FDP-Generalsekretär Volker Wissing (links), Grünen-Chefin Annalena Baerbock, FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Chef Robert Habeck sprechen weiter über eine Zusammenarbeit.

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Berlin – Grüne und FDP haben sich am Freitagvormittag in Berlin zu einer zweiten Gesprächsrunde über eine Beteiligung an einer neuen Regierung in Deutschland getroffen. Nach dem mehrstündigen Gespräch, bei dem der Fokus auf Gemeinsamkeiten gerichtet werden sollte, äußerten sich Vertreter beider Parteien vor der Presse über den Verlauf der Sondierungen.

Die grüne Ex-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sprach von einem Auftrag für ein neues Bündnis. Es gehe nicht um einen kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern um einen Aufbruch. Dafür seien vertrauensvolle Gespräche nötig. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete die Bundestagswahl als Zäsur, die Wähler wünschten, es solle etwas Neues entstehen. Grüne und FDP seien jene Kräfte, die sich am stärksten gegen den Status quo gewandt hätten. Es gehe nun um das Überwinden von Trennendem und die Suche nach Brücken. Der Prozess habe in einer guten Atmosphäre begonnen, sei aber noch nicht abgeschlossen.

Habecks Schraube

Grünen-Chef Robert Habeck hielt fest, dass beide Parteien für Veränderung stünden, aber nicht für die gleiche Veränderung. Am Freitag habe es konstruktive Gespräche gegeben. Grün und Gelb würden nun in Gespräche mit der SPD und auch der Union gehen. Wenn man Schrauben schräg ansetze, werde das nie wieder gerade, sagte Habeck. Die Schraube für die kommenden Koalitionsgespräche sei jedoch sehr gerade eingesetzt worden.

Baerbock betonte, es solle sich 2017 nicht wiederholen, sie werde nicht sagen, ob es Käse oder Wurst auf den Brötchen gab. Lindner erklärte, man werde keine Wasserstandsmeldungen weitergeben. Auf eine Journalistenfrage nach der Schraubenmetapher und danach, welche Mutter für die Schraube verwendet werde, erklärte Habeck, Spax-Schrauben benötigten keine Mutter.

Verhandlungsteams vergrößert

Während zuletzt nur Lindner und Volker Wissing aufseiten der FDP und Habeck und Baerbock für die Grünen zusammengekommen waren, wurde am Freitag in größerer Runde beraten: 20 Politiker – je zehn auf beiden Seiten – hatten sich am Vormittag eingefunden.

Der SPD-Kanzler in spe, Olaf Scholz, rechnet fix mit einer Ampelkoalition.

Auch die CSU-Spitze will sich am Freitag treffen. Das Parteipräsidium will in einer Videokonferenz den Kurs für die Gespräche über eine Jamaika-Koalition abstecken. Grüne und FDP hatten die Gespräche zur Regierungsbildung am Dienstag eingeleitet. Von Sonntag an steigen dann auch die SPD als stärkste Kraft nach der Bundestagswahl und die Union (CDU und CSU) in Gespräche ein. Beide streben jeweils ein Bündnis mit Grünen und FDP an – also entweder eine Ampelkoalition unter Führung der SPD oder ein Jamaika-Bündnis unter Führung der Union.

Scholz ist zuversichtlich

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap trauen 51 Prozent der Deutschen einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP einen politischen Neuanfang zu. Bei einem Bündnis aus Union, Grünen und FDP erwarten das nur 18 Prozent. Für 24 Prozent steht keine der beiden Optionen für einen Neubeginn.

CDU und CSU waren bei der Bundestagswahl am Sonntag auf den historischen Tiefpunkt von 24,1 Prozent gestürzt. Die SPD wurde mit 25,7 Prozent stärkste Kraft. Die Grünen kamen auf Platz drei mit 14,8 Prozent, gefolgt von der FDP mit 11,5 Prozent.

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SPD-Kanzlerkandidat Scholz ist zuversichtlich. Auf die Frage in einem "Spiegel"-Interview, ob er nach den Verhandlungen mit Grünen und FDP Kanzler werde, sagt Scholz: "Ja." Ziel einer solchen Koalition müsse es sein, dass man sich aufeinander einlasse und mit dem Anspruch antrete, bei den nächsten Wahlen wiedergewählt zu werden. "Das wird nur funktionieren, wenn sich alle Koalitionspartner in der gemeinsamen Regierung mit ihren Vorstellungen wiederfinden." Ein Jamaika-Bündnis wäre gegen den Wählerwillen. "Das Wahlergebnis ist eindeutig. CDU und CSU haben eine historische Niederlage eingefahren und sind abgewählt", sagt Scholz.

Mobilfunk, Stromnetz und Windkraft

Angesprochen auf unterschiedliche Politikansätze bei SPD, Grünen und FDP, sagte Scholz dem "Spiegel": "Ich habe da schon konkrete Vorstellungen, wie das passen könnte." Koalitionsgespräche sollten aber nicht über die Medien geführt werden. "Es wäre nicht klug, jetzt über irgendwelche roten Linien zu sprechen. Auch aus unterschiedlichen Ausgangspositionen heraus muss es am Ende eine Verständigung geben können."

Scholz betonte erneut, SPD, Grüne und FDP verbinde "die Idee des Fortschritts". "Sie haben unterschiedliche, aber sich durchaus überschneidende Vorstellungen davon." Es gebe "große Schnittmengen" – als Beispiele nannte Scholz ein erstklassiges Mobilfunknetz für Deutschland, eine Vergrößerung und Modernisierung des Stromnetzes und den Ausbau der Energieerzeugung aus Windkraft und Solartechnik. (APA, red, 1.10.2021)