In der Causa rund um den Verdacht auf Falschaussage von Kurz rechnen viele damit, dass es bald zu einer Anklage kommen könnte.

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Niemand – wirklich niemand! – sei nervös, irritiert oder auch nur überrascht, beteuern Türkise. Man habe nur langsam einfach keine Lust mehr auf dieses Spiel. Täglich würden Pressesprecher und Funktionärinnen von Journalisten kontaktiert und nach dieser ominösen Hausdurchsuchung gefragt, die nie stattfand.

Natürlich mache einen das irgendwann unrund, sagt einer aus der ÖVP. Vor allem – und davon sind einige im türkisen Zirkel ehrlich überzeugt: Die Medien wissen mehr als sie, weil Teile der Justiz gegen die ÖVP arbeiten. Manche dieser Medien, die Opposition, auch gewisse Kräfte der Republik würden kein anderes Ziel verfolgen, als Kanzler Sebastian Kurz politisch zu vernichten.

Das ist die eine Seite der Erzählung.

Ungewöhnlicher Medienauftritt

Die ÖVP befinde sich im Ausnahmezustand, lautet das andere Narrativ. Fieberhaft würden derzeit Chats gelöscht und Papiere vernichtet, es herrsche blanke Angst. Das Kanzleramt sei in Aufruhr. Selbst die Grünen seien alarmiert, weil sich der Koalitionspartner sonderbar verhalte.

Bestätigt fühlen sich Verfechter der zweiten These durch eine Pressekonferenz, die Anfang der Woche stattfand. Dort forderte die ÖVP-Vizegeneralsekretärin Gabriela Schwarz "zuständige Stellen" auf, in Bezug auf die angeblichen Hausdurchsuchung endlich für Klarheit zu sorgen. Und richtete aus: "Es ist nichts mehr da. Es ist auch nichts zu finden, denn es gibt definitiv nichts." Davon angesprochen fühlen sollte sich wohl die gegen den Kanzler und andere ÖVP-Politiker ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft.

"Es gibt Hausdurchsuchungen, weil man versucht, etwas zu finden. Ich sage Ihnen: Es wird nichts gefunden werden." Gabriela Schwarz (ÖVP)
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Der Medienauftritt vom Dienstag gilt selbst innerhalb der ÖVP als nur mäßig gelungen. In der Sache wollen aber alle dabei bleiben: Es könne doch nicht sein, dass Journalisten – von wem auch immer – ständig angebliche Ermittlungstätigkeiten kolportiert bekommen.

Türkise sagen auch: Die Öffentlichkeit müsse wissen, womit sich die ÖVP da im Hintergrund herumschlage. Wie Journalistinnen und Journalisten eine Pressekonferenz bewerten, sei dabei eigentlich Nebensache.

Automatische Löschung von E-Mails

Tatsächlich wurden Schritte gesetzt, die sehr wohl zeigen, wie nervös – oder zumindest vorsichtig – die Volkspartei inzwischen ist: Im Kanzleramt wurde die IT-Abteilung aufgefordert, eine Möglichkeit zu finden, wie sämtliche E-Mails und Kalendereinträge aller Mitarbeiter nach einem Jahr automatisch gelöscht werden.

Eine parlamentarische Anfrage der SPÖ an das Ressort der türkisen Tourismusministerin Elisabeth Köstinger ergab, dass dort 22 Lizenzen für das Verschlüsselungsprogramm Silentel erworben wurden. Die Software wird laut Nato in mehr als fünfzig Ländern von Sicherheitsbehörden, Militär und Nachrichtendiensten benutzt, um sicher zu chatten, telefonieren und Dateien zu verschicken. Das können nun auch 22 Personen im heimischen Landwirtschaftsministerium.

Hat die ÖVP den Nutzen von militärisch starker IT-Sicherheit erkannt – oder will sie es Ermittlern schwerer machen, auf beschlagnahmten Smartphones Spuren zu finden? Fakt ist, dass kaum eine Enthüllung der ÖVP politisch so geschadet hat wie die zahlreichen despektierlichen Chatnachrichten, die in den vergangenen Monaten publik wurden.

Zahlreiche Verfahrensstränge

Viele von ihnen sind im Akt 17 St5/19 zu lesen, den Dokumenten zum sogenannten Casinos-Komplex. Ursprünglich ging es in der Causa um Postenschacher im Glücksspielwesen, inzwischen könnte man sagen: Es ist der Akt der wichtigsten Korruptionsermittlungen Österreichs. Zahlreiche Verfahrensstränge finden sich dort. Und darunter eben auch die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Falschaussage von Kanzler Kurz.

All das ist allerdings bekannt. Warum könnte die ÖVP nun also schwitzen?

Der Casinos-Akt ist politisch inzwischen derart brisant, dass in der Causa jede kleinste Bewegung mit Argusaugen beobachtet wird. Besondere Spannung lösen gesperrte Aktenteile aus, also solche, die nicht gelesen werden dürfen. Eine Ausnahme der Akteneinsicht darf nämlich nur erfolgen, um aktuelle Ermittlungen zu schützen. Neue, gesperrte Aktenteile bedeuten also: Es tut sich etwas.

Das wissen Juristen, das weiß man auch in der Volkspartei. Als vergangenen Februar zwei gesperrte Dokumente im Akt aufschienen, ließ ÖVP-Anwalt Werner Suppan nachfragen, ob Finanzminister Gernot Blümel mittlerweile als Beschuldigter geführt wird. Später wurde klar: Eines der gesperrten Aktenstücke war die Anordnung zur Hausdurchsuchung bei Blümel.

Zwanzig gesperrte Aktenteile

Vor gut zwei Wochen tauchten nun plötzlich mehr als zwanzig gesperrte Aktenteile im Casinos-Akt auf. Seitdem rätseln Anwälte, Beschuldigte und Journalisten, was sich dahinter verbergen könnte: Ein Dutzend Hausdurchsuchungen? Telefonüberwachungen? Oder sogar Festnahmeanordnungen? Und vor allem: Wer ist betroffen?

Klar ist hingegen, wie Informationen über den Casinos-Akt an Medien gelangen können. Denn in dem gigantischen Komplex gibt es inzwischen dutzende Beschuldigte, die den Akt einsehen dürfen; darunter Politiker von ÖVP und FPÖ – also politische Rivalen –, aber auch wirtschaftliche Konkurrenten wie die Casinos Austria AG und die Novomatic. Dadurch ist es wenig verwunderlich, dass kontinuierlich Informationen nach außen dringen – es braucht dafür gar keinen Leak aus der Justiz, wie ÖVP-Politiker gerne insinuieren.

Eine große Frage hängt durch das Bekanntwerden der gesperrten Aktenteile aber jedenfalls im Raum: Was steht nun bevor?

Die unbefriedigende Antwort lautet: Seriös lässt sich das derzeit noch nicht sagen. Klar ist, dass fast keiner der Verfahrensstränge des Casinos-Akts ausermittelt ist. In lediglich einem Fall, nämlich der Bestechung von Ex-Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache durch einen Privatklinikbetreiber, kam es zur Anklage mit nicht rechtskräftiger Verurteilung. Bei den Themen Postenschacher oder Korruption in der Glücksspielbranche sind die Ermittler hingegen noch lange nicht am Ende.

Unerwartete Fragen des Ermittlers

In der Causa rund um den Verdacht auf Falschaussage von Kurz rechnen viele damit, dass es bald zu einer Anklage kommen könnte – selbst in der ÖVP und bei den Grünen. Einen Zusammenhang mit den gesperrten Aktenteilen gibt es diesbezüglich wohl eher nicht – wobei die Fragen des Oberstaatsanwalts am Ende der Einvernahme des Kanzlers in eine unerwartete Richtung gingen. Er wollte plötzlich – scheinbar zusammenhanglos – von Kurz wissen, ob der Industrielle Siegfried Wolf ihn je um einen Gefallen gebeten habe. Kurz brach die Einvernahme wenig später ab.

Die geheimen Akten könnten aber unzählige Themen zum Inhalt haben. Rund um den U-Ausschuss wiesen die Sozialdemokraten immer wieder auf das Thema Stiftungsrecht hin und stellten geplante Steuerentlastungen in den Raum – für Superreiche, die der ÖVP im Gegenzug den einen oder anderen Gefallen getan haben könnten. Auch über Chats zur Inseratenkorruption wird gemunkelt.

Lange dürfte es jedenfalls nicht mehr dauern, bis die gesperrten Akten enthüllt sind. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 2.10.2021)