Mit Kommunismus, wie Lenin ihn einst umzusetzen versuchte, hat die Politik der KPÖ in Graz wenig zu tun, sagt Miriam Gassner-Olechowski, Universitätsassistentin an der Uni Wien, im Gastkommentar.

Die Grazer Wahlsiegerin Elke Kahr von der KPÖ.
Foto: APA / Erwin Scheriau

Jetzt haben sie es entgegen allen Erwartungen und Prognosen geschafft, die Kommunisten sind die stimmenstärkste Partei bei der Gemeinderatswahl in Graz geworden. Dies wirft zwangsläufig zwei Fragen auf, nämlich ob man Österreich, allen voran den Grazern, eine besondere kommunistische Affinität unterstellen kann und, natürlich, ob und, wenn ja, wie viel vom einstigen kommunistischen Gedankengut heute noch in den Grazer Kommunisten steckt, oder ob in den Grazer Kommunisten vielleicht eher der grand esprit des einstigen Austromarxismus weiterlebt.

Ein besonderes Verhältnis zum Marxismus/Kommunismus hat Österreich allemal. Schon lange bevor es für viele Jahre aufgrund seiner geografischen Lage direkt am Eisernen Vorhang als eine Art neutraler Puffer zwischen Ost und West fungierte, diente Österreich, allen voran Wien, zu Beginn des 20. Jahrhundert einer Handvoll hochrangiger russischer Revolutionäre als Zufluchtsort: Neben Lenin selbst, der auf der Durchreise in sein Schweizer Exil 1901 einige Tage in Wien haltmachte, seien in diesem Zusammenhang vor allem Leo Trotzki und der spätere Vorsitzende der Kommunistischen Internationale, Nikolai Bucharin, erwähnt, die sich längerfristig in der Hauptstadt des Habsburgerreichs aufhielten: Trotzki war 1902 bei seiner Reise ins Schweizer Exil das Geld ausgegangen, und so hatte er zur österreichischen Sozialdemokratie Kontakt aufgenommen. Es war schließlich niemand anderer als Viktor Adler gewesen, der ihm das Geld für sein Zugticket in die Schweiz borgte. Es könnte gut sein, dass die einstige Hilfsbereitschaft Adlers ein Grund dafür war, dass sich Trotzki nach dem Scheitern der Revolution von 1905 dauerhaft in Wien niederließ.

Rote Kontakte

Anzutreffen war Trotzki während seiner "Wiener Jahre" bekanntlich vorwiegend im Café Central in der Herrengasse. Während Trotzki dem Wiener Kaffeehauskult erlegen war, verbrachte Bucharin den Großteil seiner Zeit an der Universität, wo er auch Vorlesungen bei Eugen Böhm von Bawerk und Karl Grünberg besuchte und nach eigenen Angaben "hingebungsvoll die Wiener Theoretiker der Nationalökonomie" studierte. Aber auch Jossif Dschughaschwili, besser bekannt als Stalin, wohnte 1913 für mehrere Monate in der Schönbrunner Schloßstraße 30 im 12. Wiener Gemeindebezirk, worauf noch heute eine Gedenktafel hinweist.

Zwischen den russischen Revolutionären und deren österreichischen Gesinnungsgenossen, aber auch zur österreichischen Sozialdemokratie gab es zwar Kontakte, aber richtig "warm" schienen beide Seiten nicht miteinander geworden zu sein. Man kannte sich, plauderte freundschaftlich miteinander, und wenn nötig half man sich, wie etwa als Lenin auf der Durchreise 1914 in Krakau wegen Spionageverdachts verhaftet wurde und Adler sich für dessen Freilassung einsetzte. Mehr aber auch nicht. Es scheint vielmehr, als hätten die in Wien weilenden russischen Revolutionäre ihre österreichischen Gesinnungsgenossen nicht ganz für voll genommen. So schrieb etwa Trotzki in diesem Zusammenhang: "Im alten, kaiserlichen, hierarchischen, betriebsamen und eitlen Wien titulierten die Marxisten einander wonnevoll mit 'Herr Doktor'. Die Arbeiter redeten die Akademiker oft mit 'Genosse Herr Doktor' an."

Keine Revolutionäre

Ähnlich scheint es auch heute noch in Graz zu sein: Zwar firmiert die politische Gruppierung rund um Elke Kahr unter KPÖ, mit Kommunismus, wie Lenin ihn einst umzusetzen versuchte, hat ihre Politik aber wenig zu tun. Sozialpolitik und Frauenrechte werden großgeschrieben, von einer Revolution, wie sie von den Kommunisten stets gefordert wurde, ist nichts zu lesen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Grazer KPÖ das Gedankengut der ehemaligen Austromarxisten Otto Bauer und Max Adler weiterträgt und die Grazer Kommunisten mittlerweile die neue Version der Sozialdemokratie geworden sind. (Miriam Gassner-Olechowski, 28.9.2021)