Salzburgs Trainer Matthias Jaissle glänzt als Taktikfuchs.

Foto: APA/AP/Josek

Die Champions League ist kein Kindergeburtstagsponyhofbesuch. Wer im ballesterischen Millionentheater nachhaltig reüssieren will, darf sich keine Schwächen und kaum Fehler erlauben. Der FC Salzburg musste das schon mehrfach zur Kenntnis nehmen, man erinnere sich an knappe, blöde, unglückliche, unnötige Niederlagen gegen Kaliber wie Liverpool, Napoli oder Atletico Madrid. Dass Österreichs Meister sein französisches Pendant am Mittwoch mit einem verdienten 2:1 auf die Heimreise schickte, lag daran, dass sowohl altbekannte als auch akute Probleme überwunden wurden.

Da wäre zuallererst die Innenverteidigung. Nach den Verletzungen von Oumar Solet, Kamil Piatkowski und Albert Vallci war Bauchweh umso begründeter: Maximilian Wöber hatte in den vergangenen Wochen ein Formtief, Jérôme Onguéné wurde im Winter aussortiert und nach Genua verliehen. Und nun? "Das Duo war herausragend", analysierte Trainer Matthias Jaissle. Das war keine Übertreibung.

Neue Stärken

Onguéné hätte auch eine Nashornstampede (fair!) vom Strafraum ferngehalten, der gegen Sevilla überfordert wirkende Wöber strahlte endlose Stabilität aus. Gegen die Spanier sei er nicht ganz fit gewesen, sagte der Wiener nach der Partie: "Ich denke, man hat gemerkt, dass heute ein anderer Max Wöber am Feld war." Wie Onguéné nach monatelanger Zuschauerrolle auftrat, entlockte dem 23-Jährigen ein "Hut ab vor Jerry". Die Außenverteidiger Andreas Ulmer und Rasmus Kristensen kickten gewohnt stark, Mo Camara stand gefühlt dreifach auf dem Platz.

Dass Lilles Goalgetter Burak Yilmaz "nicht existent" (L’Équipe) erschien und die gesamte Offensive des OSC blass blieb, lag aber auch am gelungenen Matchplan des Trainers. Unter Ex-Coach Jesse Marsch war das noch eine Baustelle, die hat sich nun nach Leipzig verlagert. "Ich bin sehr, sehr zufrieden", sagte Jaissle, der Lille mit seiner Kontertaktik überraschte und im Lauf der Partie sowohl seine Mittelfeldspieler als auch die offensiven Flügelspieler die Seiten tauschen ließ – mit Erfolg.

Da es im Fußball um Tore geht, brauchte es auch die Bearbeitung einer dritten Baustelle: Elfmeter. Gegen Sevilla verschossen Karim Adeyemi und Luka Sučić noch jeweils einen Penalty, diesmal verwertete der Deutsche zwei Stück. Auf STANDARD-Nachfrage bestätigte Adeyemi bei der Pressekonferenz, im Training Elfer-Extraschichten eingelegt zu haben. "Gestern habe ich auch vier, fünf Stück geschossen. Mir war klar, dass ich in die Ecke schießen werde – komme, was wolle."

Lille-Trainer Jocelyn Gourvennec beklagte die Entstehung des ersten Penaltys. Er bemühte in Dauerschleife das Wort "injustice", für dessen Verständnis es keine allzu ausgeprägten Französischkenntnisse braucht. Die vermeintliche Ungerechtigkeit, die er beklagte: Verteidiger Gabriel Gudmundsson war im Laufduell mit Adeyemi gestolpert, die erfolgte Minimalberührung war dem Jungstar aber schwer anzukreiden. Und ja, Sven Botmans Grätsche im Strafraum war nahe an der Legalität – aber eben nur nahe. Mit und kurz vor dem Ball erwischte der Niederländer auch das Bein des Salzburg-Wirbelwinds. Schiedsrichter Halil Umut Meler gönnte sich je elf VAR-Wiederholungen beider Szenen, ehe er den Elfer bestätigte.

Dass Salzburgs Sieg am Ende in Gefahr war, lag dann doch an einem individuellen Schnitzer – ausgerechnet aus einem Eck, das Salzburgs Anhänger seit dem Sommer als stabil empfanden. Torwart Philipp Köhn rutschte ein mäßig gefährlicher Burak-Freistoß ins Goal. "Da gibt’s keine zwei Meinungen. Den kreide ich mir selber an", sagte der 23-Jährige.

Neue Ruhe

Da sich von dem Gegentor weder Köhn noch seine Vorderleute nervös machen ließen, war die Aktion mit dem Schlusspfiff aber schon vergessen. Auch das ist eine wichtige Entwicklung. Vielleicht sogar die wichtigste, denn mit solchen Leistungen werden die Bullen in Zukunft öfter mit einer Führung in die Schlussphase gehen. (Martin Schauhuber, 30.9.2021)