Verlässlichkeit für viele Jahre: Weil der Ersatz auf sich warten lässt, werden die vor mehr als 30 Jahren von Simmering-Graz-Pauker gebauten 4020er-S-Bahn-Züge später ausgemustert. Sie sind nicht barrierefrei, aber unersetzlich auf der Schnellbahnstrammstrecke durch Wien.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Nun ist es amtlich. Die im August ersatzweise bei Siemens bestellten 21 Schnellbahnzüge für den Einsatz in Vorarlberg kommen die ÖBB um einiges teurer als das ursprünglich 2016 bei Alstom/Bombardier bestellte Rollmaterial. Das erschließt sich aus der unter www.auftrag.at verlautbarten Veröffentlichung durch die ÖBB-Personenverkehr AG.

Im "Ersten Abruf aus der Rahmenvereinbarung über die Konstruktion, Herstellung und Lieferung von Elektrotriebzügen" vom 20. August 2021 wird der Auftragswert mit 189 Millionen Euro ausgewiesen. Das sind umgerechnet auf die 21 Züge, die Siemens Mobility Austria für Vorarlberg herstellen und liefern soll, neun Millionen Euro pro Zug – und damit erheblich mehr als die ursprünglich mit der zwischenzeitlich von Alstom übernommenen Bombardier im Jahr 2016 vereinbart.

Von 1,2 bis 1,3 Millionen Euro Mehrkosten pro Zug berichten ÖBB-Insider, die auf die ÖBB aufgrund der gravierenden Lieferschwierigkeiten ihres Vertragspartners zurollen. Andere Quellen taxieren die Mehrkosten gar auf 1,5 Millionen Euro pro Zug. Das wird allerdings bei Auftraggeber wie Auftragnehmer ebensowenig bestätigt wie dementiert.

Probleme sonder Zahl

Wie mehrfach berichtet, fehlt den von Bombardier produzierten, ursprünglich ausgewählten Talent-3-Triebzügen für den Einsatz im Ländle die behördliche Fahrerlaubnis. Das führte zu einer massiven Verspätung, die Auslieferung des 2016 bei der damaligen Bombardier in einem Rahmenvertrag für bis zu 300 Elektrotriebzüge bestellten Rollmaterials ist bis heute nicht auf Schiene. Als Grund dafür galten zunächst Softwareprobleme, dann fehlte der Einbau des verlangten europäischen Zugsicherungssystems ETCS. Nicht zur Beschleunigung beigetragen haben sollen dem Vernehmen nach auch Sonderwünsche, die von der ÖBB im Verhandlungsverfahren sonder Zahl geäußert worden seien. Mit Ruhm bekleckert haben sich offenbar beide Seiten nicht.

So sieht er aus, der ÖBB-Cityjet von Alstom/Bombardier. Er durfte allerdings nur vorübergehend fahren, weil es sich bei der Zulassung spießt.
Foto: Michael Hanschke

Eigentlich sollte Alstom/Bombardier die Nahverkehrszüge ab Frühsommer 2019 sukzessive ausliefern. Daraus wurde bekanntlich nichts, Vertragspartner Alstom/Bombardier schaffte es nicht, die bestellten Talent-3-Züge auch nur ansatzweise fristgerecht zu liefern.

Streit um Pönale programmiert

Zufall oder nicht: Der nun vermerkte Preisauftrieb bewege sich exakt in der Größenordnung der Pönalezahlung, die die ÖBB nun von Alstom/Bombardier nach erfolgter Stornierung im Augustfür den Lieferverzug verlangt – DER STANDARD berichtete exklusiv. Allerdings muss die Staatsbahn dieses Geld erst eintreiben, ein jahrelanger Rechtstreit scheint programmiert, denn freiwillig wird Alstom wohl eher nicht zahlen.

Bei Siemens Mobility erklärt man die Preisdifferenz auf Anfrage des STANDARD mit der Teuerung. Seit 2016 seien fünf Jahre vergangen. Bis zur Auslieferung, die Ende 2022 beginnen und Ende 2023 abgeschlossen sein soll, vergehen weitere Jahre mit aktuell teilweise dramatischen Preissteigerungen bei Stahl, Aluminium und Rohstoffen. Diese Teuerung könne man nicht schlucken.

Teure Sonderausstattung

Maßgeblich zur Verteuerung im Vergleich zu den seit 2015 von der ÖBB gekauften S-Bahn-Zügen des Typs Desiro-ML trüge außerdem die von Vorarlberg gewünschte Ausstattung bei. Gemeint ist damit der sogenannte flexible Mittelwagen, der von Frühjahr bis Herbst für Fahrradmitnahme gebraucht wird. Da werden, wie berichtet, die Sitze ausgebaut, eingelagert und im Spätherbst wieder eingebaut. Schließlich sollen die Skifahrer sitzen und ihre Skier und Snowboards sicher verstauen können.

Der Elektrotriebzug Desiro-ML von Siemens gehört als ÖBB-Cityjet längst zum gewohnten Bild im elektrisierten Nah- und Regionalverkehr.
Foto: Matthias Cremer

Preistreibend wirke auch die Zugleittechnik, die höhere Standards ausweise als die von Siemens zum Einsatz in der Ostregion ausgelieferten Desiro-ML-Cityjets, wird betont. Diese Anforderungen musste allerdings auch Alstom/Bombardier erfüllen. Hinzu kommt, dass große Stückzahlen stets billiger produziert werden als kleine.

Ins selbe Horn stößt die ÖBB: In den 189 Millionen Euro Kaufpreis des Erstabrufs sei mehr als der reine Fahrzeugpreis der 21 Züge für Vorarlberg enthalten. Dazu gehörten mögliche Zusatzoptionen, daher sei ein reiner Preisvergleich nicht möglich. Zudem habe sich die Preisbasis seit 2016 verändert und gemäß Gesamtkostenbetrachtung hätten sich die Anteile zwischen Fahrzeugpreis und Betriebskosten bei beiden Fahrzeugen verändert.

Auch Ersatz für Tirol im Anrollen

Eine weitere Ersatzbestellung ist übrigens im Anrollen: die 24 ebenfalls bei Alstom/Bombardier bestellten Regionalzüge für Tirol. Auch diese Order habe Siemens Mobility Austria für sich entschieden, bestätigt man in ÖBB-Kreisen. Ob tatsächlich 24 Stück ausgeliefert werden, sei allerdings noch unklar. Denn mit baugleichen Zügen in Tirol und Vorarlberg könnte man auf Reservezüge verzichten, die für Service- und Reparaturzeiten vorgehalten werden müssen.

Offen ist nach wie vor eine andere ÖBB-Baustelle: die Doppelstockzüge der schweizerischen Stadler Rail. Dieser Auftrag im Volumen von 400 Millionen Euro entstammt einem Rahmenvertrag für vier-, fünf- und sechsteilige Doppelstockzüge im Gesamtwert von rund zwei Milliarden Euro. Der erste Abruf ging, wie berichtet, ordentlich schief. Denn Stadler Rail hatte eine laut EU-Recht nicht gültige elektronische Unterschrift verwendet, und das führte in den von Alstom/ Bombardier angestrengten Überprüfungs- und Einspruchsverfahren zur Nichtigerklärung der Vergabe durch das Bundesverwaltungsgericht.

Auch "Wiesel-Zug" mit Verspätung

Stadler Rail will nun um den Auftrag kämpfen – ob mittels außerordentlicher Revision (die ordentliche Revision hat der Richtersenat unter Vorsitz von Richter Reinhard Grasböck nicht zugelassen) oder im Zuge der Neuausschreibung, war am Montag nicht in Erfahrung zu bringen. Man prüfe die nächsten Schritte, die Entscheidung zwischen Revision oder Neuausschreibung werde zeitnah fallen, teilte eine ÖBB-Sprecherin mit. Sollte ein neuer Vergabeprozess eine raschere Verfügbarkeit versprechen, werde man diesen Weg beschreiten. Einschränkungen im Bahnangebot – diesfalls in der Ostregion ab Winterfahrplan 2024 – seien nicht zu befürchten. Die neuen Doppelstockzüge würden aus heutiger Sicht sechs bis 18 Monate später kommen. (Luise Ungerboeck, 28.9.2021)