Lange waren die Rollen in der Android-Welt klar verteilt: Samsung, HTC, LG und Co bauen die Hardware, Google liefert die Software. Zwar bot auch Google selbst mit der Nexus-Reihe bald eigene Geräte an, diese waren aber vor allem für die Entwicklung neuer Android-Generationen gedacht und wurden nur nebenbei auch an Konsumenten verkauft. Ein ernsthaftes Geschäft war dies nie, entsprechend wurde auch die Hardware praktisch zur Gänze von laufend wechselnden Partnern geliefert. Das änderte sich mit dem Wechsel auf die Pixel-Reihe. Von Anfang an betonte Google, dass man das langfristige Ziel hegt, das Hardwaregeschäft zu einem ernsthaften Standbein des Unternehmens zu machen. Ein Plan, bei dem man schnell betonte, dass er einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Fünf Jahre später kann trotzdem attestiert werden: So richtig hat das nicht funktioniert, zwar gab es immer wieder viel Kritikerlob für die Pixel-Reihe, der breiten Masse blieben die Google-Geräte aber weitgehend verborgen.

Zwei neue Geräte

Das soll nun anders werden: Mit dem Pixel 6 und dem Pixel 6 Pro arbeitet Google derzeit an zwei neuen Smartphones, in die man große Hoffnungen setzt. Die ersten "echten" Google Phones mit Hard- und Software vollständig aus einer Hand sollen sich erheblich besser als ihre Vorgänger verkaufen – so zumindest der Plan des Herstellers. Entsprechend will man auch deutlich mehr in die Bewerbung investieren, und dazu gehört der wohl seltsamste Launch eines Smartphones in den vergangenen Jahren: Bereits vor Wochen hat Google erste Details zum Pixel 6 verraten, wohl in der Hoffnung, einen gewissen Hype zu erzeugen. Doch damit nicht genug, werden die Geräte zumindest in den USA bereits offen beworben – und zwar sowohl auf Plakaten als auch im Fernsehen oder auch mit ganzseitigen Werbungen in Zeitungen und Magazinen. Wer in New York City wohnt, kann sich die neuen Geräte sogar bereits in der Auslage des dortigen Google Store ansehen.

Der beste Hype bringt allerdings wenig, wenn dahinter ein enttäuschendes Produkt steht. Das will Google mit einer Fülle von Neuerungen verhindern. So wird das Pixel 6 (Pro) nicht nur das erste Smartphone sein, das mit einem Google-eigenen Prozessor ausgestattet ist, es gibt auch einen komplett neuen Kameraaufbau, und auch das Design wurde frisch gestaltet – und zwar recht augenscheinlich mit dem Plan, möglichst auffällig zu sein.

Tensor

Doch der Reihe nach: Die wichtigste Neuerung ist zweifellos der Google-eigene SoC (System on Chip) namens Tensor, der statt den bisher verwendeten Qualcomm-Chips zum Einsatz kommt. Der Name verrät dabei bereits, in welche Richtung die Reise geht – gibt es doch bisher schon die sogenannten "Tensor Processing Units" (TPUs) von Google, die zur Beschleunigung von Maschinenlernaufgaben gedacht sind. Eine entsprechende Einheit soll also ein fixer Bestandteil von Tensor sein und so vielerlei smarte Features auf Basis von künstlicher Intelligenz ermöglichen. Auch viele fortgeschrittene Kamera-Features sollen durch Tensor erst möglich werden.

In Hinblick auf CPU- und GPU-Leistung spricht Google hingegen bisher lediglich vage von einer Performance auf dem Niveau aktueller Topgeräte. In den vergangenen Wochen sind aber auch in dieser Hinsicht zahlreiche Details durchgesickert. So soll der Chip acht Prozessorkerne aufweisen, und zwar zwei ARM Cortex X1 mit maximal 2,8 GHz, zwei Cortex A76 mit 2,25 GHz und vier Cortex A55 mit 1,8 GHz. Ein gleich in mehrerlei Hinsicht verblüffender Aufbau: Einerseits verwenden selbst Qualcomms schnellste Chips bisher lediglich einen Cortex X1, was auf eine sehr gute Leistung bei hoher Belastung hinweist. Überraschender ist hingegen die Wahl eines Cortex A76 für die mittelschnellen Kerne, immerhin ist das ein älteres Kern-Design aus dem Jahr 2018, mittlerweile gibt es schon den A78. Ob das in der Praxis viel Unterschied ausmacht, ist wieder eine andere Frage. Bei der GPU gibt es weniger Überraschungen, bei dieser handelt es sich um eine Mali G78, wie sie auch in Samsungs aktuellen Topchips verwendet wird.

In Japan wird das Pixel 6 sogar mit eigenen Chips beworben (wegen dem Wortspiel wäre es)
Foto: Google

Realität

Jenseits all der Detaildiskussionen ist insofern ein Chip zu erwarten, der bei CPU/GPU-Aufgaben irgendwo auf Augenhöhe aktueller Snapdragons und Exynos-SoCs läuft. Vielleicht eine Spur schneller, vielleicht eine Spur langsamer, in der Realität aber kein Unterschied, den irgendwer außerhalb von Benchmarks sonderlich bemerken sollte. Spannender könnte da schon die Frage sein, was ein solcher doch recht leistungsstarker Chip mit zwei X1-Kernen dann für die Akkulaufzeit bedeutet. In dieser Hinsicht ist übrigens erfreulich, dass Tensor bereits Unterstützung für das noch recht neue Videocodec AV1 haben wird. Der Arbeitsspeicher soll mit 8 bzw. 12 GB RAM (Pixel 6 vs. Pixel 6 Pro) ebenfalls so bemessen sein, dass er der Leistung des Geräts nicht im Wege steht.

Ganz neue Kamera

Die zweite große Neuerung betrifft das Kameramodul. Google hat in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass man auch aus einem vergleichsweise schwachen Sensor mithilfe smarter Software wirklich beeindruckende Bilder herausholen kann. Doch irgendwann kommt man trotzdem ans Ende dessen, wo man rein mit Software noch weiterkommt. Also gibt es beim Pixel 6 (Pro) nun einen komplett neuen Kameraufbau.

Für die Hauptkamera soll ein Samsung GN1 zum Einsatz kommen, dabei handelt es sich um einen 50-Megapixel-Sensor von Samsung, der üblicherweise mit 2x2 Binning benutzt wird. Dabei werden also vier Punkte am Sensor in ein Pixel im fertigen Bild kombiniert. Die Fotos sollten dann also wieder etwas über 12 Megapixel groß sein. Wichtiger ist da schon, dass der Sensor auch physisch erheblich größer als der bisher von Google genutzte ist, was sich vor allem bei Aufnahmen mit wenig Licht positiv auswirken soll. Dazu kommt eine 12-Megapixel-Ultraweitkamera mit einem IMX386 von Sony. Nur beim Pro-Modell gibt es dazu dann noch eine Periskoptelekamera mit einem optischen Vergrößerungsfaktor von 4. An der Vorderseite soll es eine 8-Megapixel-Kamera beim Pixel 6 geben, das Pro-Modell bekommt einen 12-Megapixel-Sensor.

Warten auf die Software

Kein Fan-Rendering, sondern schon eine offizielle Produktgrafik: So soll das Pixel 6 aussehen.
Grafik: Google

Die Hardware ist bei Google aber natürlich immer nur ein Teil der Geschichte. Spannend wird sein, was das Pixel 6 dank Googles gewohnter Softwarestärken – und der Nutzung von Tensor – aus diesen Sensoren für Bilder zu zaubern vermag. Zu den bereits bestätigten Neuerungen gehört eine "Face Deblur" genannte Funktion, die durch die Kombination von Aufnahmen aus der Haupt- und der Ultraweitkamera verschwommene Bilder bei schnellen Bewegungen verhindern soll – eine klassische Schwäche von Smartphone-Kameras. Noch interessanter klingen aber die Versprechungen für die Videofähigkeiten – soll Tensor doch ermöglichen, dass erstmals Googles HDR-Algorithmen in Echtzeit auch auf bewegte Bilder angewendet werden, was einen ordentlichen Qualitätssprung verspricht.

Durch die Namen sollte man sich übrigens nicht täuschen lassen: Es gibt heuer kein kleines und kein großes Modell, es sind nämlich beide groß, das Pro nur noch etwas größer. Konkret sind Abmessungen von 158,6 x 74,8 x 8,9 Millimeter für das Pixel 6 durchgesickert, das Pixel 6 Pro soll 163,9 x 75,8 x 8,9 Millimeter umfassen. Rund um die Kamera sind es dann noch einmal ein paar Millimeter mehr, Google hat sich hier zu einem sehr auffälligen "Camera Bump"-Design entschlossen.

Bildschirm

Für das Pixel 6 wird ein Display mit 6,4 Zoll Größe, einer FHD+-Auflösung und 90-Hz-Support erwartet. Das Pro-Modell bekommt hingegen ein 6,7-Zoll-Display, eine QHD+-Auflösung und 120 Hz. Bei letzterem handelt es sich übrigens um ein LTPO-Panel, was eine variable Bildwiederholrate ermöglicht – ähnlich wie man das von aktuellen Samsung- und Apple-Smartphones kennt.

Eine der geplanten Varianten des Pixel 6 Pro.
Grafik: Google

Der Akku soll aktuellen Berichten zufolge mit 4.614 bzw. 5.000 mAh (Pro-Modell) recht groß ausfallen. Vor allem aber bessert Google beim Schnellladen nach, mit bis zu 33 Watt sollen die neuen Modelle geladen werden können, wie aus einer regulatorischen Mitteilung mittlerweile bestätigt ist. Auch Wireless Charging erfährt mit bis zu 23 Watt ein Upgrade im Vergleich zu früheren Pixel-Generationen. Dazu passend wird es wohl jeweils passende Ladegeräte von Google geben, im Lieferumfang sind diese aber heuer nicht mehr enthalten.

Vermischtes

Noch ein paar weitere als gesichert geltende Eckdaten: Der lokale Speicherplatz soll je nach Ausführung bei 128 oder 256 GB liegen, für das Pixel 6 Pro soll zudem noch ein Modell mit 512 GB angedacht sein. Erstmals bei Google gibt es Support für die Funktechnologie Ultra Wide Band (UWB), was etwa für digitale Autoschlüssel genutzt werden wird. Wi-Fi-6E-Support soll es ebenso geben wie einen Fingerabdrucksensor im Bildschirm sowie eine neue Generation von Googles Sicherheitschip, dem Titan M2.

Als Software sollen die neuen Pixels schon von Haus aus mit Android 12 ausgestattet sein, dessen neues "Material You" genanntes Design auch farblich und im Stil zur neuen Hardware passen soll. Auch sonst ist zu erwarten, dass Google noch so manches KI-basierende Feature für Pixel 6 und Pixel 6 Pro vorstellt, das zunächst exklusiv für diese erhältlich sein wird. So ist etwa von einer Echtzeitübersetzung in mehrere Sprachen die Rede – und zwar direkt am Gerät, also ohne Abhängigkeit vom Internet.

Updates

Doch noch einmal zurück zu Tensor. Die Entwicklung eines eigenen SoCs eröffnet für Google nämlich eine weitere Option: den Update-Support für die eigenen Geräte auszudehnen. Bisher ist man hier vom Support von Partnern wie Qualcomm abhängig, was auch dazu führt, dass drei große Updates und vier Jahre Sicherheitsaktualisierungen derzeit im Android-Bereich das höchste der Gefühle sind. Bestätigt ist das bisher zwar nicht, die Gerüchteküche meint aber zu wissen, dass Google das Pixel 6 (Pro) fünf Jahre lang mit Updates versorgen will. Sollte sich das bewahrheiten, wäre das wohl einer der wichtigsten Fortschritte, der auch noch einmal Bewegung in die Update-Situation bei anderen Herstellern bringen könnte. Wie gesagt: All das ist bisher nicht bestätigt, insofern sei es mit besonderer Vorsicht wahrgenommen. Dazu passen würde aber ein anderes Detail: Das Pixel 6 soll nämlich das erste Android-Smartphone sein, das einen Linux-Kernel in der Version 5.10 enthält. Und dessen Support läuft bis Ende 2026 – also noch etwas mehr als fünf Jahre.

Made by Google

Die Preisfrage

Bei aller Vorberichterstattung bleibt üblicherweise bis zum Schluss eine Frage offen: die zum Preis. Doch auch hier gibt es seit kurzem zwei Leaks, die erfreulicherweise nicht nur übereinstimmen, sondern sich auch noch auf europäische Preise beziehen. Demnach soll das Pixel 6 ab 649 Euro verkauft werden, die günstigste Ausführung des Pixel 6 Pro mit 899 Euro zu Buche schlagen. Das ist zwar noch immer viel Geld, aber auch deutlich unter dem, was viele im Vorfeld angesichts der genannten Hardware erwartet hatten. So wäre etwa das Pixel 6 damit nur 20 Euro teurer als der Startpreis des direkten Vorgängers mit deutlich schwächerer Ausstattung.

Verfügbarkeit

Bleibt natürlich die Frage, wo es das Gerät schlussendlich geben wird. Hierzu gibt es zwar noch keine offiziellen Informationen, es sieht aber stark danach auch, dass sich Google angesichts der Covid-19-Pandemie einmal mehr auf ausgewählte Länder beschränkt. Heißt: Eine Veröffentlichung in Deutschland ist gesichert – im Google Store befindet sich bereits die zugehörige Seite –, während österreichische Interessenten wohl wieder aus dem Ausland importieren oder ein paar Wochen warten müssen, bis einzelne Händler diese Aufgabe übernehmen.

Abwarten

Bei alldem darf nicht vergessen werden: Offiziell wurden Pixel 6 und Pixel 6 Pro noch gar nicht wirklich vorgestellt. Es gibt noch nicht einmal einen öffentlich kommunizierten Termin für den Launch-Event. Inoffiziell ist hingegen von einer Präsentation am 19. Oktober zu hören, der der offizielle Marktstart wenige Tage später folgen soll. (Andreas Proschofsky, 30.9.2021)