Das Okavangodelta im Süden Afrikas ist eines der größten Feuchtgebiete des Kontinents und ein Hotspot für die dortige Biodiversität.

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Naturschützer im südlichen Afrika sind in Aufruhr: Zu Beginn des Jahres hat das kanadische Ölunternehmen Reconaissance Energy Africa (Recon Afrika) mit seiner Öl- und Gassuche im Nordosten Namibias begonnen. Mitte April gab das Unternehmen bekannt, dass die ersten Testbohrungen das Vorhandensein "eines funktionierenden Erdölsystems bestätigen".

Was Naturschützern und Wissenschaftern Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass Recon Africa in Namibia und Botswana ein riesiges Gebiet von knapp 35.000 Quadratkilometern lizenziert hat, das direkt an den Okavango grenzt, der eines der größten Feuchtgebiete Afrikas speist: das Okavangodelta.

Lebensraum für bedrohte Arten

Das Feuchtgebiet liegt in der Kalahari-Wüste und bietet unzähligen, teils bedrohten Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Aufgrund seiner herausragenden ökologischen Bedeutung wurde das Okavangodelta 2014 von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt. Das Komitee zeigte sich jüngst besorgt über die Erteilung der Lizenzen. Mitte September forderte die Weltnaturschutzunion (IUCN) die Regierungen von Botswana und Namibia auf, internationale Umweltstandards zu respektieren.

Die Bohrgebiete von Recon Afrika überschneiden sich auch mit dem Projekt Kavango Zambezi (Kaza), dem größten länderübergreifenden Naturschutzgebiet der Welt, das 520.000 Quadratkilometer in Angola, Botswana, Namibia, Sambia und Simbabwe umfasst.

Ziel des riesigen Schutzgebietes ist es unter anderem, die natürlichen Wanderrouten der Elefanten wiederherzustellen, deren Dichte in der Okavango-Region so hoch ist wie nirgendwo sonst in Afrika. Das Projekt soll außerdem den Tourismus fördern, um die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen zu fördern.

Gigantischer Ölfund

Recon Afrikas Ziele kontrastieren stark mit diesen Bemühungen: Auf seiner Website zeigt sich das Unternehmen überzeugt, dass im Kavango-Becken, wie Geologen die Region nennen, "Milliarden Barrel Öl" lagern. Der Geochemiker und Recon-Africa-Mitarbeiter Daniel Jarvie schätzt gar, dass das Becken ungeheure 120 Milliarden Barrel Öl liefern könnte, was es zu einem der größten globalen Ölfunde der vergangenen Jahrzehnte machen würde. Bei wirtschaftlichem Erfolg erhält Recon Afrika eine Produktionslizenz über 25 Jahre und plant dann, hunderte Bohrlöcher zu bohren.

"Das größte Problem sind die möglichen Auswirkungen auf die Wasserressourcen", sagt Surina Esterhuyse, Geohydrologin an der Free State University in Südafrika. Namibia ist ein trockenes Land mit nur geringen und unregelmäßigen Regenfällen. Grundwasser liefert den größten Teil des Wassers, ein kleinerer Teil wird Flüssen wie dem Okavango entnommen.

Wasserverschmutzung

Neben einer möglichen Wasserverschmutzung befürchten Naturschützer und Wissenschafter auch einen massiv erhöhten Wasserverbrauch. Das wäre vor allem dann der Fall, wenn Öl und Gas durch hydraulische Frakturierung, kurz Fracking genannt, gefördert würden.

Das Okavangodelta beheimatet unzählige Arten, auch Nilpferde.
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Regelmäßige Verweise auf "unkonventionelles Öl und Gas", also Öl- und Gasvorkommen, die sich nur durch Fracking erschließen lassen – unter anderem in einem Forschungsbericht von Recon Africa –, lassen Naturschützer vermuten, dass das Unternehmen die umstrittene Technik nicht ausschließt. Claire Preece, Sprecherin von Recon Africa, bestreitet den Einsatz dieser Technik in mehreren Medien: "Recon Africa nutzt kein Fracking. Bei der konventionellen Öl- und Gasförderung werden vertikale Brunnen, kein Fracking und sehr wenig Wasser verwendet."

Sowohl Namibia als auch Botswana sind besorgt über "irreführende" Informationen über Fracking-Pläne, "da dies nicht Teil des genehmigten Explorationsprogramms ist". Zudem erklärte das namibische Energieministerium, dass die geplanten Ölexplorationsaktivitäten das Okavango-Ökosystem in keiner Weise schädigen würden und in Nationalparks ausgeschlossen seien. Das Kaza-Naturschutzgebiet ist davon aber ausgenommen, da es nicht den gleichen Schutzstatus genießt.

Hotspot des Klimawandels

Fakt ist, die Menschen in der Region sind arm, und es gibt kaum Arbeitsplätze. Sie leben von ihren kargen Feldern, ihren Rindern und Ziegen, und sie leiden zunehmend unter dem Klimawandel: "Das südliche Afrika ist ein Hotspot des Klimawandels. Die Region hat sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten drastisch erwärmt, mit einer Geschwindigkeit, die etwa doppelt so hoch ist wie die globale Erwärmungsrate", erklärt Francois Engelbrecht vom Global Change Institute der University of the Witwatersrand in Südafrika, der am Weltklimabericht von 2018 beteiligt war.

"Es ist ironisch, dass Namibia über den Aufbau einer substanziellen Ölindustrie nachdenkt, die zum Prozess der globalen Erwärmung beitragen wird, der für Namibia (und Botswana) letztendlich verheerend sein kann", sagt der Klimaforscher.

Tourismus als Wirtschaftszweig

Wenn es der Welt nicht gelingt, das Pariser Übereinkommen einzuhalten, könnten laut Weltklimabericht die Mais- und Viehwirtschaft und Wild- und Tourismusindustrien im südlichen Afrika zusammenbrechen.

Sowohl in Namibia als auch Botswana ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig. Eine Verschmutzung der Kavango-Region – das bis heute ölverseuchte Nigerdelta dient als unfreiwilliges Mahnmal – würde diesen Wirtschaftszweig und die dort lebenden Menschen empfindlich treffen.

Kritisch sind für die Beteiligten auch die klimapolitischen Folgen. Ein Schlüsselelement des Pariser Klimaabkommens ist die Klimafinanzierung für Entwicklungsländer, die finanzielle Unterstützung zusichert bei der Entwicklung erneuerbarer Energieformen. "Afrikanische Länder, die sich für die Entwicklung mit fossilen Brennstoffen entscheiden, könnten diesen Vorteil einbüßen", sagt Engelbrecht. (Juliette Irmer, 3.10.2021)