Mit "unglaublicher Geschwindigkeit" erholt sich der Arbeitsmarkt von der Krise, sagt AMS-Chef Johannes Kopf mit Blick auf die aktuellen Arbeitslosenzahlen. Im September waren 338.514 Personen beim Arbeitsmarktservice (AMS) als arbeitslos oder in Schulung gemeldet. Im Vergleich zum September 2019 ist die Arbeitslosigkeit damit nur mehr leicht höher als vor Ausbruch der Pandemie.

Rechnet man jene weg, die eine Weiterbildungsmaßnahme besuchen, liegt sie darunter. Verglichen mit dem September 2020 sind 70.000 Menschen weniger beim AMS vorgemerkt. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) konstatiert einmal mehr, "dass die Erholung des Arbeitsmarkts schneller voranschreitet als erwartet."

Die Bewertung der Stärken und Schwächen von Arbeitssuchenden soll laut AMS zu einem besseren Verständnis für die zu beratenden Personen führen.
Foto: APA/Roland Schlager

Unverändert kritisch bleibt die Lage für Langzeitarbeitslose. 120.449 Personen sind bereits länger als ein Jahr ohne Erwerbsarbeit. Auch wenn seit August knapp 7900 eine Beschäftigung gefunden haben, ist die Zahl seit September 2019 um 26.239 Betroffene angewachsen. Ein Problem, dem sich der Arbeitsminister gemeinsam mit dem AMS – wie berichtet – verstärkt widmet. Unter anderem mit der Initiative "Jobimpuls", ein Beschäftigungsprogramm für Menschen, die Unterstützung brauchen, um es zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Dabei kommen auch Instrumente zum Einsatz, die nun – wie berichtet – für Wirbel sorgen.

Ein von Partnerfirmen des AMS eingesetztes Programm zur Bewertung der Stärken und Schwächen von Arbeitslosen sorgt für Kritik. Der Grund: Die Arbeitssuchenden müssen persönliche und intime Auskünfte erteilen, berichteten das Medium Zackzack und der Blog Die Woche. Dabei beantworten Jobsuchende 272 Fragen. Unter anderem werde der Gesundheitszustand thematisiert, nach Geburtsfehlern, Geschlechtskrankheiten und psychischen Störungen gefragt, berichtet Zackzack unter Berufung auf Angaben von AMS-Klienten.

Freiwillige Teilnahme

Die Erhebung läuft über die Website der deutschen Jobnet AG, die 2018 den Zuschlag vom AMS bekommen hat, eine entsprechende Software zu liefern. Laut AMS wird die Befragung seit damals in rund 20 Förderprojekten des AMS Wien eingesetzt. Österreichweit nutzten 15 Trägereinrichtungen in 92 Projekten die Job-Impuls-Methode. Allerdings reflektieren nicht alle Landes-AMS-Ableger darauf, einigen war das Tool zu teuer. AMS-Chef Johannes Kopf betont auf STANDARD-Anfrage, dass die Teilnahme freiwillig sei – möglicherweise würde darauf nicht hinreichend hingewiesen, räumte er ein.

Beim AMS Wien rechtfertigt man den Einsatz des Erhebungstools – inklusive Fragen zu Geschlechtskrankheiten – mit dem sogenannten Arbeitsfähigkeitsindex (Work Ability Index). Der WAI wird anhand eines Standardisierten Verfahrens erhoben, das in den 1980er Jahren in Finnland entwickelt wurde. Es gibt, vereinfacht ausgedrückt, Auskunft über die subjektive Einschätzung des Klienten, für wie arbeitsfähig er sich hält.

Solides Instrument

"Ein vielfach validiertes Instrument, das tatsächlich Erkenntnisgewinn bringt", sagt der Linzer Arbeitsmediziner Manfred Lindorfer von IBG, einem Berater im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Allerdings seien davon mehrere Versionen verfügbar. Fragen nach Geschlechtskrankheiten seien meist aufgrund von Widerstand der Befragten in manchen Betrieben aussortiert worden. Für den Erkenntnisgewinn seien diese auch nicht unbedingt erforderlich.

AMS-Chef Johannes Kopf muss sich wegen intimer Fragen an Arbeitslose verteidigen. Nun will er ihre Sinnhaftigkeit überprüfen.
Foto: APA/Hans Klaus Techt

Beim AMS wird betont, dass man zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf die Umfrageergebnisse oder gar einzelne Antworten habe, sondern von den Partnerfirmen lediglich den WAI einer Person übermittelt bekomme. Herr Mustermann etwa sei zu 23 Prozent nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig und brauche spezielle Unterstützung. Ungefähr so kämen die Ergebnisse dann bei den AMS-Beratern an, aber niemals würden die Gesundheitsauskünfte eingespeist, wird betont.

Rückschlüsse auf Persönlichkeitsstruktur

Arbeitspsychologen sehen das Abfragen solch sensibler Daten dennoch kritisch, denn diese erlauben Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsstruktur, beispielsweise auf die Risikobereitschaft. Als Teil eines Gesamtmodells, um ein umfassendes Bild über die Leistungsfähigkeit einer Person zu erhalten, könne es aber wichtig sein. Denn: Langzeitfolgen von chronischen Geschlechtskrankheiten können leistungsmindernd sein. Herpes beispielsweise sei eine extrem belastende Krankheit, die vor allem in Stresssituationen immer wieder kommen könne. Ähnliches gelte bei Hepatitis C oder HIV, sagen Arbeitsmediziner.

Besondere Sorgfalt sei nötig, anlassloses Datensammeln illegal. Es brauche gute Begründungen. Als Beitrag eines Gesamtmodells, um ein umfassendes Bild über die Leistungsfähigkeit einer Person zu erhalten, könne das Tool wichtig sein. (András Szigetvari, Luise Ungerboeck, Regina Bruckner, 3.10.2021)