Julia Reichert wohnt und arbeitet in ihrem Kabinetttheater in einer früheren Werkstätte in Wien-Alsergrund. Wer will, kriegt in ihrer Küche nach der Vorstellung noch ein Schnittlauchbrot.

"Wir haben dieses Loft vor 27 Jahren für unser Theater gefunden. Zuvor waren wir – mein damaliger Mann und ich – viereinhalb Jahre in Graz. Da wurde es uns aber zu eng. Darum haben wir uns entschlossen, nach Wien zu gehen. Von dieser früheren Werkstätte hat uns damals jemand erzählt. Er meinte: ‚Es schaut furchtbar aus, aber im Erdgeschoß ist etwas frei.‘ Wir kamen her, haben die Raumhöhe von fünf Metern gesehen, und schon waren die Räumlichkeiten angemietet.

Julia Reichert hat in den 1990er-Jahren ihr Zuhause mit Geschichte gefunden.
Foto: Lisi Specht

Ganz früher, im 19. Jahrhundert, war hier die erste Wiener Porzellanmanufaktur. Später zog die Firma Goldscheider ein, ein berühmtes jüdisches Unternehmen, das 1938 zusperren musste.

Als wir herzogen, war es ziemlich trist in der Gegend. Hier herinnen war gar nichts, nicht einmal ein funktionierender Kanal und kein Boden. Wir wussten nicht, wie man einen solchen Raum überhaupt heizen soll.

Die Fußbodenheizung war also einer der großen Posten beim Umbau. Unsere Idee war, möglichst wenige Eingriffe in die alte Substanz zu machen. Die Fabriksfenster wollten wir zum Beispiel unbedingt erhalten. Der Plan war auch, dass es – außer auf dem WC – nirgends eine Tür gibt. Wenn die Vorstellung beginnt, wird vorne ein schwarzer Vorhang zugezogen. Das hat alles gut funktioniert, und das funktioniert heute noch. Wir kochen ab und zu für bis zu 50 Personen, die eine Feier nach der Vorstellung bei uns buchen. Vor allem in der Adventzeit. Schnittlauchbrote gibt es sowieso nach jeder Vorstellung.

Die Stiege hinauf in den privaten Bereich ist gut hinter der Küche versteckt. Die Einrichtung ihres Zuhauses ist eine "wilde Mischung".
Fotos: Lisi Specht

Wir haben beim Umbau außerdem einen ersten Stock geschaffen, in den man sich zurückziehen kann. Wir wollten, dass es luftig bleibt, sonst wäre der ganze Raum zerstört gewesen. Die Stiege hinauf in meinen privaten Bereich befindet sich hinter der Küchenscheibe. Der Witz vom Architekten war, sie so zu verstecken, dass selbst Leute, die jahrelang ins Theater kommen, mich manchmal fragen: ‚Wie kommt man da überhaupt rauf?‘ Von oben sehe ich direkt in den Liechtensteinpark. Manchmal liege ich im Bett und schau den Leuten beim Joggen zu und den Müttern beim Kinderwagenschieben und denke mir: Gut, dass ich das nicht machen muss.

Der Grundriss des Hauses wird definiert von der angrenzenden Parkmauer. Daher verlaufen die Wände auch nicht immer ganz gerade. Im Laufe der Umbauarbeiten haben wir hinter einem Berg von Schutt auch einen versteckten Raum unter einer Außentreppe gefunden. Die Konstruktion ist ein Wahnsinn. Heute nutze ich ihn als Speis. Hier hat auch eine Biedermeiervitrine meiner Oma Platz gefunden – Biedermeier geht draußen gar nicht, aber in diesem Raum schon.

Im Zuge der Umbauarbeiten wurde ein versteckter Raum unter einer Treppe entdeckt. Hier ist Platz für Biedermeier.
Fotos: Lisi Specht

Im Rest meines 240 Quadratmeter großen Zuhauses ist die Einrichtung eine wilde Mischung. Ich mag wilde Mischungen! Bei einer unserer ersten Vorstellungen in Graz war die Eintrittskarte, einen Stuhl mitzunehmen. Von damals hab ich noch zwei Stühle. Viele Möbelstücke sind von Flohmärkten, manches habe ich auch geschenkt bekommen. Einen Billardtisch, in den man Zehn-Schilling-Münzen einwerfen muss, verwenden wir meistens als Bar. Ich finde es okay, wie es ist, und will es nicht voller haben.

Draußen im Hof kümmere ich mich außerdem seit vielen Jahren um die Begrünung. Ich hab dafür schon Preise gewonnen! In unserem Innenhofgarten hat sogar einmal ein Dachs vorbeigeschaut. Er war ganz wild und wollte sich rausgraben. Da flogen sie nur so, die Setzlinge, die ich zwei Tage zuvor eingesetzt hatte.

Für die Begrünung des Hofs hat Julia Reichert sogar schon Preise gewonnen. Im großen Wohnbereich befindet sich auch das Kabinetttheater.
Fotos: Lisi Specht

Ich finde meine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Publikum die meiste Zeit toll, weil man wenig Zeit durch unnötige Wege verliert. Natürlich wäre eine kleine Wohnung, bei der man die Tür zumachen kann, manchmal schön. Aber die Vorteile überwiegen für mich.

Von einem Haus am Meer träume ich jedenfalls nicht. Ich träume überhaupt von keiner Wohnung, in der man nicht ständig anwesend ist. Dieses ewige Hin und Her wäre mir zu anstrengend. Jetzt im Alter zieht es mich auch überhaupt nicht aufs Land, weil ich die Stadt brauche. Ich habe schon noch viele Träume. Doch die haben nichts mit Wohnen zu tun.

Moment – ein Traum fällt mir jetzt doch ein: Wir sind seit Monaten auf der Suche nach einem Lager für unser Theater, etwa 75 Quadratmeter groß, trocken und mit Zugang von der Straße aus. Aus unserem bisherigen Lager ums Eck müssen wir leider bis Jahresende raus. Da stecken 30 Jahre Kabinetttheater drin. Man kann sich vorstellen, was da alles zusammengekommen ist!" (4.10.2021)