In "Hitze" erzählt die 31-jährige New Yorkerin Raven Leilani von einer jungen schwarzen Frau, die sich nimmt, worauf sie Lust hat.

Foto: Nina Subin

Als er das erste Mal ihr Apartment in Bushwick, Brooklyn, betritt, malt sie sich aus, was er sich dabei denken muss. Sie schreibt, dass ihm nun das "Ausmaß unserer Dissonanz endlich dämmert". Missklang ist noch eine Untertreibung: Er ist doppelt so alt wie sie, er ist wohlhabend und verheiratet, und vor allem ist er weiß. Die 23-jährige Ich-Erzählerin Edie hingegen lebt hier mit einer Mitbewohnerin und ein paar Mäusen, sie hasst ihren Job in einem Kinderbuchverlag und sehnt sich nach Sex. Und sie ist, richtig erraten, schwarz.

Asymmetrien wie diese durchziehen den Debütroman der New Yorker Autorin Raven Leilani nicht nur, sie bilden vielmehr sein innerstes Gerüst. Wer unbedingt möchte, kann seine Konstellation ein unwahrscheinliches Szenario nennen; doch das linkische Miteinander von Figuren aus unterschiedlichen Klassen und mit divergierender "race" wird von Leilani mit feinem Gespür für die Widersprüchlichkeiten liberaler Einstellungen erzählt. Jeder tut ein wenig so, als würde er die Unterschiede nicht sehen. Natürlich bleiben sie immer da, und am genauesten verspürt sie Edie selbst.

Raven Leilani, "Hitze". Aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz. € 15,99 / 254 Seiten. Atlantik, Hamburg 2021

Der Roman beginnt mit dem ersten Date zwischen dem Millennial und dem Archivar Eric, das nach längerem Online-Geplänkel ausgerechnet in einem Freizeitpark stattfindet, was den Altersunterschied wie mit Leuchtstift unterstreicht. Doch Leilani verwendet die Liaison nur als Ausgangspunkt, um konträre Lebenswelten zu verschränken. Bis zum ersten Sex vergehen Wochen, Eric hängt an der kurzen Leine seiner Frau Rebecca, mit der er eine offene Ehe praktiziert. Mit zeitlich engem Reglement.

Im Einfamilienhaus in Newark, das Edie wie eine Festung der amerikanischen Mittelschicht erscheint, passiert es dann endlich. Leilani wechselt mit dem ungeschickten, aber auch lustvollen Akt sprachlich virtuos die Gangart – in wenigen ekstatisch über mehrere Seiten galoppierenden Satzketten fängt sie die widerstreitenden Gedanken und Gefühle ein, die darin kulminieren, dass Edie Eric "Daddy" nennt und er daraufhin kommt.

Hartgesotten, nicht unempfindlich

Aus der manchmal hartgesottenen, aber nie unempfindlich wirkenden Innenperspektive Edies bezieht Leilanis Roman seine unwiderstehliche Anziehungskraft. In den USA zählte das Buch im vergangenen Jahr zu einem der meistbesprochenen Debüts, zudem wurde es mehrfach ausgezeichnet – selbst Ex-Präsident Barack Obama gehörte zu jenen, die es hypten. Leilani wuchs selbst in Brooklyn in einer Künstlerfamilie mit westindischen Wurzeln auf und studierte an der New York University unter Autorinnen und Autoren wie Zadie Smith oder Jonathan Safran Foer. Autobiografisch ist das Buch aber nicht, obwohl Leilani etwa in der Beschreibung der Arbeitswelten, in der Edie nicht dem Bild einer schwarzen Aufsteigerin entsprechen will, auch aus eigenen Erfahrungen schöpft.

Das Zentrum von Hitze verschiebt sich schließlich von der Affäre mit Eric hin zu dessen Familie. Zu Edies Überraschung gehört dazu auch das adoptierte schwarze Mädchen Akila. Die inzwischen nicht nur verschuldete, sondern mittellose Geliebte wird überraschend von Rebecca ins Haus aufgenommen – ein genialer Schachzug der Ehefrau, die der Nebenbuhlerin ihre Attraktivität nehmen will und zugleich eine Gefährtin für ihre in der weißen Suburbia einsame Tochter sucht.

Das unmögliche Selbstbild

Weniger überraschend ist, dass Leilani nichts davon einlöst. Eine Drei-, ja Vierecksgeschichte entsteht, die aber mehr davon erzählt, wie jede der Figuren ihr eigenes Inseldasein führt. Edie bleibt die offensichtlichste Außenseiterin, ihre Ausstrahlung ist groß, bleibt aber Reflexion – schon der Originaltitel Luster (deutsch: der Glanz) spielt darauf an: Eigentlich Künstlerin, scheitert sie an einem Selbstporträt, also daran, sichtbar zu werden.

Im fremden Haus ist sie Spion und Ausspionierte zugleich, ein Parasit, von dem aber auch alle ein Stück weit profitieren. Sie bleibt. Sie putzt. Sie kümmert sich um Akilas Haare. Aber sie schläft auch weiterhin mit Eric. Die interessantere Beziehung führt sie jedoch mit Rebecca, die sich als weitaus tiefgründiger entpuppt als zunächst vermutet. Weibliche Solidarität wird greifbar, sie kommt dann aber doch nicht so leicht über die Mauern von Klasse und "race" hinweg.

Trotz seines Bewusstseins für all die unsichtbaren Schranken verweigert Leilanis Roman konsequent jede instruktive Note. Dafür bleibt schon ihre Heldin viel zu direkt und durchtrieben, eigensinnig und destruktiv. Dazu kommt der sprachliche, oft gegensteuernde Witz: "Abgesehen von der Tatsache, dass ältere Männer finanziell stabiler sind und ein anderes Verständnis der Klitoris mitbringen, ist da die starke Droge des Machtgefälles." (Dominik Kamalzadeh, 2.10.2021)