67 Prozent bei der Rom-Wahl 2016, heute in Umfragen bei 19 Prozent: Die Wiederwahl von Virginia Raggi ist unwahrscheinlich.
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Sogar die Wildschweine haben sich gegen Virginia Raggi zusammengerottet: In kleinen Gruppen, aber zum Teil auch in großen Familien mit Frischlingen spazieren sie seit Monaten durch Roms Viertel – auf Gehsteigen, im Zickzack durch die Autokolonnen, auf Kreisverkehren, auf Fahrradwegen. Anwohner filmen die Tiere und posten die Videos in den sozialen Medien. Der Schauspieler Massimo Lopez, der vorige Woche von einem hungrigen Borstentier sogar verfolgt worden war, fragte danach rhetorisch: "Wo wird das alles noch enden?"

Ewige Müllkrise in der Ewigen Stadt

Eine weitere tierische Plage in Rom sind die allgegenwärtigen Möwen, die Kinder und Touristen im Sturzflug angreifen, wenn sie im Freien ein Sandwich auspacken: Die Vögel haben es auf die Zwischenverpflegung abgesehen.

Sowohl die Wildschweine als auch die Möwen werden von dem überall herumliegenden Hausmüll angelockt – und genau das ist das Problem der Bürgermeisterin. Die Ewige Stadt steht, seit Virginia Raggi auf dem Kapitolshügel regiert, permanent am Rande des Müll-Kollapses.

Das zentrale Problem besteht darin, dass die Drei-Millionen-Einwohner-Metropole über keine einzige Verbrennungsanlage verfügt und dass sich Raggi trotzdem weigert, an den Bau einer solchen auch nur zu denken. Sie hatte versprochen, die seit Jahren schwelende Müllkrise mit einer hundertprozentigen Mülltrennung zu lösen. Fünf Jahre nach ihrer Wahl liegt die Quote bei 45 Prozent. Die Folge: Den größten Teil seines Mülls muss Rom für dreistellige Millionensummen in andere Regionen oder ins Ausland exportieren.

Problematische Verkehrspolitik

An der Grenze des Zumutbaren ist nach wie vor auch die Verkehrssituation. Die städtischen Busse bleiben mangels eigener Fahrspuren regelmäßig im Verkehrschaos stecken, wichtige U-Bahn-Stationen wie "Repubblica" oder "Barberini" blieben unter Raggi monatelang geschlossen, weil die Stadtbehörden unfähig waren, blockierte Rolltreppen in vertretbarer Zeit reparieren zu lassen.

Die Straßen der Hauptstadt sind derart voller Schlaglöcher, dass sich schwere Unfälle von Zweiradfahrern häufen. Und auch der Unterhalt der Grünflächen lässt zu wünschen übrig: Weil die Römer Stadtgärtnerei zu wenig Personal hat, um die grandiosen Pinien der Stadtparks Villa Borghese und Villa Ada zu schneiden, drohen dürre Äste auf die Köpfe der Besucher zu fallen.

Angesichts der dürftigen Regierungsbilanz hatte selbst Raggis Partei, die Fünf-Sterne-Protestbewegung, erwogen, die heute 43-jährige Juristin nicht mehr für eine zweite Amtszeit antreten zu lassen. Doch die forsche Raggi ist der nationalen Führung der Grillini zuvorgekommen und hat sich bereits vor Monaten kurzerhand selber auf den Schild gehoben – der Protestbewegung bleibt nun nichts anderes übrig, als im Wahlkampf gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Viel schuldig geblieben

Die Bürgermeisterin weiß selber, dass sie vieles von dem, was sie vor fünf Jahren versprochen hatte, schuldig geblieben ist – und bittet nun die Römerinnen und Römer um eine "zweite Amtszeit, um das Begonnene zu vollenden".

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese zweite Chance am Sonntag und Montag erhalten wird, ist nicht allzu groß: In den Umfragen lag Raggi, die bei ihrem Wahlsieg vor fünf Jahren 67 Prozent der Stimmen erhalten hatte, zuletzt nur noch bei 15 bis 19 Prozent. Der Kandidat der Rechten, Enrico Michetti, liegt bei 29 bis 33 Prozent, der Kandidat der Linken, der frühere Finanzminister Roberto Gualtieri, bei 26 bis 30 Prozent.

Es ist somit abzusehen, dass keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit erzielen wird, womit es zwei Wochen später wie schon vor fünf Jahren zu einer Stichwahl der beiden Erstplatzierten kommen wird.

Minimalziel Stichwahl

Sollte Raggi das Minimalziel – den Einzug in die Stichwahl – verfehlen, dann wäre dies nicht nur eine schwere Niederlage für sie persönlich, sondern auch ein Debakel für die vom Ex-Komiker Beppe Grillo gegründete Protestbewegung: In Rom würden die Grillini ihre nunmehr letzte Bastion verlieren. Nach der sensationellen Eroberung des Römer Kapitols durch Raggi im Jahr 2016 hatte die Antisystempartei bei der nationalen Parlamentswahl im Frühling 2018 nachgelegt und war mit 34 Prozent der Stimmen stärkste politische Kraft in Italien geworden.

Doch danach ging es nur noch bergab: Schon bei der Europawahl vom Mai 2019 stürzte die Protestbewegung auf 17 Prozent ab; bei den meisten seither durchgeführten Regionalwahlen errang sie nicht einmal mehr zehn Prozent. In keiner einzigen Stadt, in der die Bürgerinnen und Bürger die Grillini an der Macht erlebt haben, gelang ihnen bisher die Wiederwahl. (Dominik Straub aus Rom, 30.9.2021)