Trainer Christian Ilzer muss immer seltener eingreifen. Sturm Graz hat sich unter seinen Fittichen selbst organisiert.

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Manchmal schaut Christian Ilzer einfach nur zu. Das bedeutet nicht, dass er die Dinge schleifen lässt, aber die Momente, in denen er eingreifen muss, sind rar. "Die Mannschaft ist gut selbstorganisiert, sie regelt vieles alleine, Strukturen sind vorhanden." Die Mannschaft ist Sturm Graz, Ilzer (43) trainiert sie seit Mitte 2020. Damals hat er die Austria Wien freiwillig verlassen, was in dieser Branche unüblich ist. Normalerweise wird man beurlaubt oder gefeuert. "Trainer sind im Fußballgeschäft nie auf der sicheren Seite", sagt er. Sturms Angebot war nicht abzulehnen, der Steirer Ilzer sah in Graz Perspektiven. Das Konzept, etwas entstehen zu lassen, hat ihn überzeugt. Und es entstand.

Sturm wurde in der Bundesliga Dritter. "Es ist uns gelungen, zum großen Trio aufzuschließen." Er meint Red Bull Salzburg, Rapid und den LASK, wobei Trio eine schamlose Übertreibung ist, es handelt sich eher um ein Duo. "Denn gegen Salzburg ist kein Kraut gewachsen."

Energie

Aktuell, nach acht Runden, ist Sturm Zweiter. Souveräner Zweiter. Okay, Salzburg hat sieben Zähler mehr, "aber die enteilen allen". Rapid und der LASK sind jedenfalls deutlich abgehängt. "Eine Momentaufnahme. Aber ja, wir sind sehr passabel gestartet", sagt Izer. Seinen Anteil am Erfolg mögen andere bewerten. "Ich strotze vor Energie, liebe diesen Job. Das Schwierige ist, erfolgreich zu bleiben. Ob ich ein guter Trainer war, weiß man erst in 25 Jahren." Sein Vertrag bei Sturm wurde vorzeitig bis 2024 verlängert.

Die Zusammenarbeit mit Sport-Geschäftsführer Andreas Schicker funktioniert vorzüglich. "Auf professioneller und menschlicher Ebene. Diese Kombination ist selten", sagt Ilzer. Binnen kurzer Zeit wurde "das Mutterschiff salonfähig gemacht. Die Mutter jedes Vereins ist die Kampfmannschaft. Fährt sie in ruhigen Gewässern, hat das positive Auswirkungen auf den Nachwuchs." Sturm entwickelt sich selbst, das Reservoir wächst. "Wir bringen Strukturen rein."

Prunkstück

Das Prunkstück ist die Offensive. Die Grazer haben in der Liga genauso oft getroffen wie die allen enteilenden Salzburger, nämlich 21 Mal. Sechs Tore erzielte der 21-jährige Kelvin Yeboah, je viermal netzten Jakob Jantscher und Manprit Sarkaria (25). Jantscher ist bereits 32, er erlebt seinen x-ten Frühling. Ihm kommt das 4-4-2-System mit Raute gelegen. "Hohes Pressing, die Wege werden intensiver, aber kürzer. Wir kommen öfter in die Box, sind nach vorne orientiert, das ist für die Zuschauer attraktiv."

Jantscher bildet mit Yeboah das bei Gegnern gefürchtete Angriffsduo. "Wir ergänzen uns, weil wir sehr unterschiedlich sind. Er geht in die Tiefe, ich halte den Ball, dribble." Der Routinier wurde sogar ins Nationalteam einberufen, er hat das schreckliche Triple (2:0 Moldau, 2:5 Israel, 0:1 Schottland) nicht zu verantworten, Jantscher saß auf der Bank. "Ich weiß immerhin, dass man nicht vergessen wird."

Ilzer hat eine fixe Vorstellung von Fußballern, ein Anforderungsprofil. "Natürlich ist jede Position etwas anders zu beurteilen. Aber Schnelligkeit, Laufstärke, Physis, technische und taktische Fähigkeiten sind unabdingbar. Hinzu kommen Charakter, Mentalität, Arbeitsmoral." Kicker sollten durchaus ein Ego besitzen. "Jeder Spitzensportler ist auf eine gewisse Art Egoist. Das ist gut, sofern er es dem Mannschaftserfolg unterordnet. Denn Geben kommt immer vor Nehmen."

Bei Sturm, sagt Ilzer, habe jeder Einzelne seine Rolle gefunden, die Hierarchie passe. Yeboah gilt als Ausnahmetalent. Ob er zu gut für Sturm ist? "Nein, wir sind nicht zu klein für ihn. Kelvin ist ein Gefühlsmensch, wir begleiten ihn, bereiten ihn auf die Brutalität im Business vor. Er weiß, was er an uns hat. Seine Berater wissen es auch."

Ad Sarkaria, der von der klammen Austria geholt wurde: "Ich kannte ihn ja aus Wien. Er besitzt alle Voraussetzungen, um außergewöhnlich zu werden."

In der Vorwoche setzte es einen kollektiven Rückschlag, das 0:1 in der Europa League beim AS Monaco klang knapp, war aber doch deutlich. Ilzer betrachtet die Niederlage als "Vorwärtsscheitern". Für diesen Begriff steht ihm das Copyright zu. "Vorwärtsscheitern deshalb, weil wir gut darauf reagiert haben. Sie haben uns eine Botschaft mitgegeben." Drei Tage später wurde WSG Tirol 5:0 abgefertigt. Auch Jantscher zog Lehren aus der internationalen Unterlegenheit. "Jeder hat gemerkt, dass sein monegassischer Gegenspieler besser war. Trotzdem haben wir das als Ansporn genommen."

Klassiker

Am Sonntag steht um 17 Uhr das Gastspiel bei Rapid an, da bedarf es keines zusätzlichen Ansporns. Für Jantscher ist es der "Klassiker im österreichischen Fußball" schlechthin. "Es sind die beiden Teams mit den besten Fans, es ist immer etwas Besonderes." Spiele gegen Salzburg hätten im Vergleich dazu weniger Charme. "Weil man ja meistens verliert, gegen Rapid kann man durchaus gewinnen."

Ilzer stimmt dieser Einschätzung zu. "Ein absoluter Schlager." Rapid sei stark, musste aber "durch die internationale Qualifikationsmühle", hat mehr Partien als Sturm in den Beinen. Am Donnerstag quälten sich die Hütteldorfer im Cup bei der Admira in der Verlängerung weiter (2:1). Jantscher sagt: "Wir streben immer das Maximum an."

Ilzer wird im Allianz-Stadion an der Seitenlinie stehen beziehungsweise in seinem Bereich hin und her laufen. Im Idealfall kann er nur zuschauen. Davon, sagt er, sei aber nicht unbedingt auszugehen. (Christian Hackl, 25.9.2021)

SK Rapid Wien – SK Sturm Graz (Wien, Allianz Stadion, 17.00 Uhr, SR Gishamer). Saisonergebnisse 2020/21: 1:1 (a), 4:1 (h), 0:0 (h), 1:4 (a)

Rapid: Gartler – Stojkovic, Greiml, Hofmann, Ullmann – Ljubicic, Aiwu – Arase, Fountas, Grüll – Kara

Ersatz: Unger – Schick, Wimmer, Auer, Petrovic, Grahovac, Ballo, Kitagawa

Es fehlen: Strebinger (Schulterprobleme), Dibon (erneute Knie-OP)

Sturm: Siebenhandl – Jäger, Affengruber, Wüthrich, Dante – Hierländer, Gorenc-Stankovic, Kiteishvili, Sarkaria – Yeboah, Jantscher

Ersatz: Schützenauer – Gazibegovic, Geyrhofer, Ljubic, Kuen, Prass, Borkovic, Niangbo

Es fehlt: Ingolitsch (Aufbautraining)