"Nichts für Schwächlinge"

Foto: Manuel Haring

Sein Erfinder Joaquín Simo nannte ihn das "Liebeskind der Cocktails Last Word und Paper Plane, entstanden in den Bergen von Oaxaca". Die Rede ist vom "Naked & Famous", einem Cocktail mit Mezcal als Hauptakteur, zu dem sich zu gleichen Teilen gelber Chartreuse, Aperol und Limettensaft mengen. Geboren wurde der Drink in der bekannten Bar Death and Company in New York. Hier mixte Joaquín Simo den "Naked & Famous" vor zehn Jahren zum ersten Mal. Französischer Kräuterlikor mit mexikanischem Agavendestillat nebst bitterem italienischem Rhabarber-Chinarinden-Extrakt und dann noch der Limettensaft on top, das klingt nach einer wilden Mischung. Wer aber probiert, schmeckt: Dieser mutige Mix ergibt ein harmonisches Ganzes.

Die Rauchigkeit kommt von einem kräftigen Mezcal, durch Kräutrigkeit und Limettenfrische wird der runde Geschmack ergänzt. In Kombination mit den anderen Zutaten und dank des Aperols obendrauf ergibt das eine herrlich hellrosa Farbe. Nur noch mit etwas Eis ist einfach und schnell ein formidabler "Naked & Famous" angerührt.

Training für Heimtrinker

Eben wegen der einfachen Zubereitung und weil es am besten zu Hause funktioniert – wenn man es dem Drink gleichmachen möchte, "famous" und gleichzeitig nackert zu sein –, ist dieses Kind des Prohibitions-Cocktails "Last Word" und des Drinks "Paper Plane" aus der Generation Z auch zu Lockdown-Zeiten ein bewährtes Tool, um als Heimtrinker im Training zu bleiben.

Gerade am Frischluftexzess vorbeigeschrammt sind die beiden Brüder im Geiste Lucas Steindorfer und Hubert Peter, als ihnen die Rezeptur für ihren Drink "Nichts für Schwächlinge" einfiel. Steindorfer und Peter betreiben das Lokal Bruder in Wien. Im steirischen Alpl waren sie auf der Suche nach Eierschwammerln für ihre Bar und das Restaurant in der Wiener Windmühlgasse. Im strömenden Regen, unter Fichten und Tannen auf der Suche nach besagten Pilzen, kam die hochprozentige Idee.

Österreichische Variante

Wenn man so will, ist "Nichts für Schwächlinge" die österreichische Variante von "Mehr ist mehr" in Cocktailform. Auch hier teilen sich die Zutaten den Drink zu gleichen Teilen: Je ein Drittel des Cocktails machen 2020 eingelegte, angesetzte Eierschwammerln aus, dazu kommt Fermentiertes von der Weißtanne sowie in Alkohol badende Marillen. "Eierschwammerln anzusetzen hat in Polen lange Tradition, das hat uns eine polnische Freundin erzählt. Wenn die Eierschwammerln von der Oberfläche nach unten sinken, dann ist der Ansatz fertig", sagt Hubert Peter, der alles einlegt, was ihm ihn die Finger kommt.

Und Pilze und Exzess haben sich auch immer schon gut vertragen. Ebenso wie das Bruder und ausgelassenes Feiern. Dass das so ist, war Peter und Steindorfer schon bei der Gründung ihres Lokals sehr wichtig. "Nicht umsonst steht auf unseren Bierdeckeln ‚heute wieder rauschig, morgen wieder flauschig‘", sagt Peter. "Am nächsten Tag schmerzt der Kopf zwar vielleicht ein bisschen, man schaut aber nie bereuend zurück, weil es lustig war."

Den gepflegten Exzess suchen auch die Leute von der renommierten Liste der 50 Best Restaurants und haben das Bruder in Wien nicht zuletzt deshalb vor kurzem auf ihre international gefragte Liste "50 Best Discovery" gesetzt.

Einen kleinen Nachteil bringt der Überfluss aus dem Wald allerdings mit. Er funktioniert zu Hause nicht so leicht wie der "Naked & Famous", weil man Eingelegtes und somit Planung für den Exzess braucht. Und Planung und spontaner Überschwang, das schließt sich dann doch aus. Schließlich dauert es ein paar Monate, bis die Schwammerln im Glas nach unten sinken.

Gut, dass die Brüder im Geiste Peter und Steindorfer ihre Spezls aus der Lockdown-Gesellschaft, die ihre Minibar zu befüllen gedachten, auch während geschlossener Barpforten nicht im Stich ließen und ihre fermentierten Schätze über die Gasse verkauften. Hoffentlich bleibt es dabei, dem Cocktail "Nichts für Schwächlinge" in aller Öffentlichkeit weiterhin frönen zu können. Und wenn sich dabei dann einer "Naked & Famous" fühlen und machen möchte, dann ist das doch gut so. (Nina Wessely, RONDO exklusiv, 9.10.2021)