Die Banane, glatt und fast ohne Krümmung, ist die größte Herausforderung. Für Onur Sezer ein Klacks. Er hangelt sich an baumelnden Gegenständen wie dem knallgelben Plastikobst bis zur nächsten Plattform. Mit einem locker-eleganten Sprung landet er neben mir und schaut mich erwartungsvoll an: "Jetzt du."

Die rutschfesten Socken sind Voraussetzung für den Parcours. Das Baumeln über dem Abgrund ist optional.
Foto: Christian Fischer

Sezer, ein drahtiger junger Mann mit perfekt getrimmtem Bart und Augenbrauen, zeigt auf dem Abenteuerspielplatz Jumpin Warrior bei der SCS im niederösterreichischen Wiener Neudorf vor, wie man zum Ninja Warrior wird. Oder vielleicht besser: wie man den Parcours bewältigen kann. Wenn man denn könnte.

Dabei bin ich eigentlich fit, laufe viel und mache gern Zirkeltrainings. Aber das? Mein einziger Trost: Wenn ich scheitere, werde ich von einem Netz aufgefangen. Dieses Glück haben die Teilnehmer der TV-Show nicht: Sie platschen ins Wasser.

Derzeit läuft auf Puls 4 im montäglichen Hauptabendprogramm die zweite Staffel von Ninja Warrior Austria: Bei dem aus Japan importierten, in 165 Ländern ausgestrahlten und in 26 Ländern selbst produzierten Gassenhauer überwinden viele sehr, sehr fitte Männer und etwas weniger, aber ebenfalls sehr, sehr fitte Frauen Hindernisse, bei deren Anblick es dem Publikum die Zehennägel aufrollt.

Das Bezwingen der Obstacles ist vor laufenden Kameras noch einmal schwieriger. Derzeit läuft "Ninja Warrior Austria" auf Puls 4, immer montags um 20.15.
Foto: APA/PULS 4/MATHIAS KNIEPEISS

Wir lassen die Bananen erst mal hängen und starten mit gepolsterten Stufen, die an Pilzköpfe erinnern, und auf denen ich zum nächsten Hindernis hopse. Geht ja! Dann wird es kniffliger: Von der Decke baumelt ein Boxsack, den ich mit Schwung umarmen und so über den Abgrund gleiten soll.

Über solche Übungen schmunzeln waschechte TV-Ninjas vermutlich: Sie schwingen auf Seilen in schwindelerregender Höhe, hangeln über den Abgrund und hechten mit Anlauf Wände hinauf. Die "Obstacles" variieren jedes Mal, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben also vorab keine Ahnung, was sie auf ihrem Parcours erwartet. Wenn alles nach Plan läuft, schaffen sie es bis in die vierte und letzte Runde und damit zum ultimativen Ziel: dem legendären 21 Meter hohen Mount Midoriyama. Mit Berg hat das wenig zu tun, streng genommen handelt es sich um einen Turm, den man an einem Seil emporklettern muss.

Immer mehr Fitte bereiten sich auf den Auftritt bei "Ninja Warrior" auf nachgebauten Hindernis-Parcours vor...
Foto: Christian Fischer

Bloß: Es läuft so gut wie nie nach Plan. Weltweit hat erst eine Handvoll Menschen diesen Mount Everest der stetig wachsenden Ninja-Community bezwungen. Die meisten scheitern schon sehr viel früher.

Auch Onur Sezer ist schon ins Wasser geplumpst: Der Personal Trainer kam über Calisthenics – eine Sportart, bei der mit Eigenkörpergewicht trainiert wird – zu den Ninjas. 2017 nahm er an der ersten Staffel in Österreich teil, scheiterte aber vor dem Ziel. Auch in der aktuellen Staffel ist er mit von der Kletterpartie.

Fingergrip und Balance

"Das kann ich nicht!", ist meine Standardreaktion auf jedes Hindernis. "Doch, das kannst du", sagt Sezer und lacht. Er hat recht! Ich umarme den Boxsack so fest, als würde mein Leben davon abhängen. Dann segle ich die paar Meter auf die andere Seite. Auch die schmalen, wackeligen Wände, entlang deren ich zum nächsten Hindernis klettere, überwinde ich. Sezer verrät einen Trick: Wenn es beim Klettern zu anstrengend wird, kurz die Arme durchstrecken und entspannen.

...Zum Beispiel mit der Hilfe von Personal Trainer Onur Sezer.
Foto: Christian Fischer

Die Ninja-Community hat sich in den letzten Jahren stark professionalisiert. Viele, die sich beim Fernseh-Casting durchsetzen wollen, trainieren gezielt in Hallen wie dem Jumpin Warrior. Hier reichen die Hindernisse bis unter die Decke. Sie wurden jenen aus dem Fernsehen nachempfunden.

Manche bauen sich Klassiker wie die gefürchtete Himmelsleiter, bei der man mit einer Klimmzugstange auf einer Leiter Stück für Stück in die Höhe schnellt, aber auch einfach selbst in ihrem Garten nach.

Und einige lassen sich coachen: Der Wiener Thomas Stoklasa, ebenfalls Ninja-Teilnehmer und außerdem Geschäftsführer von Parkour Austria, hat entsprechende Workshops im Angebot. Die Deutsche Marion Luck, selbst mehrfache Teilnehmerin in der deutschen TV-Sendung, hat mit Fit for Ninja Warrior sogar ein Buch übers richtige Training geschrieben: "Durchschnittlich Sportliche müssen ein Jahr gezielt darauf trainieren", sagt sie. Der Fokus sollte auf Griffkraft, Unterarm- und Oberarm-Muskulatur sowie auf der Hand-Fuß-Koordination liegen. "Da kann man Riesenfortschritte machen." Wichtig sei es außerdem, sich beim Training immer wieder völlig neuen Situationen zu stellen, denn auf Sendung gehe es schließlich auch oft nach dem Prinzip: Augen zu und durch.

Der Personal Trainer Onur Sezer kam über Calisthenics zu den Ninjas.
Foto: Christian Fischer

Es gibt noch andere Tricks, mit denen angeblich sogar Normalos wie ich von der ungelenken Ninja Turtle zum Warrior werden können. Präzision und Balance lassen sich nämlich ebenfalls üben. Und ganz wichtig: "Man muss lernen, beim Hängen Schwung zu generieren", sagt Thomas Stoklasa. Sonst baumelt man bei so manchem Hindernis einfach so lange hilflos über dem Abgrund, bis man abstürzt und – erraten! – nass wird. Einig sind sich die Trainer darin, dass jene im Vorteil sind, die bereits Erfahrungen in Sportarten wie Klettern, Bouldern oder Parcours haben, tendenziell eher drahtig sind und keine allzu riesigen Muskelberge mit sich rumschleppen. Größere Menschen haben mehr Reichweite, das bringt natürlich auch etwas.

Auch wenn es die international stets geringe Frauenquote in der Sendung nicht nahelegt: Von der mitunter etwas geringeren Körpergröße abgesehen haben Frauen keine Nachteile. "Sie überlegen nur vielleicht ein wenig länger", sagt Luck. Jene Frauen, die mitmachen, sind aber sehr fit, betont Puls-4-Unterhaltungschef-Patrick Schubert. Immerhin ging aus der ersten Staffel die damals 23-jährige Salzburgerin Steffi Noppinger hervor. Sie schaffte es als zweite Frau in der Geschichte des Formats zum Titel "Last Woman Standing". Mittlerweile ist sie auch in Deutschland und sogar in Japan angetreten.

Das Überwinden von Ängsten lohnt sich auch für weniger Geübte.
Foto: Christian Fischer

Streckenrekord: Sechs Sekunden

Ob ich es über Wiener Neudorf hinausschaffe, bezweifle ich. Hier läuft, um mich zu motivieren, jetzt wummernde Musik, die das Brummen der Autos der nahen Südautobahn übertönt. Mittlerweile haben wir in etwa 20 Minuten das erste Stockwerk des Parcours geschafft. Zum Vergleich: Der Streckenrekord liegt bei unfassbaren sechs Sekunden. Das kann man nicht mehr überbieten, meinen die, die davon Ahnung haben, ehrfürchtig.

Über eine Leiter geht es nach oben in den zweiten Stock der Halle, in der auch Trampoline und Kletterwände aufgestellt sind. Der Publikumsmagnet sind aber die "Obstacles" – besonders seit die Sendung wieder läuft. Darum soll dieser Bereich weiter ausgebaut werden, dafür einige Trampoline verschwinden.

Den Österreich-Ableger der Sendung gibt es seit 2017. "Wir sind eine Bergsteigernation", begründet Unterhaltungschef Patrick Schubert, warum er an das Format geglaubt hat. Vor allem bei der jungen Zielgruppe ist es mit durchschnittlich neun Prozent Marktanteil beliebt. Für die aktuelle Staffel wurde die ehemalige Daviscuphalle südlich von Graz mit 9000 Quadratmeter Fläche adaptiert. Die Suche nach der Location war nicht einfach – auch wegen der gewünschten Mindesthöhe der Halle: 25 bis 30 Meter braucht es schon, immerhin muss hier mit dem Mount Midoriyama ein ganzer Berg unterkommen.

"Du kannst das!" bestärkt der Trainer die Ninjas in spe.
Foto: Christian Fischer

Für die Aufzeichnung im Sommer rollten dann 30 Sattelschlepper aus Belgien an. 64 Tonnen Stahl wurden temporär an- und später wieder abtransportiert, um anderswo zum Einsatz zu kommen. Mit an Bord waren auch ehemalige Teilnehmer der Sendung, die den Parcours immer vorab austesten und so herausfinden, wo noch geölt und optimiert werden muss. Sie sind die Einzigen, die die Obstacles vorab testen dürfen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Show sehen sie am Tag der Aufzeichnung zum ersten Mal. Ausprobieren dürfen sie ihn nicht. Wie rutschig oder wackelig eine Stufe wirklich ist, erfahren sie erst, wenn die Zeit läuft.

Im Schatten des Berges

"Ich kann das nicht", sage ich Onur Sezer beim nächsten Hindernis – schon wieder. Wir stehen vor drei von der Decke hängenden Metallreifen. Durch das Fangnetz am Boden sehe ich direkt ins untere Stockwerk. Ich schlucke. Angst, sagt Onur Sezer, sei am Anfang ganz normal: "Aber man lernt immer ein kleines Stück mehr, seine Angst zu überwinden."

Doch die Angst ist mein größtes Hindernis. Ich springe trotzdem, greife nach dem ersten Reifen, der sich prompt in Bewegung setzt. Panik! Ich rutschte ab und falle – ins Netz. War eigentlich gar nicht schlimm. Ich probiere es noch einmal. Und noch einmal. Ich kann das nicht. Oder besser: Ich kann es noch nicht.

Bei Ninja Warrior wäre ich längst im Wasser gelandet. Die Obstacles im Fernsehen sind noch schwieriger, aber nicht die eigentliche Challenge. Vor Live-Publikum, mit tickender Uhr, im Schatten des Mount Midoriyama. Und dabei trotz all der Kameras Ruhe zu bewahren. Das, sagt Onur Sezer, sei die wahre Herausforderung. Dagegen schauen sogar die baumelnden Bananen harmlos aus. (Franziska Zoidl, 9.10.2021)