Wird er antreten oder nicht? Éric Zemmour zögert bewusst. Es sei "keine leichte Entscheidung", sagt er zu Anhängern, als er sein neuestes Buch "Frankreich hat noch etwas zu sagen" präsentiert. Es enthält nichts Neues, aber es thematisiert etwas, dem andere aus dem Weg gehen: Migration, Islam, Banlieues.

Éric Zemmour ist der neue Star der Rechten in Frankreich, der sogar Marine Le Pen vergleichsweise harmlos dastehen lässt.
Foto: AFP / Bertrand Guay

"Wir sind nicht mehr in Frankreich", ruft Zemmour in Toulon in die Menge, die seine Lesung in einen Wahlkampfauftritt verwandelt. Der rechte Politiker kommt in Umfragen für den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl im April 2022 auf elf Prozent – mehr als die meisten übrigen Kandidatinnen und Kandidaten. Dabei hat sich Zemmour noch nicht einmal festgelegt. Er hat auch noch keinen Grund, seine Kandidatur offiziell anzukündigen. Nur kleine Details verraten ihn: Bei seinen Auftritten trägt der 63-jährige Intellektuelle, der Sciences Po absolviert hat, aber bei seiner Bewerbung für die Eliteschule ENA scheiterte, eine Krawatte, wie es sich für Élysée-Anwärter ziemt. Unbekannte plakatieren in den Städten bereits "Président Zemmour".

Seine Sendungen bei den rechten CNews hat der rhetorisch versierte Autor und Journalist aufgeben müssen: Der französische Medienrat hat begonnen, Zemmours Wortmeldungen als Sprechzeit einer Wahlkampagne zu zählen. Zemmour spricht von "institutionalisierter Zensur". Der Medienhype um seine Person straft seine Behauptungen Lügen. Alle Redaktionen wollen ihn interviewen, alle sprechen nur noch von Zemmour.

Der mehrfach wegen rassistischer Hetze verurteilte Liebhaber von Balzac und Victor Hugo trifft einen Nerv, ähnlich wie Donald Trump. Seine Vorliebe sind rechte Geschichtslektionen voller Nationalhelden, epischer Schlachtberichte oder Kolonialismusrechtfertigungen. Am liebsten stimmt Zemmour das Lied der nationalen Nostalgie an, das bei ihm fast schon morbide Züge annimmt.

"Katastrophaler Zustand"

In einem Interview mit dem Publikumssender RTL erklärte Zemmour: "Ich sehe den katastrophalen Zustand Frankreichs, ich sehe, dass sich unsere Zivilisation verändert. Was mich stört, dass unsere Kinder von ihren Eltern auch noch nach drei Generationen in Frankreich ‚Mohammed‘ genannt werden."

Zemmours Masche des "Früher war alles besser" fällt in einem Land, das seiner verflossenen Grandeur nachtrauert, auf fruchtbaren Boden. Vor allem aber vertritt Zemmour, ohne es zu sagen, die rechtsextreme Theorie des Austauschs ("le grand remplacement") des weißen, katholischen Frankreichs durch die Migration aus Afrika. Sogar der Rechtspopulistin Marine Le Pen geht diese These zu weit – dafür ist ihr Vater Jean-Marie Le Pen Feuer und Flamme.

Dass Zemmour rechts von Marine Le Pen steht, machte er selbst klar, als er verächtlich erklärte, zwischen Präsident Emmanuel Macron und der Le-Pen-Tochter gebe es kaum mehr Unterschiede, seitdem sie ihren Diskurs gemäßigt habe und sich salonfähig gebe.

Die Gründerin des FN-Nachfolgers Rassemblement National antwortete herablassend, Zemmour habe "null Prozent Wahlchancen". Sein Aufwind bereitet ihr trotzdem Sorgen. Mit seiner Destruktivität könnte er sie mit sich in den Abgrund reißen: Marine Le Pen ist bei Umfragen in wenigen Wochen von 24 auf 18 Prozent gesunken.

Macrons Pläne

Das muss nicht unbedingt heißen, dass Macron vom Zemmour-Effekt indirekt profitiert. Der amtierende Präsident setzt voll auf ein erneutes Duell mit Le Pen, weil er es fast nur gewinnen kann. Wenn die 53-jährige Populistin aber die rechten Wählerstimmen mit Zemmour teilen muss, droht sie nicht einmal in die Stichwahl vorzustoßen. Ein starker Kandidat der Konservativen oder die Sozialistin Anne Hidalgo wären für Macron viel gefährlicher.

Wie auch immer: Zemmour wirbelt die Präsidentschaftswahlen durcheinander. Ob er bloß ein kurzlebiges Medienphänomen ist, muss sich noch weisen. Aber selbst wenn die Blase bald platzen sollte, offenbart sie wieder einmal die unstillbare französische Sehnsucht nach selbsternannten Heilsversprechern.

Zemmour schreibt in seinem Buch selbst, Frankreich habe jedes Mal, wenn es am Abgrund gestanden sei, einen Mann der Vorsehung wie Napoleon oder de Gaulle oder eine Frau wie Jeanne d’Arc gefunden. Frankreichs nächster "Homme de Providence" – zumindest in den Augen mancher – hat auch schon die Hand am Schwertgriff. (Stefan Brändle aus Paris, 28.9.2021)