"Oh, and one more thing", das pflegte Jobs am Ende seiner öffentlichen Auftritte immer zu sagen – und kündigte revolutionäre Produkte an.

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Er glaubte fast bis zum Schluss, dass er wieder gesund würde. Noch einmal versuchte er, wie früher oft mit Erfolg, die Fakten zu negieren. Doch der Krebs war stärker. Vor zehn Jahren, am 5. Oktober 2011, starb Steve Jobs.

Unter seiner Leitung war Apple zum wertvollsten Technologiekonzern der Welt geworden. Ab 1997 hatte das Unternehmen Produkte auf den Markt gebracht, deren kommerzieller Erfolg so groß war wie die Ausstrahlung, die die Marke immer schon besessen hatte.

Jobs’ Visionen mündeten in die Reihe von "i-"Geräten, die unsere Konsum- und Arbeitsgewohnheiten weit über seinen Tod hinaus verändert haben, insbesondere die wohl – im positiven wie im problematischen Sinn – folgenreichste seiner Ideen, ein Mobiltelefon, das zum Schweizer Armeemesser der Kommunikationstechnologie geworden und nur mehr nebenbei auch ein Fernsprechapparat ist: das iPhone.

Das geschichtliche Gedächtnis ist kurz. Da mag man inzwischen vergessen haben, wie außergewöhnlich Jobs’ Lebenslauf war. Vom Bastler in einer Garage zum Mythos von Silicon Valley – das ist seine aufs Klischee reduzierte Karriere. Nicht falsch, doch wenn man sich an die Wirtschaftsnachrichten, die Triumph- und Hiobsbotschaften über Apple und die Videos mit dessen Chef erinnert und wenn man Walter Isaacsons Jobs-Biografie liest, beginnt man eine komplexere Geschichte zu begreifen.

Stur und ohne Rücksicht auf Verluste

Steve Jobs wurde 1955 geboren und wuchs bei Adoptiveltern in Mountain View südlich von San Francisco auf. Sein Vater begeisterte ihn früh für präzises Handwerk, durch ihn lernte er elektronische Bauteile schätzen. Als Schüler arbeitete er in den Ferien bei Hightech-Firmen, Pionieren des Siliciumtales.

Die Stanford-Universität, ein Brutkasten der IT-Welt, war nicht weit. Das alles prägte den jungen Steve, und noch etwas beeindruckte ihn: die elegant einfachen und praktischen Einfamilienhäuser in seiner Gegend, deren Erzeuger Joseph Eichler Bauhaus-Modernismus mit Anleihen bei Frank Lloyd Wright verband. "Gutes Design für den Markt zu produzieren", sagte Jobs, "das war die ursprüngliche Vision für Apple."

Design und Kalligrafie waren auch das Einzige, das ihn am Reed College in Oregon interessierte. Die vorgeschriebenen Kurse lehnte er ab, konsequent ließ er sich gar nicht erst blicken. Er verschrieb sich merkwürdige Diäten, wochenlang etwa nur Gemüsesaft. Durch sein Verhalten eckte er bei Autoritäten und Freunden an.

Er war, so schilderte er es später, und so erinnern sich auch Weggefährten, stur und ohne Rücksicht auf Verluste auf der Suche nach Perfektion, irgendwo im Zwischenreich von Technik und Kunst – später sollte zum Beispiel seine Faszination für Schrift in die Typografie des Macintosh-Computers münden, der erstmals die variablen Abstände zwischen Buchstaben wiedergeben konnte.

Askese und Reduktion

Nach zwei Jahren gab er die Uni auf, weil sie ihm, wie er Jahrzehnte später in einer berühmt gewordenen Rede auf Stanford sagte, keine Antwort auf die wichtigen Fragen im Leben geben konnte, und auch um seinen Eltern die hohen Kosten zu ersparen.

Stattdessen experimentierte er mit bewusstseinserweiternden Substanzen. "Die LSD-Erfahrung war eine der wichtigsten in meinen Leben", zitiert ihn Isaacson. "Sie ließ mich empfinden, worauf es ankommt – Großes zu schaffen, statt nur viel zur verdienen." Als Neunzehnjähriger zog er für sieben Monate nach Indien.

Einen Guru, der ihm entsprochen hätte, fand er nicht, dafür suchte er Sinn durch Askese und Reduktion aufs Minimum; will heißen, er lebte offenbar von fast nichts, und das Wenige gab er noch einem Freund, dem die Reiseschecks gestohlen worden waren.

Ein eigensinniger Autodidakt

Er war, so könnte man es ausdrücken, wenn das Wort nicht inzwischen so negativ besetzt wäre, ein Querdenker, ein eigensinniger Autodidakt. Nach seiner Rückkehr aus Indien in das Haus seiner Eltern vertiefte er sich in Zen-Buddhismus und meditierte regelmäßig, zwischendurch besuchte er Physikvorlesungen auf Stanford, und eine Zeitlang lebte er in einer Kommune in Oregon.

Man ahnt, dass die Gründung der hippiesken Kleincomputerfirma Apple 1976 mit dem Programmiergenie "The Woz" Wozniak, dem anderen Steve, nicht den gängigen Vorstellungen eines Geschäftsplans entsprach. (Jahre zuvor hatten die beiden eine "Blue Box" entwickelt und vermarktet, mit deren Hilfe man illegal gratis telefonieren konnte.)

Mit dem Apple II, dem ersten erfolgreichen Mikrocomputer, hatte Jobs Großes geschaffen, und er verdiente nun auch viel. In den folgenden Jahren festigte sich der Ruf der Produkte von Apple als "die anderen", die Alternative zu IBM, Microsoft etc., schick, benutzerfreundlich, aber teuer – und mit nichts kompatibel, weil Jobs auf geschlossener Architektur insistierte.

Er kontrollierte fanatisch jedes Detail der Gestaltung bis hin zum Inneren des Computergehäuses, das kein Kunde je sah. Die Einführung des Macintosh 1984 war zwar ein Achtungserfolg, aber kein kommerzieller – wieder zu teuer, und die Clones der DOS- und Windows-Welt nahmen Apple immer mehr Markt weg. Jobs, dessen Baby der Mac war, wurde im Unternehmen isoliert. Er verließ Apple im Streit – um zwölf Jahre später an die Spitze zurückzukehren.

Ein zweites Leben für Steve Jobs

Es folgten ein nicht für möglich gehaltener Turnaround der praktisch bankrotten Firma und ein zweites Leben für Steve Jobs. Wieder war es sein Beharren auf Ästhetik, Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit, das ihn leitete, diesmal gepaart mit mehr Geschäftssinn – in der Zwischenzeit hatte er immerhin Pixar zur Marktführung in Computeranimation verholfen – und dem kongenialen Designer Jony Ive an seiner Seite.

Die beiden und viele hartgesottene Mitarbeiter, die es gewohnt waren, von dem immer noch ruppigen Jobs runtergeputzt und hochgelobt zu werden, begründeten die Renaissance von Apple.

Mit den Produkten, die unter seiner Leitung ab 1997 entwickelt wurden, erreichte er einen Status, vergleichbar nur mit jenem des legendären Visionärs und Unternehmers Thomas Alva Edison ein Jahrhundert zuvor. Auf den Markt kamen nun der iMac-Computer, die iTunes-Software, die das Musikgeschäft rettete, und der iPod, der die Musikwiedergabe revolutionierte.

Imitationen des Originals

"Oh, and one more thing", wie Jobs am Ende seiner öffentlichen Auftritte zu sagen pflegte: Auf der Macworld-Konferenz im Jänner 2007 kündigte er "drei revolutionäre Produkte" an, einen neuen iPod, ein Mobiltelefon und ein Gerät für Internetkommunikation. Er wiederholte die Ansage, bis die Zuhörer verstanden: Es handelte sich um ein Produkt, das iPhone.

Man kann sich heute, keine 15 Jahre später, kaum mehr vorstellen, wie verblüffend alles war, was er im Detail demonstrierte: "keine Tastatur mehr" (wie etwa auf dem damals noch erfolgreichen Premiumhandy Blackberry): Applaus; "ein Bildschirm so groß wie das ganze Gerät": mehr Applaus; "Scrollen für Musiktitel und Telefonadressen": noch mehr Applaus; "Bilder mit zwei Fingern vergrößern und verkleinern": ungeheurer Applaus.

Das iPhone löste einen Run auf Applikationen aus, von zunächst 500 auf heute über drei Millionen im App Store. Die anfangs skeptische bis hämische Konkurrenz – das verschmierte Glas würde unbrauchbar werden und kaputtgehen! – lernte schnell dazu. Heute sind alle Smartphones Imitationen des Originals.

Füllhorn und Büchse der Pandora

Kaum jemand, vielleicht auch Jobs selbst nicht, konnte voraussehen, wie sperrangelweit das Gerät ein Füllhorn, aber auch eine Büchse der Pandora öffnete. Einmal mit dem Internet verbunden und mit genügend Apps ausgerüstet, lässt es Benutzer nicht mehr los.

Arbeiten, einkaufen, Geister jagen, Wahrsager fragen, Streaming-Serien, virtuelle Ferien, Wetter, Wetten und natürlich soziale Medien mit Fake- und sonstigen News, tausende Videos und tausende andere Zeitvertreibe im Wortsinn: Alles haben wir ständig bei der Hand. Ein Alltag ohne ist für die meisten von uns, auch wenn wir darüber klagen, kaum mehr denkbar.

Steve Jobs, schreibt Isaacson, war jemand, an den man sich noch in hundert Jahren erinnern wird. Mag sein, dass smarte Brillen, Pillen oder Implantate das Smartphone bald alt aussehen lassen werden. Für die voraussehbare Zukunft aber gehört es zu Jobs’ bedeutendem Vermächtnis, ist eines seiner "irre großartigen Produkte", von denen die Menschen nur noch nicht wussten, was er wusste: dass sie sie brauchen würden. (Michael Freund, ALBUM, 3.10.2021)