Die Parteichefinnen: Siegerin der Graz-Wahl Elke Kahr am Sonntag im Volkshaus mit der KPÖ-Klubchefin im steirischen Landtag, Claudia Klimt-Weithaler (re.).

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Der Erfolg der Grazer KPÖ ist seit vielen Jahren ein weites Feld für Projektionen und Scherze, Memes oder Wortspiele. Im besten Fall unterhaltsam, im schlechtesten rufschädigend, haben sie wenig mit einer seriösen Suche nach den Gründen der Wahlerfolge dieser Partei zu tun.

Die parteipolitischen wie medialen Mechanismen sind seit Jahrzehnten in jedem Grazer Wahlkampf relativ gleich. Die KPÖ ist im Wahlkampf eher zurückhaltend, die Plakatsujets erregen grafisch eher Mitleid, dazu oldschool Infostände und manchmal tatsächlich ein witziger Slogan wie 2005 "Fürchtet Euch nicht – KPÖ". Letzterer war eine Anspielung auf die Grazer ÖVP, die wie das Amen im Gebet kurz vor dem Wahltag, wenn die Umfragen wieder gut für die "Kummerln" sind, zum Angriff bläst. Sogar vor Kolchosen und Enteignungen warnte man schon, selbst in Jahren, wo die ÖVP noch kurz zuvor in friedlicher Koalition mit der KPÖ stand.

Schuss ins Knie

Dabei erkannten Politologen schon vor Jahren, dass es in Graz keiner Partei nutzte, den beliebten ehemaligen Wohnungsstadtrat Ernest Kaltenegger oder später seine Nachfolgerin Elke Kahr anzugreifen. Ganz im Gegenteil. Für die Mitbewerber war es ein Schuss ins Knie. Das konnte man sogar in einem vor einigen Jahren geleakten ÖVP-internen Schreiben kurz vor der Wahl nachlesen, wo den Parteifreunden geraten wurde, die KPÖ nicht persönlich anzugreifen.

Das war heuer wieder vergessen. "Eine Stimme für Links, ist eine Stimme für Chaos, Terror und Angst", postete da etwa eine Bezirksabteilung der Grazer Volkspartei im Wahlkampfendspurt auf Facebook und stellte ein Bild eines Soldaten, der aus der DDR flieht, und ein zweites von schwarz vermummten Figuren dazu. Sie erntete dafür im Netz vor allem Spott und Häme.

Chinesische Massenkundgebung

Von den Fans der KPÖ oder linksliberalen Bürgerlichen, die auch zu ihrer Wählerschaft in den wohlhabenderen Bezirken von Graz gehören, reagiert man mit Memes, die sich über diese Angstmache lustig machen: etwa ein Bild von einer chinesischen Massenkundgebung mit roten Fähnchen, das das künftige "Aufsteirern in Graz" (ein volkstümliches Straßenfest) zeigen soll und ab Sonntag, als Elke Kahr für die KPÖ den ersten Platz errang, durch soziale Medien ging.

Auch das Wortspiel "Leningraz", zu dem sich der STANDARD vor 18 Jahr hinreißen ließ, sorgt wieder für Unterhaltung. Dass die Spitzenkandidatin Elke Kahr auch mal beim Abwasch im Volkshaus hilft, lässt Beobachter vom "Phänomen Kahr", der "Antithese" zur Politikerin theoretisieren. Genau wie bei ihrem Vorgänger Ernest Kaltenegger, der als "Local Hero" bezeichnet wurde.

Doch wer sich ernsthaft mit der steirischen KPÖ auseinandersetzt, wozu spätestens seit Kalteneggers Wechsel vom einfachen Gemeinderat zum Stadtrat 1998 Zeit gewesen wäre, wird bemerken, dass weder er noch Elke Kahr aus dem lokalpolitischen Himmel gefallen sind. Beim Volkshausfest, das jeden Herbst tausende Grazerinnen und Grazer besuchen, steht die Landtagsklubchefin und ehemalige Kindergartenpädagogin Claudia Klimt-Weithaler ebenso am Ausschank wie der Stadtrat und ehemalige Geschichtelehrer Robert Krotzer. Elke Kahr auch mal am Grill. Für teures Catering gibt man das Geld nicht aus. Ebenso bei der sogenannten Volkshausredoute, die jeden Winter stattfindet.

Alle Mandatare der Partei spenden zwei Drittel ihres Gehalts an Sozialfonds. Zum Jahresende wird stets eine Pressekonferenz zum Kassensturz veranstaltet. In den meisten Medien eine Randnotiz. Doch diese soziale Arbeit ist ein wesentlicher Grund für den Erfolg der KPÖ. Wenn man sich die Fälle ansieht, versteht man, warum Kahr verhalten bis verwundert auf Scherze über ihren Erfolg reagiert. Der Inhalt der Sozialberatungen ist nicht lustig.

Koalitionsmorgengabe

Nachdem die KPÖ das Wohnungsressort nach fast 20 Jahren abgeben musste, weil es ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl Mario Eustacchio (FPÖ) zur Koalitionsmorgengabe machte, setzte die KPÖ trotzdem die Sozialberatungen fort.

Eine Sozialarbeiterin aus dem Büro Krotzer erzählt am Mittwoch dem STANDARD aus dem Alltag der prekären Bevölkerung, die ums Überleben kämpft. Etwa Herr P., der Krebs hat und mit dem Taxi zur Chemo fahren will, weil die Rettung seine Frau nicht mitnehmen darf, er sie aber zu Unterstützung braucht. Taxigeld geht sich bei Pflegestufe 4 und der Minipension der Frau nicht aus. Oder Frau H., die im Juli ihr drittes Kind bekam, aber noch keine Familienbeihilfe erhält, weil das Finanzamt nicht mit der Aufarbeitung der Rückstände nachkommt. An die Familienbeihilfe ist das Kinderbetreuungsgeld geknüpft, das der Familie nun fehlt. Die Schulbeihilfe über die Sozialcard fällt aus, weil der Stichtag im Juli war und sie da noch keinen Anspruch hatte.

1000 Euro Lohn

Der Lebensgefährte von Frau H. arbeitet 80 Prozent in der Fassadenreinigung und verdient 1000 Euro im Monat. Die Miete beträgt 735 Euro, Strom 65, Heizung 90, die Nachmittagsbetreuung für das älteste Kind 85 Euro. Zum Schulbeginn brach Panik aus. Für ein Schulpaket vom Roten Kreuz war man ebenfalls wegen des Stichtags im Juli nicht qualifiziert.

Schultasche als Riesenproblem

Eine Schultasche wurde zum Riesenproblem. "Es sind solche Leute, denen wir unbürokratisch sofort oder bei den unübersichtlichen Anträgen in den verschiedenen Ämtern helfen", sagt die Sozialarbeiterin. Vor allem nach einem Jahr Pandemie, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit, kamen Leute, die nicht mehr weiter wussten. "Da gab es teilweise so hohe Mietrückstände, dass wir ihnen gleich eine neue Wohnung suchen mussten", sagt Krotzers Mitarbeiterin, "die Leute sind nicht faul, die verdienen einfach viel zu wenig." Gesundheitsstadtrat Krotzer führte zudem für Graz auch ein eigenes Tarifsystem für leistbare Pflege zu Hause ein. Über den Vorwurf, dass man sich mit Geld Stimmen kaufe, kann die Frau nur den Kopf schütteln, denn auch migrantische Familien, die nicht einmal wahlberechtigt sind, aber zu den Ärmsten gehören, schicke man nie weg.
(Colette M. Schmidt, 29.9.2021)