Maria Neustift ist eine Hochburg der Partei MFG.

Foto: Wolfgang Simlinger

Josef Riener fürchtet um das Image von Maria Neustift. Der Ort gilt nun nicht mehr bloß als Pilgerstätte, sondern auch als Corona-Leugner-Hochburg.

Foto: Wolfgang Simlinger

Inmitten des Ennstals zwischen den beiden Ramingbächen, die hier ihren Ursprung haben, liegt der kleine Ort Maria Neustift. Bekannt und beliebt ist die 1635-Einwohner-Gemeinde vor allem unter Wallfahrern. Pilgerziel ist die neugotische Kirche samt der Gnadenstatue "Maria, Heil der Kranken".

Doch seit gut einer Woche ist der kleine Gnadenort vor allem ins politische Licht der Öffentlichkeit gerückt. Die impfskeptische Liste MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte) ist künftig in 27 Gemeinderäten vertreten, nirgendwo in Oberösterreich gab es aber mehr Stimmen für die Impfgegner als in Maria Neustift. 26,7 Prozent holte die Partei dort bei den Gemeinderatswahlen und stellt damit im Kommunalparlament fünf Mandatare. In den Landtag werden sie mit drei Mandataren einziehen. Und eines machte die Partei bereits kurz nach der geschlagenen Wahl klar: Man plane sowohl bei den kommenden Landtagswahlen als auch bei der Nationalratswahl anzutreten. Und vielleicht auch bei der Bundespräsidentenwahl.

"Mehr braucht es nicht"

Zumindest lässt sich in dem Wallfahrtsort widerlegen, dass nur politische Laien der Liste, die landesweit immerhin satte 6,2 Prozent einfuhr, angehören. In Maria Neustift stellte der ehemalige SPÖ-Gemeinderat Gerald Krenn die Ortsgruppe der Spritzengegner auf die Beine. Der Familienvater wollte ursprünglich der Kommunalpolitik final den Rücken kehren. "Dann ist unsere Volksschullehrerin auf mich zugekommen und hat mich auf MFG aufmerksam gemacht. Ich habe mir das im Internet angeschaut, und es hat mich angesprochen", erzählt der 49-Jährige. Vor neun Wochen gründete Krenn dann die Ortsgruppe und holte vor allem Eltern ins Impfkritikerboot: "Wir haben viele Kinder im Ort, deren Eltern mit den Maßnahmen vor allem in der Schule unzufrieden sind. Mich persönlich ärgert ja die Maskenpflicht in der Schule auch extrem."

Das dürfte vielen MFG-Anhängern so ergehen. Zumindest fokussierte sich die Partei in den Wochen vor der Wahl verstärkt auf Kritik an den Corona-Schutzmaßnahmen an der Schule. Maskenpflicht ab mittlerer Risikostufe, Luftreinigungsgeräte und Tests: Dafür hat Dagmar Häusler, die als Listenzweite nun in den oberösterreichischen Landtag einziehen wird, wenig übrig. "Ja, das waren noch Zeiten, als jeder bestrebt war, Tests in der Schule positiv abzuschließen", schreibt sie in einem Beitrag auf der Parteiwebsite. Der MFG-Vorschlag für sichere Schulen? "Wer gesund ist, geht zur Schule. Wer krank ist und Symptome hat, bleibt zu Hause. Wie früher. Weil mehr braucht es nicht." Dass auch Personen ohne Symptome die Krankheit weitergeben können, spielt offenbar keine Rolle.

Einem Milieu entsprungen

Die Entstehung der Partei lässt sich nur im Zusammenhang mit jenen Gruppen verstehen, die sich – teils lose, teils straff organisiert – gegen Corona-Maßnahmen engagieren. Die gesamte Parteispitze entstammt diesem Milieu: Bundesparteiobmann Michael Brunner zum Beispiel. Der Rechtsanwalt ist Mitbegründer der "Anwälte für Aufklärung", einem Zusammenschluss von über vierzig Juristen, die nicht nur Stellungnahmen zu Verordnungen und Gesetzesentwürfen verfassen, sondern auch Maßnahmengegner in rechtlichen Fragen beraten. Hie und da ziehen sie auch vor Gericht: etwa als sie ZiB 2-Moderator Armin Wolf verklagten, weil dieser sie als Corona-Leugner bezeichnete. Das Gericht gab Wolf recht, zumindest in erster Instanz.

Auch in einer anderen Angelegenheit war Brunner nicht erfolgreich: als er Mitglieder der Bundesregierung wegen Amtsmissbrauchs, Landzwang und Nötigung anzeigte. Das Verfahren wurde eingestellt. Ebenfalls bei den Anwälten engagiert ist Generalsekretär Gerold Beneder, der Anfang des Jahres noch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl, der damals noch Klubobmann war, eine Pressekonferenz bestreiten sollte – wozu es dann doch nicht kam. Auch Vize-Obmann Christian Fiala ist seit Beginn der Pandemie gegen Schutzmaßnahmen engagiert, seine Gruppe ICI organisierte eine der ersten Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen.

Auch der Achtungserfolg der Partei muss im Zusammenhang mit dieser Protesthaltung gesehen werden: Es waren die wesentlichen Wahlmotive für MFG-Unterstützer. Dementsprechend gestaltet sich auch das politische Programm von MFG, was Corona betrifft. Gegen Masken, gegen Tests, gegen die Impfung lautet die Losung. Der Frage, was er stattdessen vorschlage, antwortet Parteichef Brunner ausweichend: "Dass die Regierung offenlegt, auf welcher Evidenz sie Grundrechtseingriffe verordnet." Als Corona-Leugner will er nicht bezeichnet werden.

Allergisch auf den Begriff reagiert auch der Kommunalpolitiker Krenn: "Ich leugne gar nichts. Ich bin auch kein Impfgegner. Ich habe meine Kinder auch gegen die Zecken impfen lassen. Aber es geht um freie Entscheidung und um Eigenverantwortung." Ob es nicht Momente gebe, wo er angesichts der vollen Covid-19-Intensivstationen seine eigene Haltung infrage stelle? "In unserem Ort sind zum Glück wenige an Corona gestorben. Und viele meiner Bekannten waren nur leicht krank – wie eine Grippe halt. Ich fürchte mich nicht."

An diesem goldenen Herbstvormittag herrscht am Marktplatz von Maria Neustift ein reges Treiben. "Mich geht das so an, dass wir jetzt als die Deppen der Nation dastehen. Da gibt es ein paar Wahnsinnige, die sich ein Thema an die Fahnen heften. Und für viele genügt das, um so eine Truppe zu wählen. So was kann ich einfach nicht verstehen. Wenn ich Kinder habe, dann kümmere ich mich um Umweltschutz – aber doch nicht um solche Blödheiten", ärgert sich Josef Riener, ehe er im örtlichen Supermarkt entschwindet.

Finden von Positionen

Tatsächlich lassen sich im Parteiprogramm neben Corona auch andere Themen finden, sie reichen von der Entpolitisierung der Justiz über verpflichtenden Ethikunterricht bis zu Reduktionsstopp bei Pensionen. Nach außen kommuniziert werden diese aber nur sehr zurückhaltend – wenn überhaupt. Corona ist eben das eine Thema, das zieht.

Zudem dürften manche Positionen noch nicht ganz gefestigt sein: So war bis wenige Tage vor der Wahl die Forderung nach der "Kostenübernahme von Prävention ungewollter Schwangerschaften durch die Krankenkasse" zu finden. Es ist wahrscheinlich, dass Vize-Chef und Gynäkologe Fiala, der zwei Abtreibungskliniken führt, Einfluss auf diese Positionierung hatte. Je nach Interpretation geht es um kostenlose Verhütungsmittel oder Schwangerschaftsabbruch. Mittlerweile ist die Forderung jedoch von der Website verschwunden. Dazwischen, auf das wies die Plattform "stopptdierechten" hin, lag ein kritischer Artikel des vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als rechtsextrem eingestuften Mediums "Info Direkt". Auf die Frage, ob hier ein Zusammenhang besteht und wieso die Forderung entfernt wurde, verweist der oberösterreichische Landeschef Joachim Aigner auf den Bund. Dort blieb die Anfrage jedoch unbeantwortet.

Anstehende Aufbauarbeit

Generell hüllt sich die Partei in Schweigen, was Strukturfragen betrifft: zum Beispiel, wann oder ob in naher Zukunft ein Parteitag stattfinden oder wie das Programm erarbeitet wird. Es sind vermutlich Fragen, die MFG gerade selbst erst klären muss. Denn obwohl sie nun eine Partei mit Klubstärke in Oberösterreich sein wird und sie aktuell laut eigenen Angaben 4000 Mitglieder verbucht, befindet sie sich noch mitten im Gründungsprozess. "Wir haben gerade unser Büro aufgesperrt", sagt Aigner. Eine Bundesorganisation existiert zwar, allerdings erst seit Februar dieses Jahres. Und selbst Landesgruppen müssen zum Teil erst aufgebaut werden. Zumindest finanziell bringt der Einzug in Oberösterreich einen Schub: Die MFG hat nun Anspruch auf 1,15 Millionen Euro an Parteienförderung pro Jahr. Förderungen für Akademien, so wie man sie auf Bundesebene kennt, gibt es in Oberösterreich allerdings nicht. Eventuell soll mit ihrem "wissenschaftlichen Beirat", der aus einem Physiker und einem Informatiker besteht, dafür auf Bundesebene der Grundstein gelegt werden.

Eine starke Ortsgruppe gibt es wohl zumindest in Maria Neustift: Dort, in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes, hat Postlerin Beate Gollner geparkt. "Die Menschen sind unzufrieden mit den Parteien. Jetzt wird man sehen, was die MFGler aus diesem Vertrauensvorschuss machen." Eine Dame auf dem Kirchenvorplatz sieht die Lage weniger entspannt: "Ich lebe gerne hier, aber mit den ganzen Narrischen habe ich nichts am Hut." Was eine aufmerksame Zuhörerin in Rage bringt: Sie habe "eine schwere Grippe gehabt, vielleicht war’s ja eh Corona, und schon zweimal Lungenentzündung. Und, ich leb heute immer noch", poltert die Pensionistin. Und dann das erstaunliche Resümee: "Ich habe MFG gewählt, weil ich angefressen bin. Aber mir ist das doch wurscht, was die im Landtag oder Gemeinderat machen. Sind eh alle gleich." (Vanessa Gaigg, Markus Rohrhofer, 2.10.2021)