Österreich gehört zu jenen Ländern der westlichen Welt, in denen die Impfskepsis besonders ausgeprägt ist.

Foto: apa / georg hochmuth

Das Schema war erwartet worden, und es wurde am Sonntag bestätigt: Je geringer die Durchimpfungsrate in einer oberösterreichischen Gemeinde, desto stärker das Ergebnis der beiden impfskeptischen Parteien FPÖ und Liste MFG. Mit Ausbruch der Pandemie haben die Freiheitlichen das Thema Ausländerfeindlichkeit als wahlstrategischen Inhalt fallengelassen und durch die Ablehnung der Corona-Maßnahmen ersetzt. Sie waren bisher die einzige Partei in Österreich, die nicht für die Schutzimpfung wirbt.

Nun zieht erstmals eine Partei in einen Landtag ein, die die Impfskepsis zum Programm erhoben hat. Ideologisch ist sie dabei ebenso wenig klar einordenbar wie die Menschen hinter der Protestbewegung gegen die Corona-Politik, die in regelmäßigen Abständen aus unterschiedlichen Gründen auf die Straße gehen. Ihre Relevanz nimmt auch außerhalb Oberösterreichs zu.

Impfungen polarisieren schon immer

Schließlich gehört Österreich zu jenen Ländern der westlichen Welt, in denen die Impfskepsis besonders ausgeprägt ist. Die Durchimpfungsrate gegen Covid-19 ist im EU-Vergleich nur in Osteuropa und in Griechenland niedriger. Oberösterreich ist bundesländerweites Schlusslicht. Auch gegen andere Krankheiten lassen sich die Österreicherinn und Österreicher seltener impfen als andere. Vakzine hätten schon seit ihrer Erfindung polarisiert, sagt die Politikwissenschafterin Katharina T. Paul, die zu dem Thema forscht.

Es gelte aber, zwischen Skepsis und Zögern zu unterscheiden. Aufgrund des prononciert impfskeptischen Auftritts der MFG sieht Paul Parallelen zu anderen populistischen Bewegungen wie jener der Fünf Sterne in Italien. Politische Impfskepsis stehe immer auch in Verbindung mit dem Mobilisieren gegen Eliten, staatliche Institutionen, die Pharmaindustrie, gegen die Wissenschaft an sich. Und sie spiele nicht erst seit Corona bei der Wahlentscheidung eine Rolle.

"Kulturelle Konflikte"

Vor der Pandemie sei vorwiegend die Immunisierung gegen Masern, Mumps und Röteln ein Indikator für den Zustand der Gesundheit einer Bevölkerung wie auch für den Grad ihrer Impfskepsis gewesen. In diesem Fall wie auch bei der Influenza-Impfung befinde sich Österreich stets im unteren EU-Drittel. Dass komplexe Sachthemen emotional vereinfacht diskutiert werden, zeigt sich auch bei anderen Themen wie Gentechnik oder aktuell beim Streit über den Umgang mit Nuklearenergie innerhalb der EU. Paul sieht hier "kulturelle Konflikte, die stellvertretend für etwas Grundlegendes stehen", etwa mangelndes Vertrauen in Institutionen. Entscheidungsträger müssten hier "proaktiv transparenter vorgehen und ihr Handeln besser erklären".

Der Soziologe Christoph Reinprecht bezeichnet Österreich ob seines Umgangs mit der Wissenschaft als ein "nach wie vor im Sinne des klassischen Aufklärungsbegriffs nur bedingt aufgeklärtes Land". Das "relativ schwache Fundament für Wissenschaftsorientierung und faktenbasiertes Handeln" sei eine Folge der verspäteten Modernisierung und des historisch schwach ausgeprägten liberalen Bürgertums, das spätestens 1938 vertrieben wurde. Im Fall der Liste Menschen, Freiheit, Grundrechte würden "eigentlich demokratische Begriffe der Aufklärung gegen jene gewendet, die man verdächtigt, gemeinsame Sache zu machen mit dem Kapital". (Anna Giulia Fink, 28.9.2021)