"Schulische Segregation ist eine der schlimmsten Formen von Diskriminierung und eine schwere Verletzung der Rechte von betroffenen Kinder, da deren Lernmöglichkeiten durch Isolation und das Fehlen von Inklusion in Regelschulen schwer beeinträchtigt werden." Diese rigorose Aussage stammt nicht etwa von eingefleischten Sonderschulgegnerinnen und Sonderschulgegnern oder ahnungslosen Idealistinnen und Idealisten, sondern vom damaligen Kommissar für Menschenrechte des Europarats Nils Muižnieks. In einem Positionspapier zu Inklusiver Bildung aus dem Jahr 2017 skizziert dieser einerseits die Problemstellung, andererseits führt er präzise an, welche Schritte die europäischen Staaten für die Realisierung eines inklusiven Bildungssystem dringend unternehmen müssen. Unmissverständlich wird festgestellt, dass Aussonderung im Bildungswesen eine nicht zu rechtfertigende Ungerechtigkeit gegenüber Minderheiten darstellt, die wesentlich zur Marginalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen beiträgt.

In Österreich ist das Sonderschulwesen bestens etabliert.
Foto: APA/Harald Schneider

Widerstand gegen inklusive Bildung auf allen Ebenen

In Österreich ist das Sonderschulwesen bestens etabliert, auch Internatssonderschulen gibt es flächendeckend. Dort werden aufgrund fehlender familienentlastender Dienste und mangelnder Bereitschaft zur Integration von Kindern mit Behinderungen in Regelschulen bereits Sechsjährige von ihren Familien getrennt und durch die langen Abwesenheiten während der Schulzeit von ihrem eigentlichen sozialen Umfeld völlig entfremdet. Diese frühe Betreuung in Sondereinrichtungen, so die österreichischen Kinder- und Jugendanwaltschaften, leiste der langfristigen Institutionalisierung von Kindern und später erwachsenen Menschen mit Behinderungen Vorschub.

Doch zurück zum Papier des Europarats, dessen Einleitung sich nicht nur wie ein Manifest, sondern wir eine strenge Ermahnung liest. Zwar hätten viele Staaten sowohl internationale Übereinkommen – etwa die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen - ratifiziert und durchaus auch nennenswerte rechtliche und konkrete Maßnahmen in Richtung eines inklusiven Schulsystems ergriffen, in der Praxis zeige sich jedoch, dass deren effektive Umsetzung durch Widerstand unter anderem von administrativer Seite, von Lehrerinnen, Lehrern und anderen Professionellen sowie von Eltern behindert werden. Ergänzend dazu sei hier die mangelnde mediale Darstellung gelungener schulischer Integration gerade von Kindern mit Behinderungen erwähnt. Zumindest in Österreich erschöpft sich die Berichterstattung in der Darstellung von Schwierigkeiten bei der schulischen Integration und der Betonung der Vorzüge von Sonderschulen. Die alljährliche Licht-ins-Dunkel Maschinerie, an der sich praktisch alle Medien landesweit völlig unkritisch beteiligen, unterstützt in der Bevölkerung die Überzeugung, dass Sonderschulen und andere segregierende Einrichtungen gut und richtig sind.

EU-Mittel für schulische Segregation

Die Frage, ob Sonderschulen und andere Formen von Segregation im Bildungswesen diskriminierend sind, wird in Österreich weder gestellt noch diskutiert. Im Gegenteil: Sonderschulen werden neu gebaut und sogar unter Verwendung von Geldern aus dem EU-Strukturfonds renoviert, wie aus einer kürzlich bei der EU-Kommission eingebrachten Beschwerde über die missbräuchliche Verwendung dieser Mittel ersichtlich ist. "Wieso wurde dieses Geld nicht für inklusive Maßnahmen investiert, damit die Kinder die Schule in ihrem Heimatort besuchen und bei ihren Familien leben können?", heißt es zurecht in einer Presseaussendung. Wenn Ressourcen in schulische Aussonderung fließt, wird dies unhinterfragt hingenommen, bei der Forderung nach Inklusiver Bildung heißt es reflexartig: Wer soll das bezahlen? 

Wissen, wie inklusive Bildung geht

Dabei gibt es gerade auch aus Österreich außerordentlich gelungene Beispiele für die qualitativ hochwertige inklusive Bildung  in Regelschulen - auch von Kindern mit sehr schweren Beeinträchtigungen. Ich selbst habe bereits in den 1980er und in der 1990er Jahren nicht nur begeistert als Lehrerin integrativ unterrichtet, sondern mein Wissen auch damals schon im Rahmen der Lehrkräfteaus- und Weiterbildung weitergegeben. Vor einigen Jahren habe ich mit einer Kollegin aus Niederösterreich ein Fachbuch veröffentlicht, in dem anhand eines konkreten Beispiels ausführlich und ohne die damit verbundenen Herausforderungen zu ignorieren, gezeigt wird, wie die schulische Integration auch von Kindern mit basalem Förderbedarf in der Praxis umgesetzt werden kann. Das Wissen, wie inklusive Bildung erfolgreich in Schulen realisiert werden kann, gibt es seit langem. Warum wird es nicht genützt? (Petra Flieger, 5.10.2021)

Zur Info

Weitere Beiträge im Blog