Gleich auf der untersten Stufe der Fürstentreppe, die von der Lobby in die Beletage führt, kommt Michael Moser beim Hochadel an: "Alle Königinnen und Könige, alle Kaiser und Hoheiten dieser Welt sind hier schon raufgegangen. Alle bis auf eine: Königin Beatrix konnte 1994 nicht bei uns nächtigen, weil wir gerade renovierten."

Es klingt nach großer Leichtigkeit, mit der Moser "bei uns" sagt und das geschichtsträchtige Haus an der Wiener Ringstraße meint. Oder sollte man besser sagen: Es hört sich nach großer Erleichterung für den 69-Jährigen an?

Luxuriös und königlich: Das Hotel Imperial.
Foto: Hotel Imperial / Matthias Hamel

Moser ist seit 2014 Pensionist, wie er sagt und wobei er selber weiß, dass das nicht ganz stimmt. Tatsächlich hat er im Imperial nur eine neue Aufgabe übernommen. Er ist so etwas wie das Gedächtnis dieses Hauses, das er seit sechs Jahren durch den Aufbau eines Archivs dauerhaft bewahren will.

Davor war Moser 31 Jahre lang der Chefconcierge des Hotel Imperial. Eine Rolle, die dieser so überzeugend ausfüllte, dass sich Wes Anderson in Grand Budapest Hotel beim Charakter des Filmconcierge, Monsieur Gustav, an Mosers Wesen und Wirken orientierte. Einmal lässt Anderson den Concierge im Film sogar fragen: "Wo ist eigentlich Moser?"

In der Fürstensuite

In der Beletage angekommen, öffnet Moser die schwere Flügeltür zur Fürstensuite. Im Salon der 160 Quadratmeter großen Unterkunft liegt auf dem weißen Esstisch ein mehrere hundert Seiten starkes Kommuniqué.

Der ehemalige Concierge beginnt darin zu blättern und deutet amüsiert auf eine Passage: "Als die Queen 1969 nach Wien kam, blieb nichts dem Zufall überlassen. Hier hat man ausgerechnet, um wie viel länger die Fahrt vom Belvedere ins Imperial dauert, wenn die Staatskarosse nur 20 statt 30 km/h fährt."

Queen Elizabeth sollte ausreichend Zeit zum Winken haben, wie dieser royalen Bedienungsanleitung für den Staatsbesuch zu entnehmen ist. Darin wurde genau geregelt, wer an welchem Platz im Imperial zu stehen hat und dass sich jeder in der Lobby erheben muss, wenn die Königin das Hotel betritt. Damit aber auch alle Gäste im Imperial stehen, sobald die Queen eintrifft, entfernte man sicherheitshalber sämtliche Sitzmöbel aus der Eingangshalle.

Neue Einrichtung für die Königin

Das Zimmer von Elizabeth musste bei ihrem Besuch komplett umgestaltet werden. "Die Königin schläft nicht in einem Hotel", besagt das Protokoll, da aber die Republik Österreich nicht mehr über ein offizielles Gästehaus für Staatsbesuche verfügt, musste man sich im Imperial etwas einfallen lassen.

Aus dem Hofmobiliendepot wurde eine komplett neue Einrichtung zum einmaligen Gebrauch durch die Queen herangekarrt, aus dem Kunsthistorischen Museum besorgte man neue Bilder, die sie sich exklusiv während ihres Aufenthalts im Imperial anschauen konnte.

Michael Moser – hier in der Fürstensuite – war 31 Jahre lang Chefconcierge des Hotel Imperial. Jetzt versucht er die vielen guten Geschichten des Hauses als ihr Archivar zu bewahren.
Foto: Sascha Aumüller

Ist Ihnen das nicht maßlos übertrieben vorgekommen, Herr Moser? Das sei sein Job gewesen, meint dieser nur, und überdies hätte ja der Spediteur den größten Aufwand gehabt. Allerdings seien die kritischsten Momente im Berufsleben eines Concierge jene, in denen man die Kontrolle abgeben müsse. Etwa an einen Chauffeur oder einen Fremdenführer. Man könne nie sicher sein, ob der Gast und dieser Dienstleister "einander riechen" können, wie es Moser ausdrückt.

Gästebücher

Der Archivar legt einen weiteren Schatz auf den Tisch: eines von insgesamt drei Gästebüchern des Imperial. "Das erste ist bedauerlicherweise verloren gegangen, vermutlich in der Besatzungszeit, als sich die Sowjets hier einquartiert hatten." Der andere noch erhaltene Band liegt unter einem Glassturz in der Lobby aus. Aktuell ist der Eintrag mit den Unterschriften aller Rolling Stones aufgeschlagen, weil deren Schlagzeuger Charlie Watts kürzlich verstorben ist.

"Aber schauen Sie mal hier", sagt Moser und deutet in seinem Band auf die Worte "beautiful and splendid". Charlie Chaplin hinterließ den Eintrag bei seinem Besuch als Kompliment an das Haus. Moser war einmal bei der TV-Sendung Kunst und Krempel zu Gast, um das Buch schätzen zu lassen. Für die Chaplin-Seite alleine würde man schon einen Batzen Geld bekommen, doch der Wert des gesamten Bands liegt angeblich zwischen 40.000 und 50.000 Euro.

Allerdings hat Moser bis zum heutigen Tag nicht alle Handschriften in den Gästebüchern entziffern und zuordnen können. Bei Karl Lagerfeld hat er sich dagegen leichtgetan. Der Modeschöpfer hat recht unbescheiden eine ganz Doppelseite mit großflächigen Zeichnungen versehen. Apropos unbescheiden: Herr Moser, hatten Sie in Ihrer Zeit als Concierge viele unverschämte Gäste?

Gekonnt ignoriert

"An unverschämte Leute erinnere ich mich nicht", antwortet Moser professionell höflich auf die Frage, und "unmoralische Wünsche von Gästen habe ich gekonnt ignoriert". Eine Anekdote mit zwei Angebern ist ihm aber in Erinnerung geblieben: Ein reicher Deutscher lud seinen Freund ins Hotel Imperial und zum Opernball ein.

Damit die beiden auch ja auffallen, mieteten sie eine pompöse vierspännige Kutsche für die kurze Fahrt zur Oper. Als die beiden dort angelangten und auf Blitzlichtgewitter hofften, traf zeitgleich der Schauspieler Hubsi Kramar in der erprobten Verkleidung als Adolf Hitler ein und stahl ihnen die Show. "Kramar wurde verhaftet, und niemand hat die Deutschen in der Kutsche bemerkt. Sie haben mir fast leidgetan", erinnert sich Moser.

Das Imperial plant seit langem, ein Museum in den eigenen vier Wänden einzurichten.
Foto: Hotel Imperial / Matthias Hamel

Nur ein paar Schritte von der Fürstensuite entfernt, liegt auf der Beletage das kleine dunkle Reich des Archivars. Es ist ein muffiges Kammerl mit vielen Eisenregalen, wo neben dem eigens für den Fünf-Uhr-Tee der Queen angefertigten Augarten-Porzellan und psychedelischen Tapetenmustern aus den 1960ern noch hunderte Postkarten von Stammgästen auf die Einordnung durch den Archivar warten. Doch wozu das Ganze, wenn Normalsterblichen die vielen guten Geschichten hinter den Artefakten verborgen bleiben?

Tatsächlich plant das Imperial seit langem, ein Museum in den eigenen vier Wänden einzurichten. Vor dem Hintergrund der finanziell angespannten Lage der gesamten Hotellerie in der Pandemie scheint das Projekt aber momentan nicht oberste Priorität zu besitzen.

Respekt vor dem Ritz

Doch kann man die Aura eines solchen Hauses überhaupt in eine Ausstellung packen? Wohl nur schwer, wie diese Anekdote des Archivars illustriert: Zu seiner aktiven Zeit ließ sich Moser vom Concierge des Hotel Ritz in Paris durch das gesamte Haus führen und die Abläufe erklären.

Allerdings stellte der Österreicher selbstbewusst fest: Es gab in der Pariser Hotel-Ikone wenig Gepflogenheiten, die ihn hätten beeindrucken können. Als er dagegen später als Gast nach Paris zurückkehrte, blieb er lange und mit großem Respekt vor dem Ritz stehen. "Hätte ich nicht zufällig vor dem Hotel einen Stammgast aus dem Imperial getroffen, der mich auf einen Kaffee im Ritz einladen wollte, ich hätte mich wohl nicht mehr reingetraut." (Sascha Aumüller, RONDO exklusiv, 1.10.2021)