Kafkaeske Zustände wie eh und je: Der Umgang mit antragstellenden Ausländern in der MA 35 hat sich noch nicht verbessert.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Er arbeite an einem Reformprozess in der MA 35, werde die Lage dort umkrempeln, reagierte der Wiener Stadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) im August auf Berichte über die unzumutbaren Zustände im Wiener Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft.

Grantige Mitarbeiter, verstaubte Aktenberge und bimmelnde Telefone, die nicht abgehoben werden: So hatte ein Mitarbeiter die Situation geschildert, DER STANDARD berichtete. Zustände, von denen Inländer bis dato nur am Rand Notiz genommen hatten, aber die für Zugezogene schwere Folgen haben können. Sie fürchten um den Verlust des Arbeitsplatzes, der Sozialleistungen oder im schlimmsten Fall der neuen Heimat.

Verzweifelte Nachrichten

Das ist seither offenbar nicht besser geworden. Zwei Monate später ist klar: Die angekündigten Neuerungen werden für viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu spät kommen. Nach wie vor erreichen den STANDARD verzweifelte Nachrichten von Betroffenen.

Etwa von Elisa Jiménez. "Wie schaut es aus mit dem Aufenthalt?", fragt sie ihr Chef im Wochentakt. Jiménez hätte gerne eine gute Antwort parat, aber sie kann nur mit den Schultern zucken. Denn sie wartet seit zehn Monaten auf die Papiere, die ihren Aufenthalt verlängern sollen.

"Ich weiß nicht, ob sie mich kündigen können", sagt die Frau, die zwanzig Stunden bei einer deutschen Einrichtungskette arbeitet. Ihre Vorgesetzen, glaubt sie, wissen nicht, wie viel man als Betroffene in Wien schlucken muss – was bei ihr und vielen Nicht-Österreicherinnen schon längst in den Alltag eingedrungen ist: die Ohnmacht.

Mit der Geduld am Ende

Dabei ging es Jiménez am Anfang gut: "Die erste Mitarbeiterin bei der MA 35 hat uns sehr geholfen", erzählt sie. 2019 ließen sich die Mexikanerin und ihr österreichischer Freund als Partner eintragen, sie erhielt den Aufenthaltstitel "Familienangehörige". Das Prozedere ging flott. Fehlende Unterlagen konnte sie nachreichen.

Dass sie beim Antrag auf Verlängerung, der nach einem Jahr im Dezember 2020 fällig wurde, drei Monate warten musste, verstand sie noch. "Es war ja Corona, und die Mitarbeiter hatten bestimmt Stress." Auch als Jiménez nochmal ihre Lohnzettel schicken musste, obwohl sie nur die Filiale wechselte, hatte sie dafür Verständnis.

Jetzt, nach zehn Monaten Warten, ist ihre Geduld aber am Ende. "Ich zahle Steuern in diesem Land und habe nichts verbrochen. Wieso haben wir keine Rechte?"

"In Wien gefangen"

Bei der MA 35 versucht man zu beschwichtigen: "Wenn der alte Aufenthaltstitel ausläuft, bevor ein neuer ausgestellt werden kann, ist das in der Regel kein Problem – auch in der Zeit dazwischen ist die Person legal im Land", heißt es auf Nachfrage des STANDARD.

Das mag stimmen, Elisa Jiménez aber kann in dieser Zeit weder die Arbeit wechseln, noch das Land verlassen – außer mit einer Notreisevignette, die aber auch nur in der EU gilt. Dass es ihrer Mutter in Mexiko gesundheitlich nicht gut geht, setzt ihr zu. "Nach den ganzen Lockdowns will ich endlich meine Familie besuchen – aber ohne Visum bin ich hier gefangen", sagt Jimenez.

Das könnte sich nun geändert haben: Wie Jiménez dem STANDARD mitteilte, hat sie den Brief mit dem positivem Bescheid erhalten. "Natürlich beruhigt mich das fürs Erste", sagt Jiménez, glaubt aber, dass die Freude nicht lang anhalten wird. Ein Jahr nach dem ersten Verlängerungsantrag, also im Dezember 2021, wird die nächste Verlängerung fällig – dann, so befürchtet sie, könnte das Prozedere wieder von vorne losgehen.

Neun Jahre Warten

Jahrelanges Warten, ein Rückschlag wegen eines Behördenfehlers, amtliche Zurückweisung, obwohl man alle Bedingungen erfüllt – "das macht mit einem etwas sehr Ungutes", sagt wiederum Maria Kovacs, Pensionistin aus Wien und Adoptivmutter des aus Afghanistan kommenden, heute 34-jährigen Wahidollah Ahmadi.

Verantwortlich dafür ist der Umgang der MA 35 mit dem Einbürgerungsbegehr Ahmadis. Dieses zieht sich seit inzwischen insgesamt neun Jahren, und obwohl Ahmadi im September 2019 zugesichert worden war, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten werde, steht es nun möglicherweise wieder auf der Kippe. Schlimmer noch: Es hat den jungen Mann zu einem Staatenlosen gemacht.

Fatale drei Tage

Begonnen hat alles im Jahr 2012. Damals suchte der afghanische Staatsbürger Ahmadi zum ersten Mal bei der MA 35 um den hiesigen Pass an. 2002 war er mit 15 Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Österreich gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Die Kovacs' hatten ihn als Patenkind angenommen und in der Folge adoptiert.

Der Einbürgerungsversuch ging schief, denn es stellte sich heraus, dass es zwischen Ahmadis Aufenthaltsbewilligung als Asylwerber und jener als Angehöriger der Kovacs' drei Tage Unterbrechung gegeben hatte. Die Verantwortung dafür lag bei den Behörden. "Wir hätten die fehlenden Tage vor die Gerichte bringen können. Das wäre wohl bis zum Verfassungsgerichtshof gegangen und hätte etliche Jahre gedauert. Daher haben wir darauf verzichtet", sagt Maria Kovacs.

Zweiter Versuch

Stattdessen suchte der junge Mann im Jahr 2015 erneut um die Einbürgerung an. Zu diesem Zeitpunkt war auch seine Aufenthaltsbewilligung als Angehöriger schon zehn Jahre in Kraft. Vier Jahre dauerten in der Folge die Ermittlungen der MA 35. Sie endeten positiv: Im September 2019 erhielt Ahmadi einen Zusicherungsbescheid für seine Einbürgerung in Österreich. Die Bedingung: innerhalb von zwei Jahren müsse er seinen afghanischen Pass zurückgeben.

Gefordert, getan: Am 10. Juni des heurigen Jahres legte Ahmadi der MA 35 einen Nachweis darüber vor. Nun war er staatenlos: ein Zustand, den Österreich auf Grundlage eines UN-Abkommens so weit wie möglich beschränken sollte.

Wieder alles von vorne?

Doch die MA 35 hüllte sich in Schweigen. Am 9. September rief schließlich Ahmadi die Referentin an – um wenige Tage später eine Mail mit einer Liste von 30 verschiedenen Dokumenten zu erhalten, die er beizubringen habe. Darunter etwa auch eine Erklärung, mit wem er alles innerhalb der vergangenen sechs Jahre zusammengewohnt hat.

Was war geschehen? Beim Telefonat am 9. September hatte Ahmadi seinen kleinen Sohn erwähnt, der 2019 auf die Welt gekommen ist. Auf Nachfrage der Referentin hatte er gesagt, er habe Interesse daran, seine österreichische Staatsbürgerschaft auf den Buben zu erstrecken. Für die Referentin offenbar ein Grund, ein gesamtes weiteres Einbürgerungsverfahren zu starten.

Unbeantwortete Fragen

Nur für das Kind? Oder hängt nun – Einbürgerungszusicherungsbescheid hin oder her – auch die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Ahmadi selbst wieder von den 30 verlangten Dokumenten ab? Warum werden von dem Vater Unterlagen verlangt, die dieser der Behörde schon mehrmals ausgefolgt hat? Der 34-Jährige und seine Adoptiveltern sind ratlos. "Was ist ein Zusicherungsbescheid der MA 35 wert?", fragt Ahmadi bitter.

Auf Fragen des STANDARD zum Stand der Dinge im Fall Ahmadi antwortete eine Sprecherin der MA 35, dass "zu Einzelfällen medial keine Auskunft gegeben" werde.

Eine Schlussüberprüfung trotz Zusicherungsbescheid sei zulässig, "aber vor der Zusicherung", denn die Sachlage könne sich geändert haben, sagt wiederum der Wiener Anwalt Wilfried Embacher. Das sei auch im Fall der Staatsbürgerschaftserstreckung auf ein Kind so.

Sinnlose Aufträge verboten

"Sinnlose oder verspätete Aufträge" aber dürfe die Behörde den Antragstellenden nicht geben. Wobei: Oben erwähnte Anfrage nach den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern in den vergangenen sechs Jahren sei erlaubt.

"Es wird nachgeprüft, ob und wann eine der genannten Personen Mindestsicherung bezogen hat. Wenn man für diesen Zeitraum nicht beweisen kann, dass man selbst genug Mittel für den eigenen Lebensunterhalt hatte, wird angenommen, dass man von dieser Mindestsicherung mitprofitiert hat – für eine Einbürgerung ein Ausschließungsgrund", sagt Embacher. Nachsatz: "Das ist derzeit leider Judikatur."

Die MA 35 kennt keinen Spaß

Inspiriert von Geschichten wie diesen hat der Programmierer Alexander Pantiukhov im September eine alternative MA-35-Website gebastelt. "Ich wollte im Rahmen eines Kunstprojekts zeigen, wie eine serviceorientierte Seite aussehen kann", sagt der Russe, der damals selbst auf die Verlängerung seines Aufenthaltstitels wartete.

Ein telefonisches Servicecenter, mehr Personal, mehr Schulungen und verstärkte Online-Abwicklung – das hatte Wiens Vize-Bürgermeister Wiederkehr Anfang September versprochen. Als Zeitrahmen, um allein den durch Corona verursachten Fallrückstau aufzuarbeiten, nannte er ein Jahr.

So lange bräuchte es vielleicht gar nicht, hält Pantiukhov fest. Drei Tage wandte er für die Entwicklung eines Website-Prototyps auf, auf der man Dokumente für den Antrag hochladen oder nützliche Informationen abrufen kann – denn nicht selten "verschwinden" bei der MA 35 Dokumente oder E-Mails.

Ein fast echter Prototyp

Bei der MA 35 interpretierte man Pantiukovs Bemühungen als behördenkritische Aktion. Weil er das Amt als "toxisch, schlecht und nicht funktionierend" bezeichnet habe, bekam er Post. Er solle die Website sofort löschen, denn sie würde suggerieren, dass es sich um einen Onlineauftritt der echten MA 35 handle. "Auf allen Seiten meines Entwurfs war zu lesen, dass es ein Prototyp ist", sagt Pantiukhov, der sich aber nicht länger ärgern will.

Kaum eine Woche online, nahm er den Prototyp wieder vom Netz – die MA 35 hatte ihm rechtliche Konsequenzen angedroht. "Ich glaube, es ist produktiver, wenn ich freundlich und unterstützend bin", sagt er versöhnlich. Um sein Bleiberecht muss er sich jedenfalls nicht mehr sorgen: Seinen Aufenthaltstitel, auf den er sechs Monate gewartet hatte, erhielt er am Tag darauf. (Irene Brickner, Elisa Tomaselli, 5.10.2021)