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Schätzungen zufolge sind zwölf Prozent der Schwangerschaften zunächst Mehrlingsschwangerschaften, aber nur zwei Prozent werden als solche zu Ende geführt. Das wird als "Vanishing Twin Syndrome" beschrieben.
Foto: Josie Gealer / Getty Images / AFP / APA

Eineiige Zwillinge haben nicht nur häufig unkonventionelle Lebenserfahrungen, sie stellen für Disziplinen wie die Molekularbiologie auch eine Quelle wichtiger wissenschaftlicher Erkenntnisse dar. Die Nasa setzte hier in der Vergangenheit etwa an, um zu vergleichen, was mit dem Erbgut eines Menschen passiert, der ins All geschickt wird – während sein eineiiger Zwilling auf der Erde bleibt. Und tatsächlich stellte sich heraus, dass sich sozusagen am Mischpult der Genregulierung etwas tut, am sogenannten Epigenom.

Das bezeichnet nicht die Basenabfolge, die sich in der Desoxyribonukleinsäure (DNS oder DNA) im Zellkern wiederfindet. Stattdessen geht es hier um die Ablesbarkeit der genetischen Informationen: Ist ein DNA-Strang zugänglich für Moleküle, die diese Information ablesen und in die Produktion bestimmter Proteine umsetzen wollen? Diese Ablesbarkeit wird beispielsweise durch Methylgruppen, die an die DNA angehängt werden, beeinflusst.

Dauerhafte Modifikation

Dieser Prozess ist also eine Modifikation der DNA, keine Mutation. Beides findet auf natürliche Weise im Körper eines Organismus statt. Die genaue epigenetische Signatur eines Individuums kann sich von der anderer Personen mehr oder weniger stark unterscheiden.

Ein internationales Forschungsteam stellte sich nun die Frage, ob eineiige Zwillinge nicht nur identische DNA, sondern auch eine spezifische epigenetische Signatur besitzen. Diese These konnte bestätigt werden, schreibt das Team im Fachmagazin "Nature Communications": Dieser zwillingstypische Teil der Signatur dürfte von der Empfängnis bis ins Erwachsenenalter unverändert bleiben.

Zufall oder biologisch vorbestimmt?

Damit eineiige Zwillinge entstehen, muss sich die befruchtete Eizelle in einem sehr frühen Stadium vollständig teilen, nämlich noch bevor sie sich in der Gebärmutter einnistet. Die beiden Individuen entstehen also aus derselben Eizelle und besitzen deshalb die gleiche genetische Grundausstattung. Dies kommt aber relativ selten vor, und die Hypothese dazu lautete bisher: Es hängt schlicht vom Zufall ab, ob sich eine Eizelle früh genug teilt, um eineiige Zwillinge hervorzubringen.

Allerdings könnte die epigenetische Konstellation dabei eine Rolle spielen, wie das Team um die renommierte Zwillingsforscherin Dorret Boomsma von der Freien Universität Amsterdam in der Studie verdeutlicht. Die Forscher durchforsteten die Daten großer Zwillingskohorten aus aller Welt – auch Probenmaterial aus Wien ist in die Arbeit eingeflossen. Auf der Suche waren sie nach spezifischen epigenetischen Signaturen, die nur eineiige Zwillinge haben – und sie wurden fündig.

Eineiige Vergangenheit

Der Studie zufolge bezieht sich diese Signatur etwa auf Bereiche in der Nähe der Telomere, also an den Enden von Chromosomen, aber auch in der Nähe des Zentromers, das quasi die beiden Arme eines Chromosoms sowie seine beiden "Hälften", die Chromatiden, verbindet. Die Gene, die sich im Bereich dieser besonderen epigenetischen Aufmachung befinden, sind unter anderem wichtig für die Bestimmung des Schicksals der Zelle, das heißt, in welche Richtung sie sich weiterentwickelt und spezialisiert. Außerdem spielen sie bei der Zelladhäsion eine Rolle – also für den Kontakt zwischen Zellen und dem Gewebe außerhalb von Zellen, der sogenannten extrazellulären Matrix.

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Die 46 menschlichen Chromosomen setzen sich zusammen aus zwei zusammenhängenden Chromatiden, die jeweils einen oberen und einen unteren Arm besitzen. In der Mitte werden sie am Zentromer zusammengehalten. An den Enden befinden sich die Telomere (hier weiß markiert), die wohl auch mit Alterungsprozessen zusammenhängen.
Foto: U.S. National Cancer Institute / AP / dapd

Ob die besondere Signatur bestimmte biologische Konsequenzen für die Zwillinge hat, bleibt bisher noch unklar. Hier sind weitere Studien nötig. Die Forschungsgruppe ist aber auch auf eine Möglichkeit gestoßen, die bisher noch nie in Betracht gezogen wurde: "Weil identische Zwillinge eine lebenslange molekulare Signatur tragen, können wir rückblickend diagnostizieren, ob eine Person als eineiiger Zwilling gezeugt wurde", heißt es in der Publikation.

Verschwundene Zwillinge

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, hilft es, sich das Phänomen der "verschwindenden Zwillinge" vor Augen zu führen – das sogenannte "Vanishing Twin Syndrome". Es beschreibt die Tatsache, dass schätzungsweise zwölf Prozent aller Schwangerschaften zunächst Mehrlingsschwangerschaften sind – aber nur zwei Prozent kommen auch als solche zum Ende. In vielen Fällen kann ein Fötus also sein Leben nicht beginnen und geht zu Beginn der Schwangerschaft unbemerkt ab. Die Zellen, die sich bereits ausgebildet haben, werden wieder abgebaut oder werden bei der Geburt mit ausgeschieden.

Die Erkenntnisse der Studie zeigen, dass sich theoretisch überprüfen ließe, ob ein Mensch einst Zwillingsgeschwister verloren hat – basierend auf dem epigenetischen Profil. Ob und in welchen Fällen ein solcher Test in der Forschungs- und Untersuchungspraxis durchgeführt wird, ist aber ungewiss. (sic, 28.9.2021)