Der Ökonom Martin Halla wundert sich in seinem Gastkommentar über die vielerorts positiven Reaktionen auf den Wahlerfolg der KPÖ in Graz. Er erinnert an andere Zeiten.

Am 1. Dezember 1989 erhielten die Bürgerinnen und Bürger der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) nach jahrzehntelanger kommunistischer Herrschaft erstmals die Möglichkeit, nach Österreich zu reisen. Die Besucher aus dem Osten waren im vorweihnachtlichen Geschehen der Linzer Innenstadt, keine 70 Kilometer vom damaligen Eisernen Vorhang entfernt, leicht zu erkennen. Die Autos aus tschechoslowakischer Produktion waren alt, klein und erzeugten schwarzen Auspuffrauch, den man selbst in der emissionsgeplagten Stahlstadt als außerordentlich wahrnahm.

Haben Hammer und Sichel in Österreich doch nicht ausgedient? Der Wahlerfolg der Kommunistischen Partei in Graz wirft viele Fragen auf – nicht zuletzt: Steht er für so etwas wie einen Neuanfang?
Foto: Andy Urban

In besonderer Erinnerung ist mir ein Geschwisterpaar vor der Spielzeugauslage des Passage-Kaufhauses geblieben. Ich stand neben ihnen, bewunderte wie sie die Actionfiguren und genoss die Wärme der Lüftungsanlage im Boden. Die ärmliche Kleidung und die dünnen nassen Schuhe der beiden Kinder machten selbst mir als Neunjährigem klar, dass die beiden wohl eher keinen He-Man unter dem Weihnachtsbaum finden werden. Die ersten Ausflugsfahrten mit meinen Eltern in die dann ehemalige ČSSR bestätigten den ersten Eindruck. Das Straßenbild mit seinen grauen Menschen, leeren Geschäften und heruntergekommenen Fabriken machte augenscheinlich klar, dass die ČSSR arm ist und kein schöner Ort zu leben. Ich war froh, in Österreich zu wohnen.

Negative Konsequenzen

Diese bleibenden Eindrücke aus meiner Kindheit stimmen mit dem Bild, das die wirtschaftlichen Kennzahlen zeichnen, überein und gelten darüber hinaus nicht nur für die ČSSR. Alle planwirtschaftlich geleiteten, realsozialistischen Diktaturen im Osten Europas waren den marktwirtschaftlich orientierten demokratischen Staaten des Westens wirtschaftlich weit unterlegen. Diese geringe wirtschaftliche Leistung hatte (und hat) negative Konsequenzen für das Wohlergehen der Menschen. Betrachtet man Statistiken zur heutigen Lebenserwartung in den europäischen Ländern, so erkennt man einen scharfen Gradienten im Raum, welcher mit dem Verlauf des Eisernen Vorhangs genau übereinstimmt.

Bürgerinnen und Bürger im Westen haben eine signifikant höhere Lebenserwartung als jene im Osten. Während im heutigen Staatsgebiet von Österreich und Tschechien im Jahr 1951 noch annähernd dieselbe Lebenserwartung vorlag, rund 66 Jahre, so war im Jahr 1989 der Wert für Österreich bereits um 3,6 Jahre höher als jener im Nachbarland (71,7, Österreich: 75,3). Heute, laut Our World in Data, ist immer noch ein Unterschied von 2,1 Jahren zu beobachten, und der Prozess der Konvergenz wird wohl noch einige Jahrzehnte andauern. Diese Statistiken bestätigen den bekannten Ausspruch "Politics is nothing but medicine at a larger scale" des deutschen Arztes und Politikers Rudolf Virchow. Leider kamen diese wirtschaftlichen und gesundheitlichen Entbehrungen nicht mit Vorteilen in anderen Lebensbereichen. Ganz im Gegenteil, der Realsozialismus hat zu autoritären und totalitären Herrschaftsformen geführt, die ihren Bürgerinnen und Bürgern grundlegende Freiheiten verwehrten.

Begeisterte Reaktionen

Angesichts der eindeutigen Niederlage des Kommunismus und der daraus entstanden Not ist es doch erstaunlich, dass eine Kommunistische Partei Österreich (KPÖ) eine Wahl – wenn auch "nur" eine Gemeinderatswahl – im Jahr 2021 gewinnt. Die Kommentatoren links der Mitte scheinen vom Ausgang der Grazer Gemeinderatswahl mehrheitlich begeistert, bezeichnen die Politik der Grazer KPÖ und ihrer Spitzenkandidatin Elke Kahr als "sozial-demokratisch". Sie seien eigentlich eine "bessere Caritas". Auf Twitter wird der historische Kampf der KPÖ gegen die Nazis hervorgehoben. Andere, weniger rühmliche Kapitel der KPÖ werden geflissentlich ausgespart. Das ist Verharmlosung von Kommunismus und Nährboden für Linksextremismus.

Nicht irrelevante Frage

Es ist natürlich wenig erstaunlich, dass eine KPÖ mit bisher zehn (von 48) Sitzen im Grazer Gemeinderat keine kommunistische Politik betrieben hat. Die utopische, aber deswegen nicht irrelevante Frage ist, welche Politik die KPÖ machen würde, wenn sie in Österreich mehr Macht hätte. Kommunismus ja oder nein?

Warum die Partei diesen Namen trägt, konnte übrigens auch Armin Wolf im Gespräch mit Elke Kahr, der wohl neuen Grazer Bürgermeisterin, in der ZiB 2 am Montag nach dem Wahlsonntag nicht klären. Das sei eine Frage, sagte Kahr, die nur Journalistinnen und Journalisten und politisch Andersdenkende stellen. Zwei Gruppen, die im gelebten Realsozialismus nicht viel zu sagen hatten. Frau Kahr bezeichnet sich selbst als "Marxistin" und findet den Namen "Kommunistische Partei Österreich" gut. Ich glaube, das Interview war in Summe aufschlussreich. Das "K" in KPÖ steht nicht für Caritas. (Martin Halla, 30.9.2021)

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DER STANDARD