Diese kleine Goldschale ist der spannendste Fund aus Ebreichsdorf.
Foto: Novetus GmbH/ÖBB

Einen ganz besonderen Fund hat ein Archäologieteam südlich von Wien gemacht: In Ebreichsdorf in Niederösterreich förderten die Fachleute Überreste einer Siedlung aus der späten Bronzezeit, die etwa von 1300 bis 1000 vor unserer Zeitrechnung existierte, zutage. Dazu gehören auch wertvolle Gegenstände aus Gold, die besonders bedeutsam für die Urgeschichte Europas sind. Es handelt sich dabei um eine kleine, reich verzierte Trinkschale und verschiedene Bündel an Golddrähten, die unter anderem auf Textilien hinweisen.

"Dieser Goldschatzfund ist in Mitteleuropa einzigartig und wirklich sensationell", sagt die Archäologin Michaela Binder. Sie ist Projektleiterin der Firma Novetus, die mit der archäologischen Begleitung des ÖBB-Streckenausbaus an der der Pottendorfer Linie betraut ist. Bei den Aushebungen am Streckenverlauf wurden die Artefakte 2019/20 entdeckt und direkt unter Denkmalschutz gestellt. Die Enthüllung der Funde geschieht erst jetzt, da die archäologischen Arbeiten abgeschlossen sind – sonst wären Raubgräber auf sie aufmerksam geworden.

Importe aus Nordeuropa

Was macht den Fund so einzigartig? "Solche Goldschalen kennt man eigentlich aus Norddeutschland und Südskandinavien", sagt Binder. In Zentraleuropa ist bisher nichts Vergleichbares gefunden werden. Auch gibt es hierzulande keine Goldlagerstätten, die so viel Material hergegeben hätten und damals schon genutzt wurden. "Die plausibelste Theorie ist derzeit also, dass sie aus dem nordischen Bereich importiert worden ist." Damit weist die Trinkschale für die Epoche der späten Bronzezeit auf weitreichende Handelsverbindungen bis in die Nord- und Ostseeregion hin. Hierfür liefern auch die kleinen Bernsteinsplitter einen Beweis, die ebenfalls in Ebreichsdorf aufgespürt wurden.

Die Versammlungshalle, die wohl wie die Wohnbauten mit einem Strohdach gedeckt war, stellte einen besonderen Ort in der Siedlung dar und hatte sogar einen erhöhten Fußboden.
Bild: Novetus GmbH/ÖBB

Von der damaligen Siedlung wurden im Zuge der Grabungen flächenmäßig ungefähr 70 Prozent enthüllt. Auf dem Areal von rund 7000 Quadratmetern ist das die größte in Österreich dokumentierte Siedlung dieser Zeitstufe. Es wurden etwa 15 Häuser ausfindig gemacht: Mauerreste gibt es keine, doch die Überreste der Holzpfeiler, die aus Verfärbungen im Boden bestehen, weisen auf die Gebäude hin. Wie viele Menschen hier lebten, ist schwierig abzuschätzen – es könnte sich um eine Gemeinde von immerhin hundert bis 150 Personen gehandelt haben. Hervorstechend ist ein Zentralgebäude, das mehr Pfeiler als die anderen Häuser besaß: "Die Halle war wahrscheinlich ein zentraler Versammlungsort", sagt Binder. Sie war im Gegensatz zum Lehmboden der Wohnstätten wohl mit einer erhöhten Plattform ausgestattet, die wiederum auf mehreren kleinen Pfosten stand. "Solch ein Ort spricht auch für eine soziale Differenzierung mit Anführern – aber gerade in dieser Zeit, aus der wir noch sehr wenige Quellen haben, ist so etwas nicht immer so einfach nachzuweisen."

Gesellschaften der Urnenfelderkultur

Über die Menschen, die damals in Österreich lebten, wird bereits seit langem geforscht – das allerdings unter schwierigen Bedingungen. Die Population, die in der späten Bronzezeit – vor etwa 3.300 bis 2.800 Jahren – in Zentraleuropa lebte, wird der Urnenfelderkultur zugerechnet. Und wie der Name schon sagt, wurden Personen damals nach ihrem Tod verbrannt und in Urnen bestattet. Aus den Überresten der Körper, dem sogenannten Leichenbrand, lassen sich wesentlich weniger Rückschlüsse auf das Leben der Menschen ziehen: Im Glücksfall können Anthropologinnen und Anthropologen feststellen, ob es sich um junge oder alte, männliche oder weibliche Personen handelte. Untersuchungen an Zähnen und Knochen, die beispielsweise zeigen könnten, ob eine Bäuerin schwere Lasten zu tragen hatte, ein Handwerker sich bei einem Arbeitsunfall den Unterarm brach oder ein Kind durch Mangelernährung in Zeiten schlimmer Ernteausfälle lebte, sind aber nicht möglich. Und schriftliche Aufzeichnungen gibt es hier erst später.

Bei den Grabungen förderte das Archäologieteam diverse Spuren zutage, die Hinweise auf den Alltag der damals hier lebenden Bevölkerung geben.
Foto: Novetus GmbH/ÖBB

Was bleibt, sind die Gegenstände, die die Menschen nutzten und die sich über die Jahrhunderte und Jahrtausende erhalten haben. In Ebreichsdorf wurden immerhin Spuren von Brennöfen entdeckt, mit denen Keramik hergestellt wurde – neben der Keramik selbst, die in Form von Scherben im Boden steckte. Sie bildet ein breites Spektrum von Trinkschalen bis hin zu großen Vorratsgefäßen für Nahrungsmittel ab, auch Lampen- und Räuchergefäße sind dabei. Webgewichte weisen auf die Nutzung von Webstühlen zur Herstellung von Textilien hin. Organisches Material wie Holz hingegen verfällt in der Regel schnell und lässt sich nur schwierig nachweisen. Anders ist das mit Metall: Vermutlich wurde das teilweise auch in der Siedlung von Handwerkern verarbeitet, entdeckt wurden Messer, Äxte und Nadeln – und natürlich der sensationelle Goldfund.

Auf den Spuren des Sonnenkults

Das fein dekorierte Goldblech zeigt unter anderem ein stilisiertes Sonnenrad, wie die Archäologin hervorhebt: ein Hinweis auf das, was die Bevölkerung damals in religiösem Sinne geglaubt und wertgeschätzt haben dürfte. Derartige Schalen werden als Kultgegenstände interpretiert, die bei rituellen Handlungen wie Speise- und Trankopfern eine Rolle gespielt haben könnten. "Die Darstellung der Sonne findet man nicht nur auf Goldschalen", sagt Binder. In der Steiermark, in Strettweg bei Judenburg, wurde beispielsweise ein aus dem 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stammender Kultwagen gefunden, der auf die Sonne als zentralen Punkt einer religiösen Vorstellung hindeutet. Hinweise auf einen Sonnenkult ziehen sich in der Spätbronzezeit und darüber hinaus durch den gesamten europäischen Raum. Daher könnten die Menschen aus den skandinavischen Raum, die die Goldschale herstellten, ähnliche Weltanschauungen gehabt haben wie die Menschen im Alpenraum.

Die Trinkschale dürfte aber nicht nur von religiöser Wichtigkeit gewesen sein. "Diese Goldschalen werden auch gern als diplomatische Geschenke interpretiert, die von diplomatischen oder Handelsreisenden zum Austausch mitgenommen wurden", sagt Binder. Sie betont allerdings, dass dabei auch moderne Vorstellungen sehr stark zum Tragen kommen – letztendlich ist es ohne Schriftquellen schwierig, eindeutige Antworten auf die Frage zu finden, welche Ideen und Intentionen hinter den Funden stecken.

Der Goldschatz von Ebreichsdorf: In der Mitte ist die Goldschale zu sehen, daneben finden sich verschiedene Golddrahtbündel und unten rechts ein eingewickeltes Textilstück, das ebenfalls mit Gold verziert war.
Foto: Novetus GmbH/ÖBB

Neben der Goldschale wurden auch weitere Objekte aus dem wertvollen Material gefunden: Golddrähte, die unter anderem zu Spiralen gebogen sind. Ihre Funktion ist noch weniger klar, es könnte sich um eine Art Währung oder das bronzezeitliche Pendant zu Goldbarren handeln. Immerhin gibt es bereits zwei Funde aus dem Salzkammergut, die ähnlich aussehen.

Goldene Roben mit unbekannten Trägern

Spannender ist allerdings ein anderes Golddrahtkonvolut, das bereits von Textilspezialisten des Naturhistorischen Museums in Wien untersucht wurde, sagt Binder. "Sie haben festgestellt: Das sind die Überreste eines golddurchwirkten Gewandes – ein weiteres außergewöhnliches Objekt also." Das mutmaßliche Kleidungsstück war mit feinen Golddrähten verziert, einzelne Fransen mit feinen Goldspiralen umwickelt. Das ganze Textilbündel wurde mit einem dickeren Golddraht umwickelt – ob dies zur Verwahrung gedacht war oder das ganze Bündel als Opfergabe niedergelegt wurde, bleibt ein Mysterium.

Einige Funde von Ebreichsdorf und ihre mutmaßlichen Herkunftsorte: In den bräunlich markierten Gebieten wurden ähnliche Objekte entdeckt, wahrscheinlich sind sie über Handelsreisende nach Niederösterreich gekommen. Dazu gehören etwa kleine Stücke Bernstein und eine Haarnadel, die aus Hannover bekannt ist.
Bild: ÖBB/heideklausner, Bearbeitung: Novetus GmbH/pundr.at

Wer könnte damals ein so wertvolles Gewand getragen haben? "Die zwei wichtigsten Interpretationsmöglichkeiten sind, dass das etwa eine religiöse Würdenträgerin oder ein politischer Würdenträger war", sagt die Archäologin. Bisher gibt es aber keine Funde eines solchen Kleidungsstücks in Fürstengräbern oder Ähnlichem, durch das man Parallelen ziehen könnte. "Es ist aber auf jeden Fall mit einem sehr hohen sozialen Status in Verbindung zu setzen: Gold war zu dieser Zeit ein seltenes und wertvolles Material, dem damals wahrscheinlich noch mehr als heute eine ganz besondere Bedeutung beigemessen wurde, auch eine kultische Bedeutung."

Flussgötter und Exkremente

Auf weitere kultische Handlungen weisen in Ebreichsdorf auch andere Funde hin, die im Bett eines damals neben der Siedlung verlaufenden Baches deponiert wurden. "Aus der späten Bronzezeit ist schon bekannt, dass man Bronzegegenstände wie Nadeln und Messer in Flüssen deponiert hat – wohl als Opfergabe an wie auch immer geartete Flussgötter." Andere Erklärungsversuche für die auffällige Häufung solcher Funde sind weniger zufriedenstellend. Der Bach wäre auch viel zu klein, um von Schiffen mit entsprechender Fracht befahren zu werden, die die Ware bei einem Unfall verloren haben könnten.

Zwei Archäologinnen beim Sortieren des Fundmaterials.
Foto: Novetus GmbH/ÖBB

Die wissenschaftlichen Untersuchungen an den hier entdeckten Gegenständen sind noch lange nicht abgeschlossen. Fachleute nehmen unter anderem DNA-Spuren des Textilbündels unter die Lupe, um herauszufinden, welche Fasern hier verarbeitet wurden und wie das Gewand ausgesehen haben könnte. Durch Isotopenanalysen könnte auch herausgefunden werden, wo das Gold abgebaut wurde. In einem Bereich, wo mehrere Tierknochen gefunden wurden, ließe sich auch über Reste der Vieh-Hinterlassenschaften bestimmen, ob hier womöglich ein Stall stand. In den kommenden Jahren dürfte sich also das Bild verfeinern, wie die damalige Bevölkerung beim heutigen Ebreichsdorf ihren Alltag bestritt. (Julia Sica, 30.9.2021)