidatin für den Öbag-Aufsichtsrat gesucht hätten; wie eine Bildunterschrift im Wirtschaftsmagazin "Trend" damals berichtete. "Das ist nicht Ihr Ernst, oder?", fragt der Kanzler den Richter; um dann doch ausführlich zu antworten.

Immer wieder merkt man, dass Kurz von der breit angelegten Einvernahme genervt ist. So fragt ihn der Richter nach einem Abendessen mit Öbag-Aufsichtsrätin Iris Ortner und Schmid – einen Tag, bevor der Öbag-Aufsichtsrat Letzteren zum Alleinvorstand bestellt. Auch Kurz war bei dem Dinner anwesend. Der Richter fragt, ob es "im zeitlichen Zusammenhang mit der Vorstandsbestellung stand, dieses Abendessen". Kurz: "Wird wohl so gewesen sein, weil Sie werden es nicht erfunden haben."

Kurz: "Wird wohl so gewesen sein, weil Sie werden es nicht erfunden haben."
Foto: APA/Fohringer

Danach springt der Richter weiter in die Vergangenheit: Ins Jahr 2016, als Thomas Schmid dem damaligen Außenminister Kurz schreibt, er habe ihm eine Budgetsteigerung verschafft, und: "Du schuldest mir was :)))". Als Kurz erfahren habe, dass die WKStA sich hiermit beschäftigt, sei er "fast explodiert" und habe "ehrlich gesagt fast meinen Glauben in den Rechtsstaat verloren". Denn: Das Budget werde im Parlament beschlossen; Schmid habe sich – verkürzt gesagt – wichtig gemacht. Für den Richter ist die Formulierung "Du schuldest mir was" allerdings auch interessant; wenngleich es "nicht das Thema" sei. Das nutzt Kurz, um die WKStA anzugreifen: "Aber Herr Rat, das ist das Thema. Im Hirn der WKStA ist das das Thema, weil die haben einen eigenen Akt dazu angefertigt. Also Sie haben vollkommen Recht in Ihrer Einschätzung (...) das ist überhaupt nicht das Thema, dass vor fünf Jahren das Außenministerium mehr Geld bekommen hat. (...)"

"Ich verstehe, dass das Ganze emotional wird und ich habe vorher auch gesagt, dass der Herr Oberstaatsanwalt das aushalten muss. Aber ich muss jetzt schon an der Stelle sagen, bitte mit dem Sprachgebrauch sich ein bisschen einzuschränken (...)" Kurz: "Tut mir leid, wird gemacht."

Der Richter wird unwirsch

Dem Richter passen die Angriffe in Richtung Korruptionsermittler allerdings nicht: "Nein, jetzt rede ich kurz. (...) Ich verstehe, dass das Ganze emotional wird und ich habe vorher auch gesagt, dass der Herr Oberstaatsanwalt das aushalten muss. Aber ich muss jetzt schon an der Stelle sagen, bitte mit dem Sprachgebrauch sich ein bisschen einzuschränken (...)" Kurz: "Tut mir leid, wird gemacht."

Im nächsten Block geht der Richter dann weitere Kommunikation zwischen Kurz und Schmid durch, die ausführlich medial berichtet wurde. Dass Kurz Letzteren einen "Aufsichtsratssammler" genannt habe, sei "despektierlich" gemeint gewesen, sagte Kurz. Ebenso "Kriegst eh alles was du willst": Gemeint habe Kurz, dass Schmid einen großen Karrieresprung hingelegt habe und da "muss nicht die erste Sorge sein, ob das noch größer und noch mehr und noch bunter sein kann".

"Sie drehen mir schon wieder jedes Wort im Mund um, das ist ja unglaublich", antwortet Kurz.
Foto: Martin Juen via www.imago-images.de

Danach geht es in der Einvernahme langsam in Richtung U-Ausschuss. Dort bleibt Kurz bei seiner altbekannten Argumentation: Es handle sich um doppelte Verneinungen, die die WKStA falsch interpretiere. Aussagen seien ihm "in den Mund gelegt" worden, die Atmosphäre sei hektisch und turbulent gewesen; er habe jedenfalls nach bestem Wissen und Gewissen ausgesagt. Damit endet dann die Befragung des Richters. Kurz’ Verteidiger Werner Suppan stellt noch eine Frage, durch die der Kanzler präzisieren kann, wie er von Schmids Ambitionen in Richtung Öbag erfahren hat. Dann fragt WKStA-Oberstaatsanwalt Adamovic, ob er auch noch nachfragen kann. "Gerne. Alles gut", antwortet Kurz.

Es dauert jedoch nicht lange, bis die Stimmung eskaliert. So beschäftigt sich Adamovic in seiner Befragung vor allem mit der Personalie Sigi Wolf, den Kurz gern als Öbag-Aufsichtsratschef gesehen hätte. Etwa, ob Kurz und Löger über Wolf gesprochen hätten oder ob sich Wolf "mit einem Ersuchen um Unterstützung oder derartigen an den Herrn Kurz gewandt" habe? Die WKStA will auch wissen, was Löger in einem SMS an Kurz mit einer Besetzung der Öbag in "flexibler Form" gemeint habe, um einen "späteren Switch vom Beteiligungskomitee" zu ermöglichen? Kurz weiß das "ehrlich gesagt nicht". Warum erwähnte Kurz in seiner Antwort "Heute sehe ich Wolf"? Habe er ihm sagen wollen, er werde "daweil amal nicht" Öbag-Aufsichtsratschef oder habe Kurz an Löger gemeint "Bitte noch abwarten, ich möchte noch einmal sprechen?"

Wortklaubereien

"Sie drehen mir schon wieder jedes Wort im Mund um, das ist ja unglaublich", antwortet Kurz. Der Richter springt jedoch der WKStA bei: "Ich habe jetzt kein Wortumdrehen wahrgenommen". Kurz meint jedenfalls, es sei darum gegangen, bei einer Nachfrage Wolfs "nicht wie ein Depp" dazustehen und "keine Ahnung" antworten zu müssen. Weitere Nachfragen der WKStA zu Nebenvereinbarungen der Regierung beantwortet Kurz dann nicht mehr, die Einvernahme endet nach fünf Stunden.

Nun liegt es an der WKStA und in weiterer Folge dem Justizministerium, eine Entscheidung über Anklage oder Einstellung zu treffen. Der Richter, der die Einvernahme durchführte, hat mit einem späteren Prozess nichts mehr zu tun; er war nur für die Beweisaufnahme zuständig. Eigentlich wird diese meist von der Staatsanwaltschaft selbst durchgeführt, Kurz’ Anwalt Werner Suppan hatte jedoch auf eine richterliche Befragung bestanden – und dieses Recht vom Justizministerium auch zugestanden bekommen. Die ÖVP hielt sich zur Einvernahme drei Wochen lang bedeckt; erst am Mittwoch waren Details dazu publik geworden.

Nun gelangte das Wortprotokoll in den Casinos Akt. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid, 24.9.2021)