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Am Tag nach der Wahl wurden vielerorts die Wahlplakate weggeschafft. Die Regierungsbildung aber steht erst am Anfang.

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SPD, GRÜNE UND FDP: DIE AMPEL

Rot-Grün-Gelb wäre eine Koalition nach dem Geschmack von SPD und Grünen. Ob beide die FDP auf ihre Seite ziehen können, ist die entscheidende Frage.
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Olaf Scholz steht am Montagmorgen auf der Bühne des Willy-Brandt-Hauses und genießt den Moment. Im Hintergrund stehen schon die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit den obligatorischen Blumensträußen bereit.

"Man sieht hier eine sehr glückliche SPD mit zwei Wahlsiegerinnen und einem Wahlsieger", beschreibt er die Szene. Neben ihm haben sich Manuela Schwesig und Franziska Giffey eingefunden. Die eine hat in Mecklenburg-Vorpommern die Landtagswahl gewonnen, die andere in Berlin. So viel Sieg war zuletzt bei der SPD selten.

Scholz, auf dessen Persönlichkeit der Wahlkampf extrem zugeschnitten war, ist der große Zeremonienmeister. Mit seinem Wahlsieg in der Tasche sagt er nun, wo es langgeht. Für ihn ganz klar: Richtung Ampelbündnis aus der roten SPD, den Grünen und der gelben FDP. "Die drei sollen die nächste Regierung führen", sagt Scholz.

Dass er der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel nachfolgen will, daraus hat Scholz im Wahlkampf kein Hehl gemacht. Aber Werbung für die Ampel muss er dennoch machen, zumal Scholz eine Option nach der Wahl ja verlorengegangen ist: Es reicht nicht für ein linkes, rot-rot-grünes Bündnis.

Der deutsche Politologe Wolfgang Merkel erklärt, worauf es bei welchen Koalitionsvarianten aufkommt und ob eine Neuauflage der großen Koalition auszuschließen ist.
DER STANDARD

Rheinland-Pfalz als Modell

Scholz könnte an diesem Punkt Malu Dreyer nennen, die bei den Genossen äußerst beliebte Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz (SPD). Sie regiert als Einzige im Land mit einer Ampel. Im Ampelkabinett als Minister war der jetzige FDP-Generalsekretär Volker Wissing dabei. Er gibt schon einmal Tipps, wie man eine Ampel auf den Bund umlegen könnte, und meint, alle Beteiligten müssten hinter allen Vorhaben stehen. Doch er sagt auch: "Das Modell ließe sich nicht unbedingt genauso auf Bundesebene übertragen, dort müssten andere Lösungen für steuerpolitische, sozialpolitische und arbeitsmarktpolitische Fragen gefunden werden."

Das erste Ampelbündnis hat es übrigens von 1991 bis 1995 in Bremen gegeben. Doch Scholz hält sich gar nicht bei den deutschen Bundesländern auf, sondern blickt lieber gleich auf die Bundesebene.

Allerdings hat dort noch nie eine Ampel regiert, die Scholz nun als Vorbild zitieren könnte. Also verweist er auf die Jahre 1969 bis 1982. Da regierten die sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt Deutschland, beide in sozialliberalen Koalitionen mit der FDP. Vorausgegangen war eine große Koalition – auch das vergisst Scholz nicht zu erwähnen.

Er hat aber auch die Grünen im Blick. Mit diesen habe man eine "gute Regierungszeit" gehabt, sagt er und meint damit die Zeit zwischen 1998 und 2005, als Rot-Grün unter Gerhard Schröder regierte.

Lindner sieht Probleme

FDP-Chef Christian Lindner ist zwar nicht grundsätzlich gegen eine Ampel. Aber er wiederholt, was er im Bundestagswahlkampf auch schon gesagt hat, nämlich, dass ihm die Vorstellungskraft fehle, dass Scholz der FDP ein Angebot machen könne, das auch SPD-Chefin Saskia Esken und ihrem Vize Kevin Kühnert gefallen könne. Die beiden gehören zum linken Flügel der SPD. Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt, dass SPD, Grüne und FDP in vielen Positionen wohl hart um Gemeinsamkeiten ringen müssten.

Allerdings gibt es im gesellschaftspolitischen Bereich einige Gemeinsamkeiten. Alle drei wollen die Digitalisierung vorantreiben und den Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch streichen. Dieser verbietet Informationen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. Ein weiterer Gleichklang: Cannabis soll entkriminalisiert werden.

Zu den Schwierigkeiten sagt Scholz: "Jetzt ist Pragmatismus und Führungskunst gefragt." Sollte eine Ampel kommen, dann wäre die Union in Opposition. Da gehört sie nach Meinung von Scholz auch hin: "CDU und CSU haben erheblich verloren und die Botschaft bekommen, sie sollten nicht mehr regieren." Und noch einen Wunsch hat Scholz: Die Ampel soll bis Weihnachten stehen. Die FDP kündigte am Montag bereits an, Vorsondierungen mit den Grünen führen zu wollen.

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CDU/CSU, GRÜNE UND FDP: JAMAIKA

Schwarz-Grün-Gelb ist die Koalitionsvariante, die die Union bevorzugt. Auch die FDP hat vor der Wahl für dieses Bündnis die größeren Sympathien gezeigt.
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Für Armin Laschet beginnt der Tag weniger schön als für SPD-Wahlsieger Olaf Scholz – aber natürlich muss auch der CDU-Chef zunächst in die Gremiensitzungen seiner Partei. Heiter ist die Stimmung dort nicht.

Schon in der Früh gibt es schwere Kritik an Laschet aus Sachsen, später folgten auch Rücktrittsaufforderungen. "Das ist ein Erdbeben gewesen. Die CDU war nicht erste Wahl, es war eine Wechselstimmung gegen die CDU", sagt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Es gehöre sich jetzt wohl, das "als Allererstes einzugestehen". Und noch etwas irritiert Kretschmer schwer: dass er am Wahlabend von Laschet einen Regierungsanspruch gehört habe. "Das erschließt sich mir nicht, das ist die falsche Haltung", meint der Sachse.

Spin aus der CDU

Tatsächlich hatte Laschet in seinem ersten Statement nach Schließung der Wahllokale erklärt, er wolle eine Regierung bilden, nämlich ein sogenanntes Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP. Das war der Spin im Konrad-Adenauer-Haus, allerdings hat "Jamaika" dort jetzt einen neuen Namen bekommen. Man spricht von einem "Zukunftsbündnis".

Laschet muss also am Montag ein wenig zurückrudern – zumal sich dann in der Nacht die Gewichtsverteilung doch noch ein bisschen verschoben hat. Die SPD hat die Wahl, zwar knapp, aber dennoch gewonnen. Den absoluten Gleichstand, an den sich viele in der Union anfangs noch geklammert hatten, gab es am Montagmorgen nicht mehr.

Also ist bei Laschet nun von einem "Angebot" für Jamaika die Rede. Doch bevor sich Laschet näher dazu auslassen kann, ist Missfallen aus München zu vernehmen.

Söder sieht "Niederlage"

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sagt: "Wir dürfen es nicht schön reden" und spricht von einer "Niederlage".

Bei den Ursachen für die hohen Verluste führt er an: "Natürlich gab es keine Zusatzboni durch Personen" – ein Giftpfeil Richtung Laschet. Und auch Söder betont, dass die Union als Zweitplatzierte keinen Anspruch auf die Regierungsbildung habe, wenngleich sie natürlich "ein Angebot" vorlegen werde. "Jamaika ist dabei tatsächlich eine Option", so Söder – "aber nicht um jeden Preis." Es gibt also schon genug Kritik, als Laschet dann am Nachmittag selbst vor die Presse tritt. "Natürlich weiß ich auch, dass ich meinen persönlichen Anteil an dem Wahlergebnis habe", sagt er und betont, man werde alles aufarbeiten – "ganz gleich, ob wir am Ende dieses Prozesses in Regierungsverantwortung sind oder in Opposition". Damit spricht er jenes Wort, das die Union eigentlich nicht hatte hören wollen, doch noch aus.

Auch eine Jamaika-Koalition hat noch nie im Bund regiert. Es gibt ein solches Bündnis in Schleswig-Holstein unter Führung von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Zu den Architekten zählt Grünen-Chef Robert Habeck, der ja aus Schleswig-Holstein stammt und dort auch in der schwarz-grün-gelben Regierung saß.

Habeck telefonierte viel

"Man muss bei Jamaika sehr viel telefonieren", hat er einmal im Interview mit dem STANDARD die Funktionsweise des Bündnisses erklärt. Auch Laschet betont: "Jeder Partner muss sich auch wiederfinden, es darf nicht alles auf die Person des Regierungschefs zugeschnitten sein."

Doch Habeck macht deutlich, dass er eher bei der Ampel "eine gewisse Logik" sehe als bei Jamaika. Denn: "Die Union ist ja gerade dabei, sich aus der Regierungsfähigkeit ein Stück weit rauszunehmen." Medienberichten zufolge wird es dann auch Habeck sein, nicht Annalena Baerbock, der bei einer grünen Regierungsbeteiligung Vizekanzler wird.

Allen Akteuren ist natürlich bewusst: In einem Jamaika-Bündnis säßen FDP und Grüne mit dem Verlierer – der Union – mit im Boot. Ein Gerücht besagt: Um die Grünen doch nach Jamaika zu locken, könnte man ihnen das Amt des Bundespräsidenten anbieten. Es ist kein Geheimnis, dass sie gerne ihre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt als erste Frau in dem Amt sähen. Union und FDP würden dann in der Bundesversammlung, die das Staatsoberhaupt 2022 wählt, für sie stimmen. (Birgit Baumann aus Berlin, 27.9.2021)