Auch wenn die Wahlkarten erst am Montag ausgezählt werden: Die Grazer und Grazerinnen haben am Sonntag für ein politisches Beben gesorgt. Laut den Hochrechnungen von Sonntagabend liegt die KPÖ klar auf Platz eins. Die Kommunisten erreichten 28,9 Prozent der gültigen Stimmen, ein Plus von 8,6 Prozentpunkten.

Elke Kahr konnte sich über den ersten Platz der KPÖ in Graz freuen.
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Der Verlierer des Abends ist die ÖVP von Bürgermeister Siegfried Nagl, die ein Minus von 12,1 Prozentpunkten verbuchen musste und mit 25,7 Prozent nun klar hinter der KPÖ liegt. Nach dem Wahldebakel kündigte Nagl – noch bevor das endgültige Ergebnis vorlag – tief betroffen seinen Rücktritt an. Zuvor war bereits eine Koalition zwischen der KPÖ und der ÖVP von beiden Seiten ausgeschlossen worden. "Das ist mehr als schmerzhaft für mich und meine Partei", sagte Nagl bei einer Pressekonferenz im Grazer Rathaus zu den Verlusten der ÖVP.

Bildungsstadtrat soll auf Nagl folgen

Bis zur konstituierenden Gemeinderatssitzung Mitte November wird Nagl noch im Amt bleiben, die Koalitionsverhandlungen soll sein designierter Nachfolger, Bildungsstadtrat Kurt Hohensinner führen, berichtete die APA.

Siegfried Nagl (ÖVP) wollte weitere fünf Jahre Bürgermeister sein. Seine ÖVP kam jedoch nur auf den zweiten Platz. Er bleibt bis Mitte November im Amt.
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Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz zeigte sich im Interview mit Puls 24 über den Sieg der KPÖ "sehr überrascht". Es sollte "nachdenklich stimmen", dass "die Kommunisten in Österreich eine Wahl, wenn auch eine regionale, gewinnen können". Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) dankte Nagl für "seinen großartigen Einsatz". Über die Wahlschlappe zeigte sich Schützenhöfer niedergeschlagen: "Auf eine Niederlage dieses Ausmaßes waren wir nicht eingestellt."

Wahlgewinner sind hingegen auch die Grünen, die auf 17,3 Prozent (plus 6,8) kommen dürften, die FPÖ (minus 5,0) kommt auf 10,9 Prozent, die SPÖ ist mit 9,6 Prozent einstellig. Die Neos sind mit 5,3 Prozent erneut im Gemeinderat vertreten.

KPÖ-Chefin Kahr wollte sich am Sonntagabend noch nicht endgültig festlegen, ob sie den Anspruch auf das Bürgermeisteramt stellen wird. Sollte sie aber politische Partner finden, werde sie sich der Verantwortung stellen, sagte Kahr.

Grüne legt sich nicht fest

Riesenjubel bei der KPÖ nach der Grazer Gemeinderatswahl.

Konkret danach gefragt, wollte sich die zweite Wahlgewinnerin des Abends, Judith Schwentner von den Grünen, nicht festlegen, ob sie für eine Zusammenarbeit mit der KPÖ bereit sei. Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler freute sich über den "historischen Erfolg der Grazer Grünen". Der Steirer wünschte sich die Grünen nun auch in der Stadtregierung der Landeshauptstadt. Schwentner und die Grazer Grünen hätten "alles, was es braucht, um jetzt Regierungsverantwortung zu übernehmen und Graz zum Besseren zu verändern".

Eu-Grüner rät zu Rot-Rot-Grün in Graz

Thomas Waitz, österreichischer EU-Abgeordneter der Grünen, kam in Berlin bei der Wahlparty der deutschen Grünen über Graz ins Schwärmen. Auf die Frage des STANDARD, was er zum Sieg der KPÖ und dem besten Ergebnis der Grazer Grünen sage, erklärte er: "In Graz hat heute Bürgernähe, soziale Nähe und zukunftstaugliche Politik gegen rechts außen, rückwärts gewandte Fossilpolitik gewonnen. Graz darf sich ab heute wieder stolz Menschenrechtsstadt nennen." Ob er seiner Parteikollegin Schwentner raten würde, mit der KPÖ und der SPÖ eine Regierung zu bilden? "Absolut! Der Wählerinnen- und Wählerwille ist zu respektieren, man muss Elke Kahr gratulieren, sie hat das Herz der Grazerinnen und Grazer gewonnen. Die KPÖ ist das, was die SPÖ in besseren Zeiten gewesen ist", sagte Waitz. Die Zuwächse, die Schwentner errungen hat, seien angesichts des Erfolges der KPÖ " umso bemerkenswerter".

Für die stellvertretende STANDARD-Chefredakteurin ist der KPÖ-Sieg eine kleine Sensation. Der Fokus auf das Thema Wohnen war die gewinnbringende Strategie für KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr.
DER STANDARD

FPÖ: Graz macht sich lächerlich

Der FPÖ-Spitzenkandidat und bisherige Vizebürgermeister Mario Eustacchio warnte, Graz mache sich mit der Wahl der KPÖ lächerlich. Die Grazer würden ihre Wahlentscheidung noch bereuen. Er gab sich schwer enttäuscht über den "Linksruck" in der steirischen Landeshauptstadt: "Der Wähler hat immer recht, aber ich bin mir da nicht mehr ganz sicher." Die FPÖ werde jetzt "scharfe Opposition sein bei den Dingen, die uns da drohen".

Kahr punktete

Dass die KPÖ so stark gewonnen hat, liegt klar an der Person Elke Kahr. Sie wirkt authentisch und agiert betont volksnah. Der Versuch von ÖVP und FPÖ, Kahr ins politische Abseits zu stellen, indem man der KPÖ das Verkehrsressort übertragen und das Wohnungsressort weggenommen hatte, ging offensichtlich schief. Dass Robert Krotzer als Gesundheitsstadtrat in der Corona-Pandemie an Profil gewinnen konnte, hat wohl auch zum KPÖ-Erfolg beigetragen.

Laut Wählerstromanalyse des Meinungsforschungsinstituts Sora legte die KPÖ vor allem aus der Gruppe der letztmaligen Nichtwähler, aber auch zulasten von SPÖ und Grünen zu. Breite Wanderungen gab es auch von der FPÖ zu den Nichtwählern und von der ÖVP zu den Grünen.

In Mandaten sieht es laut der aktuellen Hochrechnung im 48-köpfigen Gemeinderat so aus: Die KPÖ kommt auf 15 Mandate (+5), die ÖVP auf 13 (-6), die Grünen auf neun (+4), die FPÖ auf fünf (-3), die SPÖ auf vier (-0) und die Neos auf zwei Mandate (+1).

Wie die Stadtregierung zusammengesetzt sein wird, stand Sonntagabend noch nicht endgültig fest. Voraussichtlich wird aber die KPÖ einen Sitz dazugewinnen und insgesamt drei Sitze erhalten. Die ÖVP dürfte auf zwei Sitze in der Stadtregierung kommen, Grüne und FPÖ je einen. Die SPÖ kämpft derzeit noch um den Einzug und ein Mandat in der Stadtregierung – dieses würde sie auf Kosten der KPÖ erhalten.

Fix dürfte sein, dass bei der KPÖ Kahr und Krotzer ihre Sitze im Stadtsenat behalten, zugeknöpft gaben sich die Kommunisten aber darüber, wer den möglichen dritten Platz besetzen könnte.

Koalitionen wird es mit der KPÖ – nach Kahrs Aussagen – nicht geben. Es dürfte eher zu einer Rahmenvereinbarung kommen, alles andere könnte dem freien Spiel der Gemeinderatskräfte überlassen bleiben.

Lauer Wahlkampf

Der Wahlerfolg der KPÖ war nicht zuletzt wegen des lauen Wahlkampfs für viele eine Überraschung. Vorab wurde wenig Veränderung im Rathaus erwartet, trotzdem war in den Tagen vor der Wahl in der ÖVP vielerorts Nervosität zu vernehmen gewesen. Es könnte nach der Wahl eine Allianz zwischen KPÖ, Grünen und SPÖ geschmiedet werden, hieß es verschwörerisch. Man rechnete bereits damit, dass Nagl nach seinen 18 Jahren als Bürgermeister einige wichtige Prozentpunkte verlieren könnte.

Die Warnung mag wohl in erster Linie zur Motivation an die eigenen Reihen gerichtet gewesen sein, die sich schon auf einen Nagl-Sieg einstellten, die "rote Gefahr" wurde aber auch breiter medial "gespielt". Da war von einer kommunistischen Machtübernahme die Rede, die Chaos, Terror und Angst über Graz bringen werde.

Nagl war angetreten, um zu seinen 18 Jahren als Stadtoberhaupt noch einmal fünf draufzulegen. Er war schon zum Zeitpunkt der Wahl der längstdienende Bürgermeister der steirischen Landeshauptstadt.

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Eigentlich hätte die Wahl erst zu Beginn 2022 stattfinden sollen. Nagl hatte sie aber – dazu ist er kraft des Statuts der Stadt berechtigt – auf diesen Sonntag vorverlegt. Eine wirklich schlüssige Begründung hat er dafür nicht geliefert. Die Argumente drehten sich um die Pandemiegefahr, die eventuell noch bedrohlicher werden könnte, und einen kurzen Wahlkampf.

ÖVP startete bei 38 Prozent

Bei der Gemeinderatswahl 2017 hatte die ÖVP unter Nagl ein sattes Plus von 4,05 Prozentpunkten erzielt. Es kamen knapp 38 Prozent sowie 19 Mandate und drei Stadtsenatssitze aufs Konto. Zweitstärkste Partei wurde damals die KPÖ unter Stadträtin Kahr, die das hohe Niveau mit einem leichten Plus von 0,48 Prozentpunkten auf 20,34 Prozent halten konnte. Die Kommunisten erhielten zehn Mandate und zwei Stadtsenatssitze.

Die Ausgangslage in Graz.
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Viele mischten mit

Wahlberechtigt waren am Sonntag in Graz 223.512 Personen über 16 Jahren. 53,8 Prozent gaben schließlich ihre Stimme ab. Schon beim vorgezogenen Wahltag am 17. September machten 9.387 von ihnen ihr Kreuz. Ausgewertet werden am Montag noch 25.430 Wahlkarten. Das Endergebnis wird Montagabend erwartet.

In Graz mischten am Sonntag mehr Parteien als je zuvor mit, 14 Listen stellten sich zur Wahl. Neben den sechs im Gemeinderat vertretenen Parteien wollten etwa die Piraten, die 2012 den Einzug geschafft hatten, 2017 aber wieder hinausgeflogen waren, ein Comeback feiern.

Bundesweit bekannt war der Name auf dem zehnten Listenplatz: Das Team HC Strache – Allianz für Graz wollte mit Sven Stadler in das Stadtparlament einziehen. Nicht nur die Strache-Anhänger könnten die Freiheitlichen Stimmen gekostet haben, sondern auch die FBP, die Freie Bürgerpartei Graz, die mit ihrem Slogan "patriotisch – bürgernah – sozial" ebenfalls im rechten Spektrum fischte.

Veganer Zoo

Auch "Die Basis Graz" wollte in diesem Teich fischen. Sie präsentierte sich als starke Kritikerin der Corona-Maßnahmen. Die Liste "Verantwortung Erde", die auch im Villacher Gemeinderat und zudem mit Gerald Dobernig in der dortigen Stadtregierung vertreten ist, wollte vom siebenten Platz auf dem Stimmzettel aus die "Klimakatastrophe aufhalten".

Auf dem achten Listenplatz war "Wir – Gemeinsam für Graz" zu finden, "Die Partei Steiermark" (DÖP), ein Satireprojekt, auf Platz 13. "Graz im Herzen" war auch noch dabei.

Zumindest für Erheiterung sorgte das Satireprojekt "Die Partei", das ebenfalls ins Rathaus wollte und einige neue Konzepte für Graz vorstellte. So fordert es etwa eine "Digitalisierung des Uhrturms", die Errichtung eines Weltraumbahnhofs, statt einer U-Bahn einen unterirdischen Flughafen oder einen veganen Zoo – und vor allem, nach dem verordneten Skateverbot, eine "Skatepflicht auf allen Grazer Plätzen". (Walter Müller, Thomas Neuhold, Colette M. Schmidt 26.9.2021)