Berliner mobilisierten in den vergangenen Jahren zunehmend gegen große Immobilienkonzerne. Das Scheitern des Mietendeckels verschaffte der Bürgerinitiative zusätzlichen Auftrieb.

Foto: imago images/IPON

Gleich sechs "Kreuzerl" durften die Berlinerinnen und Berliner vergangenen Wahlsonntag machen. Die Hauptstädter stimmten nicht nur über den Bundestag, das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksvertretungen ab, sondern auch über die Enteignung von großen Immobilienkonzernen – mit Erfolg für die dahinterstehende Bürgerinitiative.

Denn eine Mehrheit von 56,4 Prozent der Wählerinnen und Wähler sprach sich für die "Vergesellschaftung" von privaten Wohnungen aus. Der Berliner Senat ist nun gefordert, "alle Maßnahmen einzuleiten", die zur "Überführung von Immobilien ins Gemeineigentum" erforderlich sind. Rechtlich bindend ist das Votum allerdings nicht. Damit bleibt Raum für Diskussionen – nicht nur politischer, sondern auch rechtlicher Natur.

Gescheiteter Mietendeckel

Berlin kämpft seit Jahren mit Wohnungsnot und hohen Mieten. Selbst Normalverdiener haben es oft schwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Im Jänner 2020 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus daher einen Mietendeckel beschlossen, der die Mietkosten um durchschnittlich 200 Euro pro Monat senkte. Lang hielt das Gesetz allerdings nicht. Bereits im April 2021 hob es das Bundesverfassungsgericht wieder auf.

Die Entscheidung des Höchstgerichts brachte nicht nur Mieter, die den Zins nachbezahlen mussten, in die Bredouille – sie sorgte auch für regen Zulauf bei der Enteignungsinitiative. "Die Leute rennen uns die Bude ein", erzählte Sprecher Michael Prütz im April 2020, als das Volksbegehren Unterstützungserklärungen sammelte.

Hohe Entschädigungen

Die Bürgerinitiative fordert die Enteignung von Unternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen in Berlin besitzen und Gewinne erzielen. Die Immobilien sollen "vergesellschaftet", also gegen die Zahlung einer Entschädigung in öffentliches Eigentum übertragen werden. Davon betroffen wären rund 240.000 Objekte – etwa 15 Prozent aller Berliner Mietwohnungen.

Laut Prognosen des Stadtsenats würden die Entschädigungszahlungen 29 bis 36 Milliarden Euro betragen. Die hohen Kosten machen das Vorhaben politisch äußerst umstritten – auch deshalb, weil die Enteignungen keinen neuen Wohnraum schaffen würden. Dazu kommt, dass die Stadt in der Vergangenheit zahlreiche Wohnungen privatisierte, die nun deutlich teurer zurückgekauft werden müssten.

Politisch offen

Ob der künftige Berliner Senat dem Willen der Bevölkerung folgt, bleibt daher fraglich. Bisher regierten die Sozialdemokraten gemeinsam mit den Linken und den Grünen. Die Bildung der neuen Koalition ist nach dem SPD-Wahlsieg noch offen.

Einzig die Linkspartei ist geschlossen für die Enteignungen. Die Grünen halten den Schritt für möglich, sind aber gespalten. Spitzenkandidatin Bettina Jarasch stimmte dafür – und damit gegen die Linie der grünen Bundespartei. Alle anderen Fraktionen inklusive der SPD waren vor der Wahl gegen die Maßnahme. Stattdessen forderten sie den Bau und den Kauf neuer Wohnungen. Erst Mitte September hatte die Stadt 14.750 private Objekte übernommen.

Rechtlich umstritten

SPD-Wahlsiegerin Franziska Giffey kündigte am Montag im "RBB-Inforadio" an, den Willen der Bevölkerung zu respektieren. Ein entsprechender Gesetzesentwurf müsse erarbeitet, aber verfassungsrechtlich geprüft werden. Das deutsche Grundgesetz sieht vor, dass Grund und Boden zum Zweck der "Vergesellschaftung" in "Gemeineigentum" überführt werden können. Ob das im konkreten Fall auch verhältnismäßig wäre, ist unter Juristen höchst umstritten. Das letzte Wort hätte – wie schon beim Berliner Mietendeckel – das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. (Jakob Pflügl, 27.9.2021)